Rede zum Referendum über den EU-Beitritt in Polen, gehalten am 31. Mai 2003 in der Aula der Norwida-Oberschule in Neumark (Nowe Miasto Lubawskie) in Polen 

(siehe auch Bericht im Der Drewenzbote Nr.102)

 

 

 

Deutsche und Polen in der EU

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neumarker Landsleute, liebe Schüler!

   

Bild: Prof. Freiger mit Dolmetscherin Joanna Kardela

Ich habe als Thema  „Deutsche und Polen in der EU“ gewählt, weil es mir um die Menschen geht und weniger um Staaten, bzw. Regierungen.

Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage,

was eint Deutsche und Polen in dem Entschluss, Mitglied der EU  zu sein bzw. zu werden?

 Drei Gründe sind da zu benennen:             1. Frieden

 2. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
 3. Wirtschaftlicher Wohlstand, Prosperität

  1. Frieden

  Kommen wir zu dem wichtigsten Punkt: Frieden.

Seit der Gründung der EU hat es zwischen ihren Mitgliedern keine kriegerischen Auseinandersetzungen gegeben.

Das liegt daran, dass unterschiedliche Interessen friedlich in den dazu geschaffenen Gremien der EU beraten und  entschieden werden.

Dafür sind das Europäische Parlament, der Europäische Rat und die Europäische Kommission eingerichtet worden, und bei Konflikten kann Recht vor dem Europäischen Gerichtshof gesucht werden.

 Die nationalen Grenzen sind unantastbar, bewahrt werden die eigene Sprache, die eigene Kultur  und  die eigene Religion.

 Man denke nur an die Kriege der letzten 200 Jahre in Europa, um zu ermessen, welches Glück die EU für uns ist. Ich habe bei einer ersten Auflistung fast 30 Kriege in Europa zwischen 1800 und 1950 gezählt.

 Langfristig gesichert sind Stabilität und Frieden m.E. allerdings erst, wenn in der EU die innere Integration fortgesetzt und letztlich ein bundesstaatlicher Zustand erreicht wird.

 

2. Rechtstaatlichkeit und Demokratie

 Punkt 2, die Entwicklung und Sicherung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte – der Bürgerrechte (oder auch Grundrechte genannt) kann ohne Frieden nicht geschehen, bedarf aber noch mehr: Demokratie.

 Und weil die EU auf den Grundsätzen von Rechtstaatlichkeit und Demokratie beruht, sind Deutsche und Polen gut in ihr aufgehoben.

 Ziel der EU ist eine Unionsbürgerschaft , die für alle Menschen in der Union (also auch in jedem Mitgliedsstaat) die gleichen Grundrechte bietet.  

Dazu gehören die Gewährleistung der Freiheit,   die Gewährung demokratisch-politischer Rechte, einschließlich Wahlen zu den Parlamenten, angefangen bei den Gemeinden und endend beim Europaparlament

– dazu gehört auch die Freizügigkeit in der Union.

Auf meinem Pass steht als erstes „Europäische Union“ und dann erst Bundesrepublik Deutschland.

 
3. Wirtschaftlicher Wohlstand

 Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass die Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstands für mich erst an dritter Stelle steht  -  ich habe Verständnis dafür,   wenn Menschen in Polen die Rangordnung anders sehen.

 Es ist klar, in der EU geht es eben nicht nur aber auch um die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung des wirtschaftlichen Wohlstands. Dieser wird durch Öffnung der Grenzen innerhalb der EU, der Angleichung der Rechts- und Wirtschaftsordnungen, der Liberalisierung der Wirtschaft und durch Hilfen für die Landwirtschaft und für strukturschwache Regionen erreicht.

Die EU gibt z.B. im Jahr 2003   46 % des Haushalt , d.s. rund 45 Mrd. € , für die Landwirtschaft und 34 % , d.s. 33 Mrd. € für strukturpolitische Maßnahmen, aus.

 Für die Beitrittsländer sind 2,7 Mrd. € vorgesehen, davon ungefähr die Hälfte für Polen.

Im übrigen sind für die Jahre 2004 bis 2006 für die Breitrittsstaaten  ca. 41 Mrd. € vorgesehen.

 Und der Wohlstand wird auch nicht zuletzt durch die Einführung einer gemeinsamen stabilen Währung – den EURO -   gefördert.

 Mit dem bis jetzt ausgeführten habe ich versucht aufzuzeigen, was Deutsche und Polen eint. 

Kommen wir nun zu den möglichen Unterschieden in den Interessenlagen beider Völker?

Sie sind evident bei der unterschiedlichen Beurteilung des Beitritts Polens durch Deutsche und durch Polen

  Bei vielen Deutschen besteht die Befürchtung, dass Deutschland noch mehr in die EU-Kasse einzahlen muß.

Von dem EU-Haushalt  für 2003 in Höhe von 97,5 Mrd. €   trägt Deutschland 23 %, also 22,3 Mrd. € . Nach Deutschland fließen von der EU aber nur etwa 7,6 Mrd. € zurück, so dass Deutschland – schon immer der größte Nettozahler – 14,7 Mrd. €  für andere Regionen der EU zahlt.

 Eine weitere Befürchtung von manchen Deutschen ist ein möglicher Zuzug billiger Arbeitskräfte, die den heimischen Arbeitskräften die Arbeit wegnehmen.

 In Polen sind wohl, wenn die Berichte in unseren Medien richtig sind, die Hauptgegner eines Beitritts – neben nationalistischen Gruppierungen  -  unter den Bauern zu finden, sie fürchten, einer möglichen Konkurrenz in der EU nicht widerstehen zu können, nicht konkurrenzfähig zu sein

– und lassen dabei außer acht, dass es eine Reihe landwirtschaftlich  geprägter EU -Mitglieder gibt, deren Landwirtschaft  der Beitritt hervorragend bekommen ist.

 

Welche Probleme könnte es zwischen Deutschen und Polen geben?

Es gibt, wie wir alle wissen, ein „besonderes Verhältnis“ zwischen Deutschen und Polen, resultierend aus unserer gemeinsamen Geschichte,

dass den Polen u.U. ein Unwohlsein, eine große Unsicherheit bei dem Gedanken eines Beitritts zur EU bereitet.

Bis 1945 lebten auf einem Teilgebiet des heutigen Polens über 12 Mill. Deutsche, Aber als Freunde, als Geschäftspartner und vorwiegend als Touristen.

Diesbezüglich Ängste zu haben, ist obsolet. 

Unnötig und sogar schädlich für Polen ist mithin auch die lange Übergangsregelung bezüglich des Grunderwerbs durch Ausländer.

 Übrigens leben schon jetzt mehr Polen (mit poln. Pass 291 Tausend)   – viele mit deutschem Pass – in Deutschland, als Deutsche in Polen. Und auch innerhalb der EU dürfte sich dies zukünftig nicht ändern.  

 So wie Polen in der EU einen neuen – manche nur einen zeitweisen – Lebensmittelpunkt gefunden haben, bzw. finden werden,

wird es auch einen Zuzug aus anderen Ländern der EU nach Polen geben, wie dies in der EU üblich ist. Allerdings wird ein Zuzug nach Polen mehrheitlich aus wirtschaftlichen Gründen erfolgen und dies kann Polen nur nützen.

In diesem Zusammenhang scheint mir der Hinweis wichtig, dass Probleme mit den östlichen Nachbarn Polens programmiert sind.

Ich verweise auf die Entwicklungen in Irland, in Griechenland, in Portugal und in Spanien.

Es gibt kein EU-Land bisher, dass durch seinen Beitritt Schaden genommen hat, alle haben profitiert, selbst der Nettozahler Deutschland. 

  Brüsseler Bürokratie

 So wie das Regelwerk alle Mitglieder der EU – also auch Deutsche und Polen – betrifft, haben sich auch alle Mitglieder mit der Brüsseler Bürokratie auseinander zu setzen.

Lassen Sie es mich vorweg nehmen: sie ist besser als ihr Ruf, sie wird  leider nur häufig missbraucht.

Regierungen der Mitgliedsländer haben herausgefunden, Maßnahmen, die sie in ihren Ländern  nicht durchsetzen können, auf dem Umweg über Brüssel zu erreichen und gleichzeitig einen Buhmann zu haben : die Brüsseler Bürokraten, auf die man dann feste schimpfen kann.

So wird eben auch Politik gemacht.

Fazit

 Fazit : es gibt keinen Grund für Polen, nicht Mitglied der EU zu werden.

Die Deutschen stehen ihnen nicht im Weg, sie begrüßen ihren Beitritt.

 Es gibt viele gute Gründe, dem Referendum zuzustimmen.

   

Neumark/Westpr., den 31. Mai 2003 ,   Stephan  Freiger

 


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