Löbauer Pfarrkirche St. Anna 

         Der Drewenzbote !

      Heimatbrief des Kreises Neumark/Westpreußen 
       und seiner Stadt- und Amtsbezirke



 Nr. 105     Dezember 2004
 

     Löbau/Westpr. (Lubawa)
  Neumark/Westpr. (Nowe Miasto   Lubawskie)
 
Redaktion: Prof. Stephan Freiger, Hannelore Freiger, Superintendent Rudolf Steege

 

Liebe Heimatgemeinde

Vor einem Jahr habe ich Sie im Drewenzboten u.a. mit der Jahreslosung für das bevorstehende Jahr 2004 gegrüßt: „Jesus Christus spricht: Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen“.(Markus 13,31) Nun ist das Jahr, das damals noch erwartet wurde, schon fast vorüber. Auch die gemeinsame Reise in die alte Heimat  nach Löbau und Neumark und die umliegenden Orte, die damals angekündigt wurde, liegt schon wieder etliche Monate hinter uns. Es ist leicht festzustellen, wie die Zeit vergeht, wie aus dem, was eben noch Zukunft zu sein schien, Vergangenheit geworden ist und zu einem Wechsel der Blickrichtung geführt hat. Wie gut, wenn wir uns bei allen Veränderungen an etwas halten dürfen, was Bestand hat. Die Jahreslosung macht uns darauf aufmerksam.

Natürlich wird auch das Jahr 2005 von einer biblischen Losung begleitet werden. Sie steht im Lukasevangelium 22,32 und lautet so: „ Jesus Christus spricht: Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Es ist ein Wort, das ursprünglich an den Apostel Petrus gerichtet wurde, als er im Begriff war, seinen Herrn in dessen Leidenszeit im Stich zu lassen. Vermutlich wissen auch wir, wie schnell wir aufgeben, wenn die Stunden kommen, die uns nicht gefallen, wenn uns Belastungen, Anfechtungen, Bedrängnisse zugemutet werden. Das Leben besteht ja nicht nur aus Höhen, sondern auch aus Tiefen.

Hilfe können wir dann nicht in uns selber finden. Sie muss von außen kommen. „Worte, die dir helfen, kannst du dir nicht selber sagen“, hat mal jemand formuliert. Wie gut tut es, wenn sich andere für uns einsetzen, wenn wir ihnen nicht gleichgültig sind. Unser Herr Jesus Christus setzt sich für uns ein, er ringt um uns. Er ist eher bereit, sein Leben für unsere Rettung einzusetzen als uns verloren gehen zu lassen. Deshalb haben wir allen Anlass, auch in diesem Jahr wieder Weihnachten zu feiern und uns über die Geburt unseres Heilandes zu freuen. Christ, der Retter, ist da! Von Herzen wünsche ich Ihnen allen ein gesegnetes  Christfest und ein behütetes neues Jahr.  

                                                                                                        Ihr Rudolf Steege

  Grußwort des Patenkreises Oldenburg

zur Jahreswende 2004/2005

Alle Augen sind bereits auf die kommenden Feiertage gerichtet, auf das Fest im Familien- oder Freundeskreis, auf ein paar Tage Entspannung und Besinnlichkeit. Die Hektik der Vorweihnachtszeit hat sich gelegt. Wir haben wieder ein Ohr für die alten und eigentlich ganz aktuellen Botschaften dieses Festes.  Auch fragen wir uns in der Zeit zwischen den Jahren, was das alte Jahr gebracht hat und was das neue bringen wird.  Ich denke da an uns ganz persönlich, an unsere Familien, aber auch an unsere Umgebung, in der wir leben und tätig sind.

Gerade in der Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel gibt es Momente, wo man innehält und sich fragt, was denn wirklich wichtig ist und worauf es im Leben ankommt.  Dazu gehört unter anderem  der Rückblick auf die vergangenen Monate. Bilanz zu ziehen findet nicht nur im privaten Bereich statt, auch für das Gemeinwesen ist eine Rückschau notwendig und angebracht. Als besonderen Höhepunkt des Jahres 2004 werte ich die Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages zwischen dem  Landkreis Nowomiejski und dem Landkreis Oldenburg.

 

Bild: Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages: Vizestarost Henryk Jackiewicz, Landrat Frank Eger, Starost Stanislaw Czajka, Vorsitzender des Neumarker Kreistags, Zbigniew Ziejewski.

Eine Delegation  mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung war vom 02. bis 06. Mai 2004 zu Gast im polnischen Landkreis Nowomiejski. Am 5. Mai - dem Europatag - haben beide Landkreise den Partnerschaftsvertrag unterzeichnet.  Er ist ein weiterer Baustein, der uns einen Schritt näher zu einem gemeinsamen Europa bringt.  Beide Seiten haben damit ein Zeichen für ein gemeinsames und friedliches Europa gesetzt. Diese Partnerschaft gibt uns die Möglichkeit, viel Neues kennen zu lernen und neue Freunde zu gewinnen.

Mit dem Wort von Johann Wolfgang von Goethe: „Das neue Jahr sieht mich freundlich an und ich lasse das alte mit seinem Sonnenschein ruhig hinter mir“, wünscht  der Landkreis Oldenburg allen Neumarkern und ihren Familien ein besinnliches Weihnachtsfest und ein friedliches und gesundes neues Jahr. 

Landkreis Oldenburg 

 Frank Eger - Landrat              

 

Liebe Landsleute!

 

Im Drewenzboten Nr. 103 vom Dezember 03 wünschte ich uns, dass sich die Spirale der Grausamkeiten auf der Welt „nicht weiter“ drehen möge, dass wir dem „Frieden auf Erden“ nahe kommen.

Die Spirale der Gewalt hat sich weiter gedreht und – wir schauen weiter ohnmächtig und voller Entsetzen und Fassungslosigkeit zu. Wir alle kennen die Orte des Grauens – ich muss sie nicht benennen.

„Frieden auf Erden“? Wir sind ihm nicht näher gekommen – oder doch? Vielleicht in unserem Umfeld, im Kleinen?

Gedenken wir – besonders in dieser Zeit - derer, die Schrecklichem ausgesetzt sind, vergessen wir nicht die, die das Schreckliche anrichten, sagen wir – vielleicht trotzig – frohen Herzens:

 

Gesegnete Weihnachten und ein gutes, von Frieden geprägtes, Neues Jahr.  

                   Ihr Stephan Freiger                     

Prof. Stephan Freiger, Heimatkreisvertreter

 

 

 

Wie im letzten Drewenzboten angekündigt, wird  uns unser Ehrenvorsitzender, Herr Rudolf Orlovius, seine Ansicht deutsch-polnischer Geschichte referieren;

 

Bei der Abfassung der nachfolgenden, relativ langen, Abhandlung, geht es mir darum , ein Fundament aufzubauen, auf dem sich die Eindrücke unserer Reise im Juni niederschlagen können. Der Charakter dieser Reise war ein besonderer und sollte die Kenntnis über unseren Nachbarn vertiefen bzw. in Erinnerung zurückrufen, um somit diesem Volk und seinem Staat aufgrund seiner Geschichte, seiner Kultur, seiner Leistungen und seiner einzigartigen Stellung im restlichen Europa, den richtigen Stellenwert zu geben. Die Eskalationen, die es zweifellos auch zwischen unseren Völkern gegeben hat, sollte man nicht nach ihren Auswirkungen und ihrer Intensität analysieren, sondern nach den oft logischen und gutgemeinten Beweggründen und danach, was menschliches Versagen, Unkenntnis voneinander und vordergründige politische Demagogie daraus gemacht haben.       

 

 

Vom Herzogtum über die Volksrepublik zur Republik Polen - ein roter Faden.

Da wären zunächst die Dynastien der polnischen Könige und ihre jeweilige Politik. Als Faustregel mag gelten, dass jede nachfolgende Dynastie die halbe Regierungszeit der  vorhergehenden einnahm, wenn man die Wahlkönige, die keine Nachkommen hatten, unberücksichtigt lässt.

Zu ersten Berührungen zwischen dem Deutschen Reich, unter Kaiser Otto I., und Polen, unter seinem ersten geschichtlich nachweisbaren Herzog, Mieszko I., aus dem Hause der Piasten, kommt es 936 bei Vorstößen Mieszkos über die Oder. Das Deutsche Reich war gerade dabei, sich nach Osten auszubreiten: 950 wurde Böhmen unterworfen, 955 die Ungarn auf dem Lechfelde geschlagen, anschließend folgten die Gründungen Ostmark, Steiermark sowie die Marken Kärnten und Krain. Seine starke Abstützung in der christlichen Reichskirche und in einer großangelegten Verwaltungspolitik gaben Otto seine überlegene Stellung.

Dieses erste Zusammentreffen zwischen Deutschen und Polen beeinflusste jahrzehntelang den Prozeß polnischer Staatsentwicklung. Durch den Übertritt 966 zum Christentum gewann Polen Zugang zu der neuen Lehre mit allen ihren Vorteilen, und durch die Erhebung Gnesens im Jahre 1000 zum Erzbistum, die direkte Verbindung nach Rom, unter Umgehung von Magdeburg, des Deutschen Kaisers und seiner Staatsverwaltung. Durch die Entscheidung für die Römische Kirche – Polen, das „antemurale Christianitatis" oder „Der Verräter an der slawischen Sache" ­gehört Polen zweifellos zum europäischen Westen.

Unter dem Nachfolger Mieszkos erweiterte sich der polnische Einflussbereich bedeutend. Im Westen gehörten dazu die Mark Meißen, das Milzener Land und die Lausitz. In den Jahren 1003 -1004 bzw. 1029, wurde vom polnischen Schlesien aus Böhmen erobert. Im Norden gehörte ab 967 Pommern dazu und im Osten gehörte das Gebiet östlich des Bug, in Richtung Kiew, in der Ukraine, zu Polen.

Das Verhältnis zum Deutschen Reich war unterschiedlich : Zeiten der Freundschaft und der Lehnsabhängigkeit wechselten mit Feindschaft und Kriegen um das von Elbslawen bewohnte Gebiet.

Allerdings sind weder Polen noch Ungarn aufgrund ihrer direkten Kirchenkontakte zu Rom je „Verwaltungseinheiten" des Reiches, etwa wie Böhmen, gewesen.

1025 wurde Boleslaw Chrobry zum König von Polen gekrönt.

Unter seinen Nachfolgern gingen viele Eroberungen wieder verloren. Es war  die Zeit des  Abstiegs, verursacht durch Revolten heidnischer Stämme. Niedergang der Königswürde durch Adelsstreitigkeiten und Ausbildung von Teilfürstentümern. Ab 1050 erreichten Pommern, Pommerellen und Schlesien Sonderstellungen. Darüber hinaus griff das Deutsche Reich direkt in die Machtverhältnisse des polnischen Kerngebietes ein. Von Konrad II. bis Barbarossa kam es bis ca. 1180 zu Kriegszügen gegen Polen. Das eroberte Land  wurde zwar nicht für dauernd in den Lehnsverband des Reiches einbezogen, verlor aber seine Marken westlich der Oder. Pommern gehörte seit 1181 , Schlesien ab 1163, zum Deutschen Reich, Pommerellen hatte ein loses Verhältnis zu Polen.

Beginnend im 11. Jahrhundert, setzte die deutsche Ostsiedlung ein. Von polnischen Teilfürsten gerufen, kamen Bauern, Handwerker, Kaufleute ins Land, die unter günstigen Bedingungen einheitliche Großdörfer und Städte mit eigenem Recht (vor allem Magdeburger) anlegten .Es entwickelte sieh eine Art Straßennetz mit gesicherten Furten und, mit dem neuen Schiffstyp, der Kogge, ein intensiver Seeverkehr. Die geistlichen Orden schickten Mönche, die, neben der Erschließung des Landes, auch für die Verbreitung westlicher Kultur sorgten. Für Pommerellen seien hier die Zisterzienser, mit ihren Klostergründungen in Lekno, Oliva und Pelplin, genannt.

Eine besondere Art der Ostkolonisation betrieb der Deutsche Orden. Durch den Erwerb der pruzzischen Gebiete östlich der Weichsel schuf er einen souveränen Staat, wofür er hauptsächlich deutsche Siedler heranholte. Der Orden dehnte seinen Einfluss aus, und durch den Erwerb von Livland und Pommerellen 1309, sperrte er Polen von der Ostsee ab. Obwohl Kasimir der Große, der letzte Piastenkönig,  unter dem Polen ein bedeutender, bündniswürdiger Faktor wurde, diese Gebietserwerbung anerkannte, blieb sie die Ursache für deutsch-polnische Spannungen. Die Grenzen, die Polen jetzt im Westen und Norden erreichte, haben in dieser Form bis 1919 bzw. 1945 bestanden und gehören zu den ältesten und dauerhaftesten Grenzen in Europa.

Die von Kasimir dem Großen geschaffene Staatsstruktur sollte im Kern 400 Jahre bestehen, einschließlich des Wahlkönigtums. D.h.: Falls der König keine männlichen Nachkommen hatte, entschied der Sejm über die Königsnachfolge. Nach mehreren Zwischenlösungen führte diese Art der Monarchie zur polnischen Großmacht. 1386 wurde die polnisch-ungarische Königstochter Hedwig (Jadwiga) nur unter der Bedingung Königin von Polen , dass sie, auf Betreiben des Sejms, den litauischen Großfürsten Jagiello heiratete. Damit begann die polnisch-litauische Personalunion , die zwischen 1400 und 1550 zu einem der territorialgrößten Staaten Europas führte. Die Kontroverse mit dem Ordensstaat Preußen blieb nicht aus. Nach mehreren Kriegen zwischen 1409 und 1466 musste der Orden auf sein westliches Staatsgebiet mit Danzig, Elbing, Thorn und dem Ermland verzichten, der Hochmeister dem polnischen König einen Treueid schwören. 1525 wurde der Restordensstaat in ein weltliches Herzogtum, unter polnischer Lehnshoheit, umgewandelt. Die Säkularisierung war für Preußen wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, als souveräner Staat zu überleben, nachdem durch die Christianisierung der Litauer die Aufgabe des Ritterordens als geistlicher Orden entfallen war und Polen alles daran setzte den Ritterorden – analog dem Templerorden in Frankreich – zu beseitigen.

Unter den Jagiellonen erreichte Polen seine größte Ausdehnung durch den Erwerb des Königlichen Preußens 1466, Böhmens 1471 , Ungarns 1490, durch die Huldigung der Moldau 1485 und durch den Vorstoß über den Dnjepr bis weit in die Ukraine hinein. Erst hier stießen sie auf ihre späteren Gegner, die Türken und die Russen, und halfen in den nächsten 250 Jahren in erbitterten Kämpfen mit, die von Russen und Türken ausgehenden Gefahren von Europa fernzuhalten.

Innenpolitisch benötigte Polen fast 200 Jahre bis zu einer echten Einigung mit Litauen und dem Königlichen Preußen. Erst 1569, in der Lubliner Union, entstand ein innerlich geschlossenes Reich. Es hatte in der „Nihil novi" von 1505 eine relativ moderne Verfassung, aufgrund derer eine Art Adelsrepublik entstand. Mit dem in dieser Verfassung festgelegten „Liberum Veto" war die Szlachta, ca. 14 % der Bevölkerung, der eigentliche Souverän der Rzeczpospolita Polska.

Als 1572, mit dem Tod Sigismund II., die Dynastie der Jagiellonen ausstarb, begann die Phase des polnischen Wahlkönigtums, mit häufig wechselnden Königen verschiedener Herkunft. Franzosen, Schweden, Ungarn, Sachsen und Polen führten das Land in eine politische und wirtschaftliche Instabilität und zu einem polnischen Machtvakuum , das zunehmend Interventionen der Nachbarn heraufbeschwor. Schweden und Russen, im Verband mit aufständischen Kosaken und Türken, schwächten das Land. Teile der Ukraine und Livland gingen verloren, und die brandenburgischen Kurfürsten konnten 1657 die polnische Lehnshoheit über das Herzogtum Preußen abschütteln.

 

Polnisch-Litauisches Großreich im 16. Jahrhundert

 

Die Zeit von 1550 -1720 bringt, im Kampf gegen Schweden und Russen, den Niedergang, die Zeit von 1720 -1765 den inneren Verfall und die äußere Machteinbuße und, letztlich, die Zeit von 1765 –1772, die Vorgeschichte der Zerstückelung Polens. Vordergründig, zum Schutz der Dissidenten vor den Konföderierten und zur Vermeidung eines osteuropäischen Krieges, erfolgte 1772 die l. Teilung Polens, der dann 1793 und 1795 die 2. und 3. Teilung folgten.

Wegen des russischen Bremsens und gegenläufiger Privatinteressen fielen die Teilungen  nicht so durchgreifend aus wie nötig und möglich. Besonders wichtig: Der Schock der l. Teilung machte den Weg frei für Einsichten, die sich in einigen Reformen niederschlugen: Die Einsetzung eines immerwährenden Rates und, neben fünf anderen Kommissionen, 1773 die Bildung einer Erziehungskommission (Komisja Edukacyjna Narodowa ), der ersten in Europa. Die Proklamation einer Verfassung am 3. Mai 1791, der ersten demokratischen Verfassung in Europa  - die französische folgte eine halbes Jahr später – rief Russland und Preußen auf den Plan. Es kam zur 2. Teilung, die Kosciuszko 1794 mit seinem missglückten Aufstand revidieren wollte. Die darauffolgende 3. Teilung ließ 1795 den souveränen Staat Polen von der Landkarte Europas verschwinden.

Das in Napoleon und die polnischen Legionen gesetzte Vertrauen zeitigte Früchte: aus preußischen (Kulmerland ohne Graudenz in Anerkennung der Verteidigung durch Courbiere) und österreichischen Teilgebieten entstand das Herzogtum Warschau, ein Gebilde, das von 1807 –1815 hielt, den Wiener Kongress nicht überlebte.

Von den drei polnischen Aufständen 1830, 1848 und 1863 betraf der von 1848 das Großherzogtum Posen, das nach 1815 mit einer Sonderstellung bei Preußen verblieben war. Bei dem Aufstand handelte es sich zwar nur um die Auflösung polnischer Verbände, kostete das Land aber seine Sonderstellung.

Die Aufstände 1831/63, im russischen Teilgebiet, wurden grausam niedergeschlagen, kosteten Polen das Königreich Polen, in Personalunion mit dem Zaren, und führten zu Regressen und Deportationen in nicht unerheblichen Dimensionen. Nicht so in dem Teil, der zu Preußen kam. Die preußische Verfassung von 1850 enthielt keine nationalrechtlichen Bestimmungen. Die polnischen Bauern schienen sozial befriedet und national uninteressiert. Kleinadel und Klerus waren die Träger eines eher ärgerlichen Nationaldenkens. Das änderte sich erst 1865: der Mittelstand war herangewachsen und hatte sich mit dem Klerus verbündet; die erste Gründung einer polnischsprachigen Zeitung zeigt den Beginn der Identifizierung mit dem Polentum.

Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 begann eine deutliche Polarisierung. Durch Bismarcks notwendige Politik zur Vereinheitlichung des Deutschen Reiches, mit der Trennung von Kirche und Staat - u.a. wurde die Zivilehe (1874) eingeführt und die kirchliche Schulaufsicht abgeschafft (1872) – kam es zum sogenannten „Kulturkampf“. Das vom Papst 1870 verkündete „Unfehlbarkeitsdogma“ führte zum Konflikt zwischen Bismarck und Papst und der katholisch geprägten Zentrumspartei im Reichstag. Das hatte Auswirkungen auf die Provinzen Westpreußen und Posen, auf die dort lebenden Polen und Kaschuben. 1871 erfolgte die Auflösung der katholischen Abteilung des Kultusministeriums. Mit der Aufhebung der kirchlichen Schulaufsicht wurden die Volksschulen nicht nur dem kirchlichen, sondern auch dem polnischen Einfluss entzogen und schließlich wurde die polnische Unterrichtssprache eingeschränkt oder gar abgeschafft. In Weiterführung dieser Tendenz kam es nach Einführung der deutschen Sprache im katholischen Religionsunterricht 1901 in Wreschen zu einem Schulstreik, dem sich im Jahre 1906 rd. 50.000 Kinder anschlossen. Die Staatsverwaltung ging ähnliche Wege: Deutsch wurde ab 1876 alleinige Amtssprache aller Behörden, Gerichte und politischen Körperschaften. 1886 erfolgte die Gründung der Ansiedlungskommission und, zur Unterstützung dieser Tendenz, kam 1904 das Feuerstätten - und 1907 das Enteignungsgesetz hinzu.

Gefördert durch die preußische Germanisierungspolitik und das gleichzeitige Emporkommen eines nationaldemokratisch denkenden Bürgertums, entwickelte sich , alle Schichten und Klassen verbindend, eine umfassende polnischnationale Gruppe, die sich auch wirtschaftlich, auf genossenschaftlicher Basis, von den Deutschen trennte. Durch die Existenz offener nationaler Spannungen, die in Russland durch die „Ochrona" nicht möglich, in Österreich wegen des Piemontcharakters des Gebietes nicht erforderlich waren, verdichtete sich die „Polnische Frage" - objektiv zu Unrecht - auf die preußisch/deutsch-polnischen Beziehungen.

Die weitere Entwicklung wird durch den, 1914 beginnenden, l. Weltkrieg bestimmt. Polnische Soldaten, verteilt auf 3 Besatzungsmächte, kämpften u.a. gegeneinander.

Die halbherzige Losung zur Schaffung eines Königreiches Polen durch die Mittelmächte (deutsches Reich und Österreich-Ungarn ) 1916, führte zu keinem Erfolg. Der geplante Staat, ohne feste Grenzen und ohne eigene Souveränität auf dem, von den Mittelmächten besetzten russisch-polnischen Gebiet, erfüllte dann auch nicht die Erwartungen seiner Erschaffer. Im Hinblick auf die unsichere Gesamtlage verweigerten die polnischen Legionen den Fahneneid und konnten somit auch nicht zur Unterstützung der Mittelmächte herangezogen werden.

Aber 1918, bei Kriegsende, standen einem neuentstandenen Polen eine politische Führung, ein Verwaltungsapparat und eigenes Militär zur Verfügung. Sofort versuchten die Polen durch Aufstände in Posen und Oberschlesien, durch Kriege gegen Litauen und Russland, die Bestimmungen des Friedensvertrages vorwegzunehmen oder zu unterlaufen. Es entstand auf 390.000 qkm, nach 125 Jahren, die 2. Republik Polen, die mit ihren zahlreichen Minderheiten von vornherein einen Unruheherd im östlichen Europa bildete. Innenpolitische Spannungen, Sanierung der Währung, Wirtschaftskrisen, führten 1926 in Polen zum Staatsstreich Pilsudskis, aus dem eine autoritär verfasste Staatsform hervorging.

In der neuen Verfassung vom 23.04.1935, wenige Tage vor Pilsudskis Tod, wurde diese autoritäre Verfassung, unter dem Grundprinzip der gelenkten Demokratie, bei praktischer Entmachtung des Sejms, legalisiert. In der Verfassung war auch die Position des „Staatsführers", nach dem Tod Pilsudskis seit 1935 General Rydz-Smigly, enthalten.

Die Minderheitenfrage, das außenpolitische Lavieren mit zeitweiser Anlehnung an Frankreich, ab 1934 ans Deutsche Reich, führten ab 1938 zu deutsch-polnischen Spannungen. Auf der einen Seite konkrete Forderungen zur Bereinigung der Grenzfragen, auf der anderen eine Selbstüberschätzung des militärischen Kräfteverhältnisses, gestützt auf die englische Garantieerklärung, führten 1939 zum Polenkrieg, der mit der erneuten Aufteilung Polens zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion endete.

Die Verfassung von 1935 implizierte nach Ende des Polenkrieges die Gründung einer legalen polnischen Exilregierung, erst in Paris, dann unter General Sikorski, in London. Die Exilregierung war verantwortlich für den Aufbau eines Untergrundstaates, der „Armja Krajowa", und letztlich für den Warschauer Aufstand von 1944.

Als am 22.07.1944 in Lublin die erste, unter russischem Schutz, berufene kommunistische, provisorische Regierung gebildet wurde, dauerte es nur noch bis zum 05.07.1945, bis die Beziehungen der Westmächte zur polnischen Exilregierung abgebrochen und die neue Regierung, in die nur 3 Mitglieder der Exilregierung aufgenommen wurden, von den Westmächten anerkannt wurde.

Die weitere Entwicklung in Polen setze ich als bekannt voraus.

Ihr Rudolf Orlovius

 Westverschiebung Polens nach 1945

 

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Auch wir waren in Löbau dabei!

Auch wir waren in Löbau dabei, als der Gedenkstein auf dem damaligen evangelischen Friedhof enthüllt wurde. Die Inschrift in deutsch lautet:

„An dieser Stelle befand sich in den Jahren 1785 bis 1945 der Friedhof der evangelischen Gemeinde. Möge die gegenwärtige Nutzung als Park, die Ehrerbietung der jetzt Lebenden für die Menschen, deren sterbliche Überreste hier ruhen, nicht mindern.“

 

Bild: Gedenkstein auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof in Löbau

 

Dieser Tag in Löbau wird mir, meinen Brüdern Heinz und Helmut, und meiner Frau Christel, in Erinnerung bleiben: Der Marsch der vielen Menschen zum Mahnmal mit Kranzniederlegung, dann der Zug zur ehemaligen evangelischen Johanneskirche, und zum Friedhof. Es war alles sehr feierlich und angemessen: Die Reden am Mahnmal und auf dem Friedhof, sowie der Gottesdienst mit Chorgesang.

Auf dem Weg zum Friedhof wurde ich von einer Frau angesprochen. Sie sprach ganz gut deutsch und gab zu erkennen, dass wir in der selben Schulklasse waren. Sie kannte uns Geschwister alle noch mit Vornamen. Ich erkannte sie leider nicht. Ich konnte mich nicht mehr an sie erinnern.

Meine Frau Christel hat sich auf dem Weg zum Friedhof mit einer Lehrerin aus Löbau, die sehr gut deutsch sprach, unterhalten. Die Lehrerin fragte, warum so wenig deutsche Jugendliche Polen besuchen. Auf die Gedenksteineinweihung eingehend, erwähnte sie, einer ihrer Kollegen sei bei den Reden über das benutzte Wort „Vertreibung“ der Deutschen gestolpert. Seiner Meinung nach hat Polen keine Deutschen vertrieben, sie sind alle geflüchtet. Besagter Kollege ging überdies davon aus, dass die Stadt Löbau für die Kosten des Gedenksteins aufgekommen sei.

In Löbau hat sich viel verändert, ob im Straßenbau oder beim Neubau von Wohnhäusern. Es gibt 4 Möbelhersteller, einer mit Gleisanschluss. Das Gefängnis ist ein Nebengebäude vom Krankenhaus, der Metallgitterzaun vom evangelischen Friedhof. Den Viehmarkt gibt es nicht mehr, dafür eine neue Straßenführung,  mit Anbindung zur Lossener Straße. Keine Durchfahrt mehr am katholischen Friedhof. Die Volksschule an der evangelischen Kirche wird seit dem letzten Jahr zum Altersheim umgebaut. Eine Badeanstalt gibt es wohl auch nicht mehr. Die alte – Naturbadeanstalt - ist zu einem Teich mutiert, umgeben von Bach und Bäumen, eine schöne Parkanlage.

 

                  Bild: Alfred Brand mit den beiden Söhnen (links mit dem  Blumengebinde für das Ehrenmal) von Edmund Tessmer in Löbau

 

Man hat vor Jahren dahinter eine große Anlage gebaut, aber wohl nicht das richtige Baumaterial verwendet. In Folge sind, bis zum Stadtpark, Sportplätze gebaut worden, auch ein Sporthotel. Der Sportplatz im Stadtpark wird wohl kaum noch genutzt.

 

 

Wir hatten unser Hotel in Deutsch-Eylau beizeiten gebucht, um viel Zeit für unsere Geburtsstadt zu haben. Ich habe viele Erinnerungen an Straßen und Menschen, aber das Namensgedächtnis läßt zu wünschen übrig, nach der langen Zeit. Wir waren schon am Freitag in Löbau, und wurden von unseren Bekannten herzlich empfangen, und auch sehr gut bewirtet. Sie wohnen in der Lossener Straße, wie wir damals auf dem Bauernhof. Der letzte Besitzer vom Elternhof, Jan Sawatzki, ist mit 96 Jahren verstorben, auch seine Frau Maria ist tot. Sawatzkis haben uns zu Lebzeiten stets als gute Freunde empfangen und gut bewirtet. Jan beherrschte die deutsche Sprache in Wort und Schrift. Der Erbe vom Hof hat die Felder verpachtet, Stall und Scheune stehen leer, Wohnhaus ist an junge Leute vermietet. Mit Edwin, seiner Frau und seinem Enkel, haben wir dann einen Stadtrundgang gemacht. Er konnte uns viel über die deutschen Kaufleute erzählen, sie namentlich benennen. Auch die deutschen Straßennamen waren ihm geläufig, wie die  Namen der Menschen in unserer Straße. Er wusste auch, wer von ihnen noch lebte. In der Johanneskirche waren wir auch gemeinsam, und konnten uns alles in Ruhe anschauen. Der Kirchendiener war im Kirchenraum beschäftigt, man kannte sich, auch uns hat er erkannt, vom Jahr davor.

Einen Tag waren wir allein  in Löbau zu Fuß, und haben vieles in Augenschein genommen. Mit dem Auto unternahmen wir  eine Rundreise um die Stadt Löbau mit ihren Dörfern, denn hier und da wohnten ja mal Verwandte oder Bekannte.

Eine Tagestour ging nach Danzig, Thorn, und Marienwerder, wo der Geburtsort meiner Frau Christel liegt, Seubersdorf bei Garnsee.

Unser Hotel Kaper in Deutsch-Eylau ist soweit ganz gut, Frühstück und Abendessen nach Karte. Waren am Sonntag, 6. Juni, in Deutsch-Eylau angekommen und am Sonntag, 13. Juni, wieder zu Heinz zurückgefahren. Fahrstrecke 655 km auf polnischem Gebiet, Fahrzeit 10,5 Std. mit Pausen. Fahrstrecke: Graudenz – Schwetz – Konitz – Landsberg – Küstrin – Frankfurt a.O. – Torgau – Trebsen.

Da wir andere Interessen hatten als die Busreisegruppe, haben wir ihr beizeiten abgesagt.

Zum Schluß möchte ich mich bei allen bedanken, da auch Großeltern und eine kleine Schwester von uns auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof in Löbau ruhen. Ich glaube Dank sagen zu dürfen auch im Namen aller Deutschen aus Stadt und Land Löbau, deren Angehörige auf dem Friedhof ruhen, allen Menschen aus Lubawa, die dazu beigetragen haben, dem Bürgermeister,  der Stadtverwaltung, der Kirchengemeinde, den Pfarrern, der Musikkapelle, dem Chor und den Fahnen-Verbänden. Dank auch an die vielen Spender für den Gedenkstein; ohne sie wäre die Veranstaltung nicht möglich gewesen.     

 Herzliche Grüße Ihr Alfred Brandt

 

 

 

Eine moderne  große Turnhalle  wurde am l. September 2003 der Oberschule C.K. Norwida  in  Neumark dem Schulbetrieb übergeben.

Der Schulkompex der Oberschule in Neumark (Nowe Miasto Lubawskie) verfügte bisher über eine Turnhalle, die im Jahre 1889 gebaut worden war.

Nach 114 Jahren, am l. September 2003, wurde nun eine neue Halle gebaut, die dem Standard des 21. Jahrhundert genügt.

Die Gesamtkosten der Investition beliefen sich auf fast 1,5 Millionen Zloty. Der Landkreis finanzierte den Hauptanteil der Kosten in Höhe von etwa 1,2 Millionen dank einer Ausgabe der kommunalen Obligationen. Der restliche Teil der Quote - 300 000 Zloty, kam vom Ministerium für Nationalschulwesen und Sport.

 

Bild: Die symbolische Schärpe durchschnitt Landrat Stanislaw Chajlka, rechts Direktorin Dr.  Alina Kopiezynska.

 

Die Turnhalle hat man in einem für polnische Verhältnisse schnellen Tempo gebaut. Die Bauarbeiten begannen im Juni 2002, sie wurden durch das Bauunternehmen „JBP" aus  Deutsch-Eylau (llawa) ausgeführt.

Die neue Halle ist mit der alten Turnhalle, die erneuert  in Funktion bleibt, geschickt verbunden und beide sind jetzt auch vom Schulgebäude, durch einen Zugang, zu erreichen.

Die neue Turnhalle hat folgende Größe: 36 Meter lang, 18 Meter breit und 7,47 Meter hoch. Sie ist mit Umkleideräumen für Mädchen und Jungen, Badezimmern mit Toiletten, sowie mit Räumen für Lehrer, ausgestattet.

Die Turnhalle und das Hinterland ermöglicht auch einen Unterricht mit behinderten Personen.

 Die Halle hat einen Charakter des „Bei-Schule-Objekts". Hier soll Sportunterricht für 1500 Schüler durchgeführt werden. Darüber hinaus werden nachmittags offene Bewegungs- und Rekreationsveranstaltungen geplant, die für die Bürger der Stadt organisiert werden sollen.

 

Redaktionell überarbeiteter Artikel aus der

"Gazeta Nowomiejska " vom 11.09,2003  des  Redakteurs R.S.Ulatowski und übersetzt von Edmund Tessmer.

 

 

 

Bild: Die neue Turnhalle

 

 

      Bild: Die alte Turnhalle

 

R ü c k b l e n d e

                                                                                                      

Begegnungen und Erlebnisse des Superintendenten Steege

 

Es war eine lange Reise von der Weite Ostbrandenburgs auf die Kanzel der altehrwürdigen Barockkirche in Daaden.

Viele Etappen mussten dabei zurückgelegt werden, begleitet von Gefahren, Not und Bedrängnissen aller Art, aber trotz scheinbarer Ausweglosigkeit gab es auch Stationen der Bewahrung und der Hoffnung.

Rudolf Steege, bis 3l. .Januar 2001 Superintendent des ev. Kirchenkreises Altenkirchen und Pfarrer in Daaden, sah sich mitten hineingestellt in die Wirren von Kriegsende und Nachkriegszeit, in einen mächtigen und reißenden Strom umwälzender Veränderungen. Anlässlich seines Eintritts in den Ruhestand berichtet er dem Chronisten aus der Fülle seiner Erlebnisse und Begegnungen, die in ihrer Art eine einzigartige zeitgeschichtliche Dokumentation darstellen.

Rudolf Steege wurde am 15. September 1936 als Sohn eines Beamten in Meseritz-Obrawalde geboren. Nur noch wenige Erinnerungen verbinden ihn mit seinem heute zu Polen gehörenden Geburtsort östlich von Frankfurt /0der. Schon 1940 zogen seine Eltern nach Westpreußen, in die Heimat seines Vaters, nach Löbau, nahe der ostpreußischen Grenze. Die Kindheit Steeges wurde überschattet durch den frühen Tod seiner Mutter (1943), die jahrelange Abwesenheit des Vaters (Fronteinsatz und Gefangenschaft in der Sowjetunion) und die Flucht vor der heranrückenden Sowjetarmee. Versorgt wurden der Junge und seine Schwester Sigrid von der polnischen Haushälterin Jadwiga L., mit der sie im Januar 1945 die Flucht antraten. Tagelang unterwegs auf Pferde- und Ochsengespannen, prägten sich die Bilder der langen Flüchtlingstrecks, von Tieffliegerangriffen,   eingekesselten  deutschen Truppen, der russischen Panzerspitzen und der Kolonnen über das Land flutender Panjewagen nachhaltig in die Erinnerungen ein. Und immer wieder hieß es weiter flüchten, von einem Ort zum anderen. Eingeholt und durchsucht von den Russen, gab es schließlich kein Weiterkommen mehr. „Uns blieb nichts anderes übrig, als wieder den Rückweg anzutreten - meist durch Chausseegräben. Auf den Fahrbahnen rollten die russischen Truppen in Richtung Berlin", blickt Steege zurück.

 

Unter polnischen Namen

„Wir kamen zurück bis nach Stargard. Vor einer großen Rampe hieß es: Alle Deutschen müssen in ein Lager! Den Pferdewagen hatte man uns ohnehin schon weggenommen." In dieser Situation bewies die polnische Haushälterin abermals Mut und Treue. „Sie erklärte, dass meine Schwester und ich ihre Kinder seien. Deshalb durften wir bei ihr bleiben", vergegenwärtigt Steege eine damals für sie lebenswichtige Entscheidung. „Wir bekamen von diesem Augenblick an polnische Namen und durften natürlich nicht reden, denn Polnisch konnten wir nicht. Nachdem uns auch die Ochsen und der Wagen abgenommen wurden, fuhr unsere polnische Haushälterin mit uns in einem Güterwagen bis nach Deutsch-Eylau. Von dort nahm uns ein polnischer Bauer mit nach Löbau zurück, wo es nicht unbekannt blieb, wer wir waren. Dies hatte zur Folge, dass wir beide - meine Schwester und ich – keine Lebensmittelkarten bekamen - im Unterschied zu der Polin, die übrigens einen eigenen Sohn hatte. Ein Brot mit Lebensmittelkarte kostete damals sechs Zloty, ohne Lebensmittelkarte 30 Zloty, also den fünffachen Preis."

Steege spricht mit Hochachtung über die Polin: „Ich habe nicht einmal erlebt, dass sie besser gelebt hätte als wir. Wir waren natürlich von Herzen dankbar, wenn wir eine Scheibe Brot bekamen und ein  bisschen Salz, um da einen Geschmack reinzukriegen. Und wenn es im Sommer auch mal eine Gurke gab, dann war das schon ein kleines Festessen."

Rudolf und Sigrid - sie besuchten inzwischen eine polnische Schule – blieben noch eine Zeit lang mit der Polin zusammen. Aber ihre Odyssee war noch nicht beendet. Der Weg führte sie nach Gotenhafen (Gdynia) bei Danzig, wo Jadwiga eine Arbeit beim Bahnwagenbau erhalten  hatte.  „Dann,  im  August  1946, wurden wir aus Polen ausgewiesen, und unsere Jadwiga brachte uns nach Stettin. Von dort kamen wir in ein großes Auffanglager hinter Stacheldraht. Wir durften nicht länger bei der Polin und sie durfte nicht bei uns bleiben."

 

„So nimm denn meine Hände"

Während des etwa 14-tägigen Aufenthalts in diesem Lager erlebte der Junge, wie ein deutscher Pfarrer und ein paar Frauen von einer Hausnische zur anderen wanderten und unter den geöffneten Fenstern Lieder anstimmten. Besonders das Lied „So nimm denn meine Hände" bewegte ihn damals und drang tief in sein Bewusstsein ein. „Ich kann es daher schlecht vertragen, wenn manchmal in bestimmten Kreisen so ein bisschen von oben herab über dieses Lied gesprochen und Kritik geübt wird, die für mich sehr leichtfertig klingt", bekräftigt Steege den hohen Stellenwert dieses Erlebnisses für ihn und „andeutungsweise" auch für seinen späteren Beruf.

Noch im selben Monat erfolgte der Abtransport aus Stettin mit unbekanntem Ziel. „Der  Zug bestand aus Viehwagen und einem Rotkreuzwagen in der Mitte, in dem die Kranken und auch wir beide, meine Schwester und ich, untergebracht waren. Da die Kranken die tagelangen Fahrten über die verschiedensten Zonengrenzen nicht verkraftet haben, wurde es immer leerer. Die Wagen wurden schließlich verplombt", erinnert Steege an eine geplante Flucht zu einer Schwester der verstorbenen Mutter bei Neubrandenburg. „Die einzige Adresse, die wir hatten! Als wir dann aber aus unserem Fenster guckten, sahen wir im Abstand von jeweils etwa 50 Metern russische Soldaten. Ihre Maschinengewehre waren auf den Zug gerichtet." Von „stiften gehen" war keine Rede mehr.

Nach vielen weiteren Etappen wurden die beiden Kinder in einem Auffanglager am Bahnhof in Wipperfürth „ausgeladen" und von der Inneren Mission in ein Kinderheim in Langenberg gebracht.' Steege erlebte dort seinen 10. Geburtstag. Unvergesslich - als Geschenke gab es einen Bleistift und eine Kerze, dazu als  „echte Zulage" die Erlaubnis, mittags den großen Kochtopf auszukratzen, in dem das Essen zubereitet worden war.

 

„ Wir nehmen die beiden mit!"

Bedeutsamer verlief ein anderes Ereignis: „Im Januar 1947 wurden meine Schwester und ich mit anderen Kindern in einen extra Raum geholt, in dem große Leute um uns herum liefen. Zum Schluss sagten sie:  „Wir nehmen die beiden mit! Dadurch sind meine Schwester und ich zu unseren Pflegeeltern nach Remscheid gekommen." In dieser Zeit traf vom Vater die erste Nachricht aus Russland ein, der ein unverhofftes Wiedersehen folgen sollte. Eines Tages im August 1947 erhielten die beiden Kinder von ihren Pflegeeltern den Auftrag, ein befreundetes Ehepaar aus Wuppertal am Remscheider Hauptbahnhof abzuholen. Sie unterschätzten jedoch die Länge des Fußweges vom Stadtrand zum Bahnhof, denn schon etwa auf der Hälfte des Weges kam ihnen das Ehepaar entgegen - in seiner Begleitung befand sich ihr Vater. „Sie müssen sich also vorstellen, der fährt aus dem Ural bis Wuppertal-Oberbarmen, steigt dort in einen Zug nach Remscheid ein und in diesem Zug sitzt das Ehepaar aus der Großstadt Wuppertal, das – wie das Gespräch bald ergab - haargenau dasselbe Ziel hatte wie mein Vater", resümiert Steege. „Auf diese Weise haben meine Schwester und ich unseren Vater abgeholt, als er aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, ohne dass wir ihn abholen wollten." Kurz vor der Heimkehr des gesundheitlich schwer gezeichneten Vaters waren auch die ersten Adressen von Verwandten und früheren Nachbarn in Löbau eingetroffen. Der Grund: Die Geschwister gehörten zu den ersten Kindern, deren Namen und Aufenthaltsort im DRK-Kindersuchdienst verbreitet wurden.

Die Aufnahme bei den Pflegeeltern in Remscheid beendete zwar die Irrfahrt über den halben Kontinent, nicht aber die Schwierigkeiten, mit denen sich der junge Steege nach wie vor konfrontiert sah. Sie waren vor allem sprachlich begründet, sein Sprachschatz bestand aus einem Gemisch aus Polnisch und Deutsch. In den Jahren der Flucht und der Vertreibung hatte er mehr Volksschulen an den verschiedensten Orten besucht als Volksschuljahre absolviert. „Deutsch war anfangs das schwierigste Fach für mich, aber später hat es mir Spaß gemacht." Es bedurfte viel guten Zuspruchs seines Vaters, ihn nach der mittleren Reife zur Fortsetzung des Schulbesuchs zu bewegen. In Remscheid schloss er sich dem CVJM an, der ihn zur Mitarbeit motivierte und 1955 als offiziellen Vertreter zur Hundertjahrfeier des CVJM-Weltbundes in Paris entsandte. Sein Konfirmator und auch Mitarbeiter im Verein ermutigten ihn bereits damals, den Beruf als Pfarrer zu ergreifen.

Horst G. Koch

 

   

 

Waltraud  Dröge´s Erinnerungen an die Flucht 1945

Die Erinnerung an die Flucht 1945 ist bei mir lückenhaft, da ich erst 5 Jahre alt war. Löbau und Umgebung ist aber in meinem Herzen fest eingegraben, mit viel Wehmut.

Der Anfang der Flucht war für mich, als ich sah, wie meine Mutter Säcke packte, in die sie die Sachen mitnahm, die wir für die Flucht brauchten. Meine Mutter war Elfriede Krause geb. Krebs. Meine Mutter ist ab dem 7. Lebensjahr bei Ihrem Onkel Johann Oldach aufgewachsen. Ihre Tante war Berta Oldach geb. Ferchau.

Ich habe einen Bruder, der 2 Jahre jünger ist. Wir sind also mit dem Wagen von Johann Oldach aus Fiewo (Fienau) geflüchtet. Es gingen 8 Personen auf die Flucht -  Berta und Johann Oldach – Muttis Stiefschwester Amanda Mans mit Ihren Kindern Ulli und Irmgart – meine Mutter mit mir und meinem Bruder Helmut.

In diesem Jahr habe ich mir zum ersten Mal im Fernsehen einen Bericht über die Flucht angesehen und seitdem bin ich meinem Stiefgroßvater sehr dankbar, dass er mit seinem so gut vorbereiteten Wagen auf die Flucht ging. Wir Kinder haben auf dem Wagen trocken und warm gesessen.

Berta Oldach ist dann, nachdem wir schon ein Stück Weges gefahren sind, noch einmal zurückgelaufen und hat ihr Vieh rausgelassen.

Wir Kinder hatten keine Angst, also ich jedenfalls nicht. Der Ulli war schon 9 Jahre, vielleicht hatte er Angst.

 

 

                      

    Bild: Waltraud Dröge (7 Jahre) mit Mutter(29 Jahre) und Bruder (9 Jahre)

 

Ich weiß nicht genau, wie wir geflüchtet sind. In meinen Ohren klingen die Namen Köslin, Kolbarg, an Stettin vorbei. In Frankfurt an der Oder sind wir über die Oder mit einer Fähre gefahren. Auch wie wir übernachtet haben, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall kann ich mich an eine Übernachtung in einer großen Scheune erinnern. Einmal war ich auf der Flucht direkt an der Ostsee und habe Muscheln gesammelt. Ein anderes Mal waren wir in Pommern auf einem Bauernhof, im Schlafzimmer stand ein Schaukelpferd. 

Das sind meine Erlebnisse, die meiner Mutter waren ganz andere. Irgendwo auf der Flucht ist ihre Schwester Amanda abhanden gekommen und meine Mutter, die damals 27 Jahre alt war, war alleine mit 4 Kindern (9,7,5 u. 3 Jahre). Ihre Pflegeeltern waren 72 und 63 Jahre alt.

Dann kam alles Schlag auf Schlag. Eine Stute hat im Graben ihr Fohlen bekommen und ist gestorben. Also wurde das zweite Pferd verkauft und weiter ging es mit der Bahn. In Güstrow musste meine Mutter Irmgard ins Krankenhaus geben, da sie fieberte. Irmgard ist da gestorben. Meine Mutter ist der Abschied von diesem Kind in ihrem ganzen Leben nicht aus der Erinnerung gegangen. Bevor sie starb sind wir noch einmal dahin gefahren, wo sie das Kind verlassen hat. Ich habe diesen Augenblick auch in Erinnerung, denn ich war dabei.

Dann verlor auch noch die Berta Oldach ihren Verstand, sie wurde geisteskrank. Zum Teil war sie aggressiv.

Wir sind bis Lage, an der holländischen Grenze, geflüchtet. Hier hat uns dann die Amanda wiedergefunden und mein Onkel Paul hat uns nach Ramelsloh in die Lüneburger Heide geholt.

Inzwischen wohne ich sehr schön in Marxen, aber meine ersten Jahre in Westpreußen sind unvergessen.                                                            

 Waltraud Dröge

 Bild: Gutshof der Familie Orlovius in Groß Lobenstein

Nachruf: Abschrift aus dem BlattDie Diakonieschwester Nr.7/8 2004“

 

 - - Am 2. Mai 2004 wurde unsere Schwester i. R.  Christa Orlovius,  im Alter von 78 Jahren heimgerufen.

Schwester Christa kam 1945 nach Verlassen ihrer westpreußischen Heimat nach Ostfriesland und wurde zunächst Kindergärtnerin, ehe sie ab 1951 die Krankenpflege im Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital Oldenburg erlernte. Die Freude im Umgang mit Kindern ließ sie noch die Kinderkrankenpflegeausbildung dort am Elisabeth-Kinderkrankenhaus absolvieren. Von 1955 bis 1958 leitete sie das Neugeborenenzimmer in Delmenhorst und dann für drei Jahre mit Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit und guter Organisation eine Kinderstation in Husum.  In dieser Zeit machte Schwester Christa ihre ersten Erfahrungen im praktischen Unterricht für die Schülerinnen und fand großen Gefallen daran, so dass sie ab 1962 die Schwesternhochschule Berlin besuchte, um für diese Aufgabe besser gerüstet zu sein.  In der Frauen- und Kinderklinik Berlin- Schöneberg begann ihr Weg in der Kinderkrankenpflegeschule, den sie 1966 bis 1977 im Ev.- Kinderkrankenhaus Düsseldorf fortsetzte. In der Unterrichtsarbeit fühlte sie sich sehr wohl; ihr guter Kontakt zu den Schülerinnen und ihr vielseitiges Wissen wurden sehr geschätzt. Im Jahr 1977 kam sie an die Krankenpflegeschule im Ev. Waldkrankenhaus Spandau. Aus gesundheitlichen Gründen wirkte Schwester Christa in den letzten Jahren vor ihrer Pensionierung im Januar 1988 vorwiegend in der Krankenpflegehilfeschule und als Hausschwester. Ihr Ruhestand, den sie in der gemeinsamen Wohnung mit ihrer Freundin Irmtraud von Zelewski in Spandau verbrachte, war zunehmend von Krankheiten geprägt. Eine schwere Krankheit im Herbst 2003, von der sie sich nicht mehr erholte, machte eine Aufnahme im Pflegeheim des Johannesstiftes in Berlin Spandau notwendig, wo sie unter liebevoller Begleitung durch Schwester Beate Krüger ihre letzten Wochen verbrachte. Ihr Bruder, Herr Rudolph Orlovius, konnte zusammen mit seiner Frau  bis zuletzt noch bei ihr sein. Ein Verwandten und Schwesternkreis nahm am 5. Mai 2004 in der Kirche des Johannesstiftes unter dem Wort aus Jesaja 55, 9: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr“ Abschied von ihr. Die Urnenbeisetzung erfolgte später auf dem Friedhof in Lamspringe, wo ihr Bruder, Herr Rudolph Orlovius,  lebt. - - - 

 

Ergänzung der Redaktion

Liebe Landsleute, Die Abschrift des Nachrufes auf Schwester Christa Orlovius, geboren am 5. Januar 1926, in Groß – Lobenstein, dem Sitz der Familie Orlovius, aus unserem Heimatkreis Neumark/Löbau, wurde auf Wunsch unseres Ehrenvorsitzenden, Herrn Rudolph Orlovius, in unseren Drewenzboten aufgenommen.  In dem nur in Umrissen  aufgezeigten Lebenslauf einer, aus ihrer Heimat vertriebenen, jungen Frau sind fast alle Lebensläufe der Heimatvertriebenen wiederzufinden. In diesem Lebenslauf wird auch deutlich, wie viel Mut zum Leben, unbändiger Drang zum Weiterkommen und wie viel Energie zur Selbstverwirklichung die Menschen aus den Vertreibungsgebieten mitgebracht haben, um ihr Leben in der fremden, neuen, Umgebung aufzubauen und  zu gestalten. 

Jeder von uns kennt die Anfangsschwierigkeiten mit den „Alteingesessenen“. - „das Ist ja nur ein Flüchtling, der hat ja nichts. – Die können uns viel erzählen was sie alles besessen haben, - oder; du willst einen Flüchtling heiraten!“ -  Das sind nur einige Beispiele aus dem Vokabular  mit dem wir Vertriebene       bedacht wurden. Liebe Landsleute, das alles waren verständliche Probleme des Miteinander.  Heute – nach fast sechzig Jahren - können wir Vertriebene eine durchaus positive Bilanz ziehen. Wir haben mit unserer Arbeitskraft der jungen Bundesrepublik Deutschland nach dem Zusammenbruch mit zum Wohlstand verholfen. Durch unser Verhalten und unseren Fleiß haben wir eine fast lautlose Integration in das Leben der Menschen, die uns im Westen aufgenommen haben, geschafft. Wir haben die uns gebotenen Möglichkeiten zur Bildung und Ausbildung genutzt. Viele von uns haben die durch die Vertreibung abgebrochene Schulausbildung in der neuen Heimat abgeschlossen.  Mit viel  Mühen und Entbehrungen haben einige das Abitur oder, über den angebotenen zweiten Bildungsweg, den Zugang zum Studium gefunden. Umschulungen in andere Berufe, oder neue

Berufsausbildungen, sind noch in fortgeschrittenen Lebensjahren gemeistert worden.

Bild: Irmgard und Christa Orlovius vor dem 2. Weltkrieg in Groß Lobenstein

 

Existenzgründungen in den verschiedensten Wirtschaftszweigen wurden unternommen. Unsere Kinder und Enkel konnten mit unserer Hilfe in der neuen Heimat  fest verwurzelt aufwachsen.  Uns, die wir in unserer Heimat Westpreussen geboren sind, ist etwas gelungen, worüber heutzutage heisse Debatten über Migranten der  Neuzeit geführt werden. Wir besassen einen grossen Vorteil gegenüber den Menschen, die jetzt nach Deutschland kommen; unsere Muttersprache war und ist deutsch.

Interessierte Leser können über das Gut Groß-Lobenstein und die Familie Orlovius in folgenden Heften des Drewenzboten nachlesen:

DB Nr. 88 „Ein Sommertag Daheim“ von Rudolph Orlovius . Ein Photo zeigt die Eltern, Rudolph mit dem im Krieg gefallenen Bruder und Schwester Christa.

DB Nr. 92 „Anmerkung zur Geschichte des Gutes Lubstein/Gross Lobenstein“ von Rudolph Orlovius

DB Nr. 94 = Festschrift 1999  „ Wechselvolle Geschichte des Kreises Neumark“  von Rudolph Orlovius mit Dokumenten der Familie Orlovius.

Aus dem Nachlass der verstorbenen Schwester Christa Orlovius ist ein ansehnlicher Betrag für die Aufgaben der Heimatkreisarbeit zur Verfügung gestellt worden.

 

Bruno-Heinz Gollnast

 

Bild: Mutter Orlovius mit Tochter Christa in Groß Lobenstein vor dem Gutshaus

 


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