Trachtenpuppen aus dem Löbauer Land, ein Geschenk des Löbauer Bürgermeisters Edmund Standara

         Der Drewenzbote !

      Heimatbrief des Kreises Neumark/Westpreußen 
       und seiner Stadt- und Amtsbezirke



 Nr. 104      Juli 2004
 

             Löbau/Westpr. (Lubawa)
  Neumark/Westpr. (Nowe Miasto   Lubawskie)
 
Redaktion: Prof. Stephan Freiger, Hannelore Freiger, Superintendent Rudolf Steege

Bericht über die Löbaufahrt vom 7. bis 17. Juni 2004      

 

 
Liebe Landsleute!

 

In diesem Sommer erhalten Sie den Drewenzboten etwas später als gewohnt – aus gutem Grund: 

Diejenigen, die an unserer Fahrt im Juni in die alte Heimat nicht teilnahmen, sollten in den Genuß kommen, sich von unserem Ehrenvorsitzenden, Herrn Orlovius,     lesend an bekannte Orte führen zu lassen. Und denjenigen, die mit von der Partie waren, bereitet Herr Orlovius den Genuß der Rekapitulation,  des kundigen Sich-Erinnerns.

Es waren Tage z.T. voller Emotionen, Tage, die gewiß auch etwas bewirkten. Nicht nur in der Gruppe, auch bei denen, denen wir begegneten. Und um - mit Herrn Orlovius  zu sprechen – „die neuen Eindrücke und Informationen in ein kontinuierliches Geschichtsbild einordnen“ zu können, wird er uns im nächsten Drewenzboten seine „Kurzgeschichte Polens“ studieren lassen.

              Bis dahin alles Gute!

                                                     Ich grüße Sie herzlich

 

 

   Prof. Stephan Freiger, 

Heimatkreisvertreter

 

 

 Vor der Marienburg:  Peter Ede, Hannelore Freiger, Markus Lautenschläger

 

Unsere Reise nach Polen - ein Erlebnis.
Von Rudolf Orlovius

Schon auf dem Heimatkreistreffen am 13.09.2003 wurde die Reise angekündigt und es erfolgten auch prompt die ersten Anmeldungen. Die Reise war für Juni 2004 geplant und im Laufe der Zeit erfolgten verschiedene An- und Abmeldungen, so dass zum Schluß nur noch 26 Interessenten verblieben. Schade, aber nun war nichts mehr zu ändern.

 

 

 

   

 

 Laßt uns diese Reise nachvollziehen und an ihren Schwerpunkten betrachten.

Wie im Programm vorgesehen, begann die Fahrt nach Polen am 07.06.2004. Ich stieg mit etwa einstündiger Verspätung an der BAB-Raststelle Seesen /Harz zu. Der Bus rollte weiter über Braunschweig in Richtung Berliner Ring, von dem wir am Nachmittag abbogen, um den Bahnhof Bernau bei Berlin anzulaufen. Hier sollten die letzten 3 Personen zusteigen. Leider war nur eine Dame da. Die erwarteten Gäste aus England, Mutter und Sohn, hatten den Flieger nicht erreicht. Sie kamen erst nachts in Berlin an, nahmen ein Taxi und trafen im Zuge der Nacht im Hotel in Stettin ein. Sie haben die Reisegesellschaft sehr belebt. Weiter ging es also in Richtung Osten. An der Grenz ein kurzer Aufenthalt , die deutschen und polnischen Grenzbeamte gingen gemeinsam den Bus durch, schauten sich die Bilder der Pässe oder Ausweise an und schon ging es weiter. Gegen 19:30 Uhr erreichten wir das Hotel Neptun, ein Hochhaus, aber ein Klassehotel. Als ich vor 15 Jahren hier war, stand zwar das Hotel, aber die Fläche rundum war eine Baustelle bzw. Leerraum. Heute steht hier die City der Stadt, mit hohen Geschäftshäusern, Banken und Repräsentationsbauten. Abendessen und Frühstück am Büfett, die Zimmer bequem, der Service aufmerksam und dezent.                 

Am nächsten Morgen Stadtrundfahrt durch Stettin. Bei der Abfahrt stößt der polnische Reisebegleiter Mariusz dazu und die Fahrt beginnt. Viel sehen wir nicht. Den Hafen, die neue, jetzt fertige Brücke über die Oder, ein paar Straßenzüge aus dem 19./20. Jahrhundert, allerdings die beiden erhaltenen Stadttore aus dem 18.Jahrhundert, mit teils deutscher Inschrift, die das Abtragen der Stadtwälle überlebt haben.

Kurzer Halt an der Hakenterrasse, Ansicht auf das Regierungsgebäude, das Museum und das Marinemuseum , früher die Seefahrtsschule, auch der polnischen Marine. Bewundern der Holzschnitzereien und des ausgestellten Bernsteins. Dann der Gang ins Schloß der pommerschen Herzöge aus dem Greifengeschlecht. Die Greifen starben Ende des 12. Jahrhunderts aus. Ihr Reichslehen kam nach dem 30-jährigen Krieg an Schweden. Ende des 17.Jahrhunderts übernahm es der Große Kurfürst für Brandenburg. Im Schlosshof erlebten wir eine Probe für die Oper Nabuco. Gegen Mittag Weiterfahrt in Richtung Danzig.

Wir fuhren die Straße entlang, die die Trecks im Januar/Februar 1945 gezogen waren. Reste der überrannten 2. und 3. Armee von der Weichselfront, hielten hier eine Linie, etwa 20/30 km parallel zur Küste, offen, die einzige Landverbindung von Danzig/Gotenhafen aus zur und über die Oder. In Stolp hielten wir auf dem Marktplatz und hatten somit Gelegenheit, das Rathaus, die Stadttore, Kirche und Schloß zu sehen.

Ich werde auch weiterhin nur die Schwerpunkte der Reise erwähnen, Stadtbeschreibungen, wie sie der Reiseführer bietet, also vermeiden.

Wir durchfahren Weyherowo/Neustadt, eine Kleinstadt schon in der Kaschubei. Weyherowo, das ursprünglich Weyhersfrei hieß, ist eine Gründung eines Privatmannes, die Menschen jeder Religion, Nationalität und Staatsangehörigkeit Wohnrecht bot. Bemerkenswert darin das Schloß der Grafen Keyserlingk, Verwandte der Grafen Krockow, deren in der Nähe gelegenes Schloß renoviert und heute ein deutsch-polnisch-kaschubisches Kommunikationszentrum ist. Dort befindet sich eine Nebenstelle des westpreußischen Landesmuseums aus Münster-Wolbeck. Die Kaschuben sind ein westslawischer Volksstamm mit eigener Sprache, Sitte, eigenen Gebräuchen und Wohnsiedlungen. Sie haben sich bis jetzt, mehr oder weniger, erfolgreich gegen Überfremdung, sowohl der Polen als auch der Deutschen, gewehrt. Ihre Museen und museale Dorfanlagen befinden sich in oder um Karthaus.

Gegen Abend erreichen wir Danzig, durchfahren die Vororte und landen im Hotel Poseidon in Glettgau. Die Möglichkeit zum Baden besteht durchaus, aber es ist einfach zu kalt. Auch dies Hotel hat westeuropäisches Niveau .Wieder eine gute Unterkunft mit gutem Abendbrot und einem üppigen Frühstücksbuffet.

Eine charmante Stadtführerin erwartet uns am nächsten Morgen zu einer Stadtrundfahrt durch Zoppot, Oliva und Danzig. Zoppot, mit dem längsten hölzernen Seesteg, dem Grandhotel und den Resten des Spielkasinos. Auf die berühmte Waldoper wird hingewiesen. Vom Seesteg links Adlershorst, rechts das Denkmal der Westerplatte.

Weiter nach Oliva. Auf dem Wege dorthin unterhält uns Herr Freiger mit seinen Erinnerungen zu Beginn des 2. Weltkrieges am damaligen Wohnort Oliva. Wir erfahren von den Bemühungen der Polen, durch künstlich verursachte Unruhen in Danzig das offizielle Eingreifen polnischer Truppen in Danzig zu verursachen. Die Befestigung und Waffen-lagerung auf der Westerplatte, die Bewaffnung des Bahn- und Postpersonals war ein Vertragsbruch, der schon lange vor dem Kriege eintrat. Es waren die letzten polnischen Versuche, in den Besitz Danzigs zu kommen, nachdem schon bei Schaffung der Freien Stadt - obwohl nur 3 % ihrer Bürger Polen waren - Teile des Hafens, die Bahn und ein Teil der Post unter polnische Verwaltung kamen.

 

Eine Besichtigung der Kathedrale ist Muss beim Besuch von Oliva. Hier hörten wir ein Orgelkonzert. Die Kathedrale ist die Kirche des Zisterzienserordens, erbaut schon Ende des 12. Jahrhunderts. Der Palast des Abtes inmitten eines gepflegten Parks, war der Ort des Friedensvertrages von Oliva von 1680 zwischen Polen und Schweden, in dem aber auch dem Großen Kurfürsten von Brandenburg die volle Souveränität über das Herzogtum Preußen bestätigt wurde. Ab 1925 war der Palast Sitz des katholischen Bischofs von Danzig, dessen letzter deutscher Inhaber, Bischof Splett, erst 1952 aus polnischer Haft entlassen wurde.

Ein Rundgang durch die Danziger Altstadt mit Langer Brücke, Frauengasse, Marienkirche, Langer Markt, Langgasse und die verschiedenen Stadttore schlossen sich an. Ein Besuch einer Bernsteinschleiferei gehörte dazu. An der Mottlau, mit den vielen Stadttoren, ein Hinweis auf die Speicher am anderen Ufer und die Reste der Ordensburg, die, wie die Burgen von Elbing und Thorn, als Startzeichen für den Aufstand der Stände gegen die Ordensherrschaft, bei Beginn des 13-jährigen Ständekrieges, zerstört wurden.

Ein Mittagessen in einem Lokal in der Frauengasse beendete den Danzigbesuch. Geplant war nun eine Fahrt nach Osterode über Pelplin, Mewe und Marienwerder. Es erwies sich jedoch, dass durch das Fehlen einer Weichselbrücke, etwa bei Mewe, die Wege über Dirschau bzw. Graudenz zu lang wären, so dass der direkte Weg über Marienburg, Freistadt und Rosenberg gewählt wurde.

Fotostop an der Marienburg, die im Abendsonnenschein in Postkartenqualität am anderen Ufer der Nogat lag. Marienburg, seit 1309 Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens, wurde für diesen Zweck ausgebaut. Sie ist die größte Burg Europas und mit der Marienkirche in Danzig, der größten Hallenkirche und dem größten Rathaus in Thorn, eine der größten Backsteinbauten überhaupt. Die Marienburg, nach der verlorenen Schlacht bei Tannenberg durch Heinrich von Plauen , dem Komtur von Schwetz, vor der Belagerung durch das polnische Heer gerettet, blieb dem Orden jedoch nur weitere 50 Jahre erhalten . Im Jahre 1457 wurde die Burg den Söldnern des Ordens für ausgebliebenen Sold verpfändet, die sie dann an den polnischen König verkauften. Der Hochmeister siedelte nach Königsberg um.

Weiter ging die Fahrt durch das ehemalige Ostpreußen, vorbei an Neudeck, dem letzten Wohnort des letzten deutschen Reichspräsidenten, Paul von Hindenburg, der hier 1934 verstarb. Von dem Besitz zeugt nur noch der Wald und das Haus des Gutsverwalters. Die Steine des Schlosses wurden zum Wiederaufbau Warschaus verwendet. Wir fuhren weiter durch hügeliges, waldreiches, aber menschenleeres Land, mit ärmlichen Dörfern und kleinen Städtchen. Romantisch, einsam, eine herrliche Parklandschaft.

Zum Parkhotel in Osterode fährt man durch die ganze Stadt, berührt die Altstadt mit Kirche ,Rathaus und Ordensschloß, um zum Hotel am Drewenzsee zu gelangen. Das Hotel hatte nicht die Qualität der bisherigen Herbergen. Zimmer ohne Telefon , Essen, sowohl Abendessen als auch Frühstück, wurden am Tisch serviert. Dafür den See vor der Haustür, Strandpromenade und Bademöglichkeiten. Nur der Sonnenschein und die Wärme fehlten. Die Zimmer mussten geheizt werden.

 

Besuch der ehemaligen Wohnorte.

 Der nächste Tag war einer der Schwerpunkte dieser Reise. An ihm sollten die einzelnen Reisenden zu ihren ehemaligen Wohnstätten bzw. zu ihren Bekannten gebracht werden. Früher Aufbruch im Hotel, denn in Löbau, vor dem neuen Rathaus, erwartete uns der Leiter der deutschen Minderheiten-gruppe in Neumark, Herr Tessmer, mit Taxen, Privatwagen und ggf. Kleinbussen. Wir waren pünktlich und fanden alles wie besprochen vor. Die Gruppe wurde nach Ziel und mit oder ohne Dolmetscherbegleitung zu ihren Einsatzplätzen entlassen. Ein Teil der Gruppe hatte sich entschlossen, sich meiner Führung anzuvertrauen und die Rundreise mit dem Autobus zu bewältigen. Ich wollte gerne meinen Geburts- und Wohnort und das Anwesen meines Großvaters, später meines Onkels, also Groß - Lobenstein und Stephansdorf, sehen. Das musste in den Rahmen der Wünsche der übrigen Mitreisenden eingepasst werden. 

 

       

Also fuhren wir zunächst nach Kattlau ,von dem Herr Freiger gehört, aber es noch nie gesehen hatte. Da es am Wege lag, sahen wir uns auch noch den ehemaligen Friedhof in Eichwalde an, auf dem die Großmutter von Herrn Freiger ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Der Großvater von Herrn Freiger war Förster in dieser Gegend. Da es Fronleichnam war und in den Dörfern mit Prozessionen zu rechnen war, besuchten wir zunächst Orte ohne Kirchen. Also Stephansdorf, das mein Großvater 1883 gekauft hatte, wo mein Vater geboren und das Onkel Kurt bis 1945 besessen hatte.

Von hier war er am 19.01.1945 mit dem Treck aufgebrochen, während die 85-jährige Mutter mit der jüngsten Tochter Käthe im Zug vorausfuhr. Sie kamen allerdings nur bis Stolp, wo meine Großmutter 1945 starb und Tante Käthe bis 1947 festgehalten wurde. Der Treck kam auch nicht durch, da die Gespannführer schon in der 1.Nacht heimlich unter Mitnahme der Wagen flüchteten. Onkel Kurt behielt einen kleinen Kutschwagen, zwei Pferde und geringes Gepäck.

In Stephansdorf fanden wir nur noch das ehemalige Wohnhaus, heute Mehrfamilienhaus, und von den vielen Wirtschaftsgebäuden nur noch einen Speicher vor. Aber die heutigen Bewohner erkannten mich und dann, von mir polnisch angesprochen, erwiesen sie sich als recht freundlich.

Weiter fahren wir nach Lonkorsch und Gutau, wo noch zwei Burgwälle aus pruzzischer, also der Vorordenszeit, bestehen. Auch hier wieder Erinnerungen von Herrn Freiger und weiter nach Pronikau, wo in der alten Feldsteinkirche aus dem 13.Jahrhundert eine Steinfigur, wahrscheinlich aus der Zeit der Burgwälle, im Fundament eingemauert ist. Der Pfarrer dieser Kirche vor 1939, Pfarrer Dost, war ein guter Bekannter meines Onkels, als Nutznießer des 150 ha großen Pfarrgutes war er als einziger Pole Mitglied der Brennereigenossenschaft in Fiewo, die nach der Parzellierung des Gutes durch die Ansiedlungskommission von einem Gremium von Gutsbesitzern gekauft wurde. Pfarrer Dost, 1939 sofort verhaftet und nach Stutthof gebracht, konnte noch im selben Jahr von Herrn Koschorrek aus Löbau und Onkel Kurt aus Stephansdorf befreit werden.

In Pronikau stießen die ersten Ausflügler wieder zu uns. Wir fuhren dann weiter über Omulle, wo noch der Feldsteinspeicher der ehemaligen Domäne steht, in der meine Mutter geboren wurde. Dann ging es über Zlottowo nach Groß-Lobenstein, wo ich geboren, aufgewachsen und wo ich im Oktober 1944 zum letzten Male die gesamte Familie antraf. Mein Bruder Dieter ist Anfang März 1945 in Kurland gefallen.

Auch Groß-Lobenstein ist nicht wiederzuerkennen. Fast alle Gebäude sind abgerissen, das Gut aufgeteilt und jeder der 15 Neusiedler hat sein eigenes Gehöft aufgebaut. Die Feldsteinmauer um den Park ist weg, die Teiche im Park und bei der Schmiede sind trockengefallen, so dass auch dadurch schon ein neues Bild entsteht. Aber wir wurden von einem Enkel unseres alten Kutschers begrüßt, dessen Großvater mit meinem Vater als dessen Bursche aus dem 2. Weltkrieg mit hierher kam . Er versprach, am Sonnabend in Löbau dabei zu sein. Eine kurze Erklärung über das Leben auf dem Gute und zur damals noch gültigen Verwaltungsstruktur, z.B. die sowohl in Deutschland, als auch in Polen Mitte der 30-ger Jahre aufgelösten Gutsbezirke. Mehr durch Zufall, als gezielt, kamen wir auch nach Swiniarz / Schweinichen, wo wir das heute noch von der Kirche und der Schule betreute Grab von rd. 60 erschossenen deutschen Soldaten fanden. Die Soldaten, im Januar 1945 von den Russen erschossen, wurden von den Einwohnern im Wald bestattet und von da an betreut. Auch dem Umbettungsverfahren vor einigen Jahren durch die Kriegsgräberfürsorge zum Sammelsoldatenfriedhof in Mlawka, haben sie sich mit Erfolg wiedersetzt.

In Löbau sammelten wir alle wieder ein und fuhren nach Osterode.

 

Lautenburg – Strasburg – Gollup – Rheden – Deutsch-Eylau.

Der folgende Tag galt der Erkundung des Löbauer Landes, seiner weiteren Umgebung und einiger nahe gelegener Städtchen und Landschaften. Zunächst also noch einmal nach Kullingen. Hier, damals noch Groß-Wulka, war mein Großonkel Paul, Bruder meines Großvaters, der Besitzer. Nach dessen frühem Tode 1904, wurde das Gut, da er ohne leibliche Erben starb, von der Ansiedlungskommission erworben und mit Neusiedlern, Rückwanderern aus Rußland, besetzt. Da die z.T. Baptisten waren, war eine Kapelle für diese Glaubensrichtung von Nöten. Sie wurde erbaut und steht heute noch.

  Als erste Stadt besuchten wir Lautenburg. Es ist auch heute noch ein verschlafenes Nest, früher, vor dem Kriege sprach man von Lautenburg immer im Zusammenhang mit dem Ziegenmarkt, der dort stattfand. Heute ist Lautenburg Ausgangspunkt für Ausflüge und Urlaubsaufenthalt in den großen waldbedeckten Naturschutzgebieten mit vielen großen Seen, die mit Stränden und Inseln zur

Erholung und zum Wassersport einladen.

 

Kurze Pause für Toiletten und Postkarten und weiter ging es nach Strasburg. Diese ist nach wie vor Kreisstadt, ehemaliger Komtursitz und Grenzsicherung an der Drewenz. Noch heute zeugen der Bergfried der Burg, Reste der Anlage, heute Museum und Restaurant, sowie Kirche, Rathaus, ein Stadttor und Stadtmauerreste, von der Bedeutung dieser Anlage.

   

Von hier geht es nach Gollup. Wieder eine Burganlage zur Grenzsicherung an der Drewenz, die damals die Grenze des Ordensgebietes war. Gollup, ich kannte es vor dem Kriege nur als eine attraktive Ruine, ist heute wieder voll aufgebaut in Erinnerung an die schwedische Prinzessin Anna, Schwester des polnischen Königs Sigismund III. Wasa, im Stile heutiger Vorstellung. Die Prinzessin ist m.W. in der Johanneskirche in Thorn beigesetzt. Vom Burghügel kann man im Drewenztal die Stadt Gollup und, auf der anderen Flussseite, die Stadt Dobrin sehen. Dazu hier einige Erklärungen von Herrn Freiger :

Das Land nördlich der Drewenz war im Mittelalter von den Pruzzen, dem Stamm der Sassen, bewohnt. Sie waren den Eroberungsplänen der maso-wischen Herzöge südlich des Flusses ausgesetzt. Als sie sich dagegen erfolgreich zur Wehr setzten, suchte Herzog Konrad  Hilfe beim Deutschen Orden, der auf der Thorn gegenüber liegenden Seite der Weichsel daraufhin zwar das erste befestigte Lager aufbaute aber dann auf seinen Auftritt wartete. Als Herzog Konrad von dort nicht sofort Hilfe bekam, gründete er mit deutschen Rittern einen eigenen Ritterorden, den Dobriner Orden, der hier seinen Sitz hatte. Aber auch dessen Bemühungen war kein Erfolg beschieden. Und als sich der Deutsche Orden, nach diversen Absicherungen durch Kaiser und Papst und dem masowischen Herzog, endlich 1230 in Bewegung setzte, ging der Dobriner Orden in diesem auf.

Von Gollup aus fuhren wir noch nach Rheden, zur stattlichen Ruine eines weiteren Ordensschlosses, des ehemals größten und schönsten, das der Orden je erbaut hat;  immerhin waren es rd. 60 Burgen, 90 Städte und 1400 Dörfer, die der Orden innerhalb 150 bis 200 Jahren gründete. Ein Freund von mir, Albrecht Duwe, hat die Burg Rheden als Modell nachgebaut und das rd 20 qm große Werk dem Ordensmuseum in Bad Mergentheim vermacht. 

Zurück nach Osterode fuhren wir wieder durch endloses, friedliches, unberührtes ostpreußisches Land mit Fotostop in Kolodzeiken, dem ehemaligen Wohnort der Familie Plitt. Die Tochter des Hauses, Erika Heyduk, wollte eigentlich diese Reise mitmachen, aber wegen des Gesundheitszustandes ihrer 90-jährigen Mutter hatte sie davon Abstand genommen. Nach dem Tode ihres Vaters 1940, war mein Vater der Vormund der 3 verwaisten Kinder. E.Heyduk  hatte mich um Aufnahmen gebeten. Sie wäre in unserer Gruppe, neben Herrn Freiger, die einzige gewesen, die während des Krieges die Oberschule in Neumark besucht hatte.

An diesem Abend war Grillen in Deutsch-Eylau vorgesehen. Eine zweite Reisegruppe unseres Reiseunternehmens war zeitgleich mit uns im Hotel „Kormoran" in Deutsch-Eylau untergekommen, veranstaltete den Grillabend und hatte unsere Reisegruppe dazu eingeladen. Auf der Rückfahrt von Rheden fuhren wir direkt dorthin, wobei am Ort auf Empfehlung unseres Reiseführers ein besonders preiswertes und reichhaltiges Schmuckgeschäft aufgesucht wurde. Der Grillabend fiel dann regelrecht ins Wasser, da ein schweres Gewitter jeden Aufenthalt im Freien unmöglich machte. Er wurde ins Innere verlegt, wo es nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gemütlich wurde. Das Essen wurde, statt auf dem Grill, in der Küche zubereitet und die musikalische Unterhaltung durch das Blasorchester der hiesigen Musikschule, wie die Vorführungen einer Tanzgruppe mit 6  jungen sehr attraktiven Damen, wurden uns nicht vorenthalten. Da der nächste Tag den Höhepunkt unserer Reise brachte, brachen wir rechtzeitig auf, um ausgeschlafen und gut vorbereitet zu sein.

 

Offizieller Besuch des Heimatkreises Neumark in Löbau.

Und dann, am Sonnabend Morgen, ging es nach Löbau, und, wie Herr Freiger es ausdrückte, zum Staatsempfang. Er sollte der Höhepunkt der Reise sein und hat bei allen, auch bei der hiesigen Bevölkerung, einen bleibenden, und wie ich hoffe, sehr positiven Eindruck hinterlassen.

Löbau, die ältere Stadt im ehemaligen Kreis Neumark/Westpr., ist durch die Neuordnung der Verwaltungsstruktur vom neuerstandenen Kreis Neumark /powiat Nowe Miejski Lubawski, abgetrennt und wurde nun erstmalig offiziell in das Geschehen um die Partnerschaft mit einbezogen.

Löbau ist schon 1216 durch den Bischof von Preußen, Christian, gegründet worden und war dann zu Zeiten der Deutschordensherrschaft 500 Jahre lang Residenz des Kulmer Bischofs. Reste seiner Burg, d.h. Umfassungsmauer, Fundament und Kellergewölbe, zeugen heute noch von dieser Zeit .Die Bedeutung der Bischöfe in der Verwaltungsstruktur des Ordenslandes werde ich bei dem Bericht über das Ermland erbringen. Hier nur noch zum Kulmer Bischof: er war in der Ordenszeit in seinem Teilbereich Landesherr, zur Zeit des Königlichen Preußens immerhin noch größter Grundherr und im Ständestaat Preußen, neben dem Bischof von Ermland, ständiger Vertreter im damaligen Landesrat. In diese Zeit fällt die Erbauung des Löbauer zunächst Franziskaner-, dann Bernhardinerklosters, dessen Klosterkirche die heutige Johanneskirche ist. Mit der Klostergründung eng verbunden, weil mitgebracht, das Triumpfkreuz in der Kirche und die Gutenbergbibel, das einzige Exemplar, das es in Polen gibt und das heute in Pelplin im Diözesanmuseum aufbewahrt wird.

Voller Erwartung versammelten wir uns vor dem neuen Rathaus von Löbau harrend der Dinge, die da kommen sollten.

Es erschienen der Bürgermeister, der Stadtratvorsitzende, der Leiter des Kulturamtes, dem die Organisation oblag, die Minderheitengruppe aus Neumark, Fahnenabordnungen der Verbände und sämtliche Löbauer Pfarrer. So konnte ich auch Pfarrer Rozmarinowicz begrüßen, den Vorgänger von Pfarrer Breza und damals noch alleinigen Pfarrer von Löbau. Ich hatte mit ihm korrespondiert, auch telefoniert, aber gekannt habe ich ihn nicht. Er war der Nachfolger von Pfarrer Koska , mit dessen Bekanntschaft ja die ganze Aktion „Hilfe bei der Renovierung der Johan-neskirche“ begonnen hatte.

Als dann die Blaskapelle erschien, formierte sich der Zug und zog zum Denkmal der im Dezember 1939 vom Selbstschutz erschossenen 10 Geiseln in der  Brauereistraße. 

Nach der Kranzniederlegung eine kurze Ansprache von Herrn Freiger in deutsch, die von der Dolmetscherin Lucyna Pelka, einer Germanistin der Neumarker Schule, übersetzt wurde. Die Verbände mit ihren Fahnen und viele Schaulustige hatten sich eingefunden und als sich nach der Kranzniederlegung die Fahnen zur Ehrung der Toten senkten, war es sicher für alle ein bewegender Augenblick. Und das sollte er ja auch  nach dem Willen der Veranstalter sein: ein Anstoß und ein Bekennen zu einer Tat, die befohlen, aber von der Bevölkerung, der deutschen wie der polnischen, weder toleriert noch verstanden worden war. Es war m.E. der erste Akt dieser Art vor einem Denkmal von Geiselopfern des Dezembers 1939 und er sollte nicht nur unser Mitgefühl ausdrücken, sondern auch ein  Markstein, signalgebend wie Brandts Kniefall, sein.

 

Rede von Prof. Freiger vor dem Mahnmal  am 12. Juni 2004 in Löbau:

„Am 7. Dezember 1939 wurden an dieser Stelle 10 polnische Bürger als Geiseln von der SS erschossen. Diese Menschen hatten nichts verbrochen.  

Und so war es für jedermann erkennbar, dass diese Erschießun-gen von Unschuldigen ein Verbrechen war.

Für mich irritierend, dies war das erste Verbrechen von Deutschen an Polen, das mir als damals 11-Jährigem bekannt wurde.

Mein Vater, der die befohlene Teilnahme als Zuschauer boykottiert hatte, kam umgehend nach Hause zu uns nach Danzig-Oliva. Er war entsetzt.

Aber nicht nur ihn, auch die meisten Deutschen in Löbau empörte diese Tat.

Dass die polnischen Bürger Löbaus erschüttert waren, versteht sich von selbst.

Wenn ich heute diesen Kranz zur Erinnerung an die Opfer des damaligen Verbrechens niederlege, soll dies ein Zeichen sein, dass wir Deutschen, besonders die vertrie-benen ehemaligen Bürger des Löbauer Landes, dieses und ähnliche verübte Verbrechen in Löbau und Umgebung während der  Kriegszeit   verabscheuen und aufs tiefste bedauern.  

Ich bin der Meinung, dass jedes Volk nicht nur seiner eigenen Opfer gedenken sollte, sondern auch reflektieren muß, was für Verbrechen in seinem Namen und von seinen Landsleuten an anderen Völkern oder Volksgruppen begangen wurden.

 

Das ist die Vorausset­zung für ein friedliches Zusammenleben in Eu­ropa und für eine dauer­hafte Freundschaft zwi­schen Polen und Deut­schen. Es ist aber auch Voraussetzung, um un­befangen auf gute und schlechte Zeiten unserer gemein­samen deutsch-polni­schen Geschichte zurück zu blicken.

Möge die Vereinigung Europas erfolgreich fortgesetzt werden, damit solche Verbrechen, wie hier 1939 begangen, in Europa nicht wieder vorkommen.“

 

Damit wären wir im Bestreben nach Verständnis und Freundschaft zueinander einen entscheidenden Schritt weitergekommen.

 

Die Offiziellen, d.h. die Delegation der Löbauer Stadtverwaltung, unsere Reisegruppe, die Vertreter der Minderheitengruppe, zogen nun zur Johanneskirche, die jetzt im renovierten Zustand ihren Helfern aus Deutschland erstmalig im neuen Glanz vorgestellt wurde. Der amtierende Pfarrer, der nunmehr 2. Pfarr-gemeinde von Löbau, Pfarrer (Ksiadz Proboszcz) Tadeusz Breza und der mit uns reisende Super-intendent i.R. Rudolf Steege hielten einen ökumenischen Gottes-dienst, erstmalig in dieser Kirche, in deutsch und polnisch. Es war ein feierlicher, aber auch erhebender Akt und der Chor und die Anwesenheit der Fahnengruppe unterstrichen die Handlung zusätzlich. Ich meine, wir können mit dem Eindruck und dem Erfolg zufrieden sein.

 

 

 

 

 

 

 

Predigt von Superintendent Rudolf Steege.

 

„Liebe Gemeinde !

Der heutige Tag ist ein ganz besonderer Tag in meinem Leben. Als deutscher und evangelischer Pfarrer darf ich hier in dieser Kirche am Altar neben meinem polni-schen und katholischen Mitbruder stehen, um  gemeinsam  mit Ihnen allen einen ökumenischen Gottesdienst zu feiern. Das versteht sich überhaupt nicht von selbst.  

 

   

                  

1942 wurde ich im Gebäude nebenan eingeschult. Ein Jahr später, im Oktober 1943, erlebte ich mit, wie meine Mutter auf dem hiesigen evangelischen Friedhof beerdigt wurde. Damals war ich gerade 7 Jahre alt geworden., und nun, über 60 Jahre später, gedenken wir an diesem Ort unserer vor, in und nach dem zweiten Weltkrieg Verstorbenen.

Dafür,  dass wir das erleben dürfen, bin ich von Herzen dankbar. Es ist ein Geschenk Gottes. Er redet mit uns in Gericht und Gnade und handelt an uns in guten und schweren Zeiten. Er ist unser Schöpfer. Vor ihm müssen wir uns verantworten. Er hat uns aber auch Jesus Christus, seinen Sohn, unseren Retter, geschickt. Ihm dürfen wir im Leben und im Sterben gehören.

Heute soll nach diesem Gottesdienst auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof ein Gedenkstein in polnischer und deutscher Sprache enthüllt werden. Wir werden dann an die Menschen erinnert, die dort bis 1945 bestattet wurden. Wir denken ebenso an die, die früher hier gelebt haben, aber an anderen Orten gestorben und begraben sind.

Es könnte jetzt von vielen Einzelschicksalen erzählt werden. Dazu verbleibt uns heute nicht genügend Zeit. Still werden manche aus unserer Mitte in ihren Heizen bewegen, was bei ihnen an Erinnerungen wieder auftaucht. Wichtig für uns alle hier aber bleibt zu bedenken und zu beherzigen, was der Apostel Paulus im 14. Kapitel seines Briefes an die Römer schreibt: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben,  so sind wir des Herrn.  Amen.“

 

Nach dem Gottesdienst ging es zum ehemaligen evangelischen Friedhof, um den Gedenkstein in deutscher und polnischer Inschrift zu enthüllen. Der Friedhof ist ja nun ein Park, gepflegt mit schönem altem Baumbestand. Für viele  ehemaligen Löbauer ein Ort der Erinnerung und des Besinnens. So kann ich nun davon ausgehen, dass den Gebeinen meiner Großeltern, die dort begraben liegen, ein ehrendes Gedenken erhalten bleibt. Chor und Blaskapelle bildeten den Rahmen für die Enthüllung des Steines durch Prof. Freiger, den Löbauer Bürgermeister Edmund Standara und den Vorsitzenden der Stadtrates. Sie legten einen Kranz nieder, der durch einen Strauß der Minderheitengruppe aus Neumark ergänzt wurde. Für mich eine zusätzliche Freude, als ich feststellen konnte, dass auch aus meinem Geburts- und Heimatort eine Delegation erschienen war. Der Enkel unseres alten Kutschers hatte es sich nicht nehmen lassen - wie versprochen - zu erscheinen. Seine Tochter begleitete ihn.

 

Rede des Bürgermeisters Edmund Standara:

„Sehr geehrte Herrschaften!  Meine Damen und Herren !

 

Wir  stehen  auf dem Platz, wo in den Jahren 1785 bis 1945 sich der Friedhof der evangelischen Gemeinde befand.  In Folge der Kriegstätigkeiten und des Fehlens der Bekenner dieses Glaubens wurde der Friedhof liquidiert und auf seinem Boden ein Park errichtet. Am Ende des Jahres 1995 wurde, auf Initiative des Verbandes der Freunde des Löbauer Landes, zum Andenken an die Geschichte an  dieser  Stelle eine Gedenktafel mit entsprechender Inschrift errichtet.

Jetzt entschloss sich die  deutsche  Minderheit dieser Stelle eine denkwürdige Bedeutung zu geben und eine festliche Tafel mit der Inschrift auf Deutsch und Polnisch zu errichten. Während der Enthüllung dieses festlichen Steines sollen wir uns wünschen, daß die Friedhöfe, die menschliche Überreste bergen, nur eine Oase des Friedens  und  der Ruhe sind, und daß das Gebet „Ruhe im Frieden" immer im realen Sinne des Wortes respektiert wird.

Ruhen Sie in Frieden.“

Rede von Prof. Stephan Freiger :

„Ich danke Herrn Bürgermeister Standara für seine Worte und besonders dafür, dass er unserem Wunsch nach einer Gedenktafel mit polnischem und deutschem Text auf  diesem ehemaligen Friedhof auch entgegengekommen ist.

Danken möchte ich auch Herrn Bernhard Standara, der schon 1995 dafür gesorgt hat, dass ein Erinnerungsstein mit polnischer Aufschrift hier errichtet wurde.

Auf diesem Friedhof liegen von einigen von uns Angehörige. Und von unserem Ehrenvor-sitzenden, Herrn Orlovius, ist deshalb auch die Initiative für die Erneuerung des Gedenksteins ausge-gangen.

Gedenken wir aller, die hier beerdigt sind, mögen sie in Frieden ruhen.

Die wahrscheinlich Letzte, die hier beerdigt wurde, war - nach dem Bericht von Meta Brendtke im Heimatbuch - Frau Melitta Heß aus Samplau, die am 21. April 1945 im Löbauer Krankenhaus verstarb.

Ihr Mann wurde bei der Besetzung ihres Hofes von den Russen sofort erschossen.

Sie - schwanger - flüchtete daraufhin mit ihren 5 Kindern übers Feld. Die Russen schossen hinterher, sie wurde durch drei Kugeln getroffen, konnte sich aber mit zwei Kindern, die auch verletzt wurden, zunächst in Sicherheit bringen. Die übrigen drei Kinder - 6,  13 und 16 Jahre alt - wurden erschossen.  

 

 

Nach der Vertreibung  der meisten Deutschen - auch aus dem Löbauer Land - hatte der Friedhof seine aktive Funktion verloren.

Ich hoffe, dass es in Zukunft im vereinten demokratischen Europa keine Kriege und Vertreibungen mehr geben wird. Die heutige beein-druckende Ausgestaltung der Einweihung berührt uns und gibt uns das Gefühl, dass wir in unsere alte Heimat zurückgekehrt sind.“

 

 

 

 

 

 

 

Der Bürgermeister lud anschließend die Gäste zu einem Imbiß in das Gasthaus „Karczma nad Sandela" ein. Auch hier wieder kurze Tischreden und soweit möglich, intensive und lebhafte Unterhaltung.

 

Danach, bis zur Abfahrt des Busses, Zeit zur freien Verfügung. Ich nutzte die Gelegenheit zu einem Besuch bei Frau Nidzworska, der Witwe meines jahrelangen Brieffreundes in Löbau. Er hatte mich nicht nur laufend über das Geschehen in Löbau informiert, sondern auch als Vermittler im Bemühen um eine Beteiligung der „Stiftung für polnisch-deutsche Zusammenarbeit" an der Renovierung der Johanneskirche fungiert. Daran schloß sich ein kurzer Rundgang durch Löbau an, bei dem ich die Rückseite des Schlossgeländes und die neuentstandene Straße „ul. Bibli Gutenberga" besah. Wir konnten beruhigt und erfüllt zurück in unser Hotel in Osterode fahren.

 

 

 

Masurenrundfahrt

Der nächste Tag, der Tag der Masurenrundfahrt. Zunächst nach Heiligenlinde, dem Jesuitenkloster mit der gewaltigen Orgel. Unterwegs hörten wir die Sagen von der Entstehung dieses Wallfahrtsortes aus einem pruzzischen Heiligtum in Form einer Heiligen Linde. M.E. ist das Kloster ein Geschenk des polnischen Königs an seinen zum evangelischen Glauben übergetretenen Neffen, den preußischen Herzog Albrecht von Hohenzollern, um die Gegenreformation in Preußen zu fördern. Wir bewunderten also die im Jesuitenstil erbaute Anlage, das Orgelspiel und den Jahrmarkt, der sich um das Kloster abspielte.

Aber heute war die Zeit kurz, wir hatten engbegrenzte Termine .Durch die noch sehr naturgebundene ostpreußische Landschaft ging es an Rastenburg vorbei zur Wolfsschanze. Wer einigermaßen Bescheid wusste, konnte im Vorbeifahren in Rastenburg die guterhaltene Ordensburg und die Wehrkirche ausmachen. Für den Besuch der Wolfsschanze wurden wir vor der zu erwartenden Mückenplage gewarnt und es galt, sich davor zu schützen. Danach ein Schnelldurchgang durch die Anlage, die das sog. „Führerhauptquartier von 1941 - 1945„ war. Wie sehr den damaligen Machthabern bei ungeheuren Menschenverlusten an den Fronten das eigene Leben lieb war, zeigen noch heute die Reste der im Januar 1945 von deutschen Pionieren gesprengten Bunker. Hier fand am 20.07.1944 das Attentat auf Hitler statt und wurde zusammen mit den Männern, die dahinter standen, zum Symbol des Widerstandes gegen das damalige Regime.

Aber die Zeit drängte, denn in Rhein erwartete uns ein Schiff. Die vielen Seen in Ostpreußen bieten eben Gelegenheit für Kreuzfahrten mit großen und kleinen Schiffen. Für die Überfahrt nach Nikolaiken, etwa 2 Stunden, hatten wir das Schiff für uns und wurden von der Besatzung, je nach Wunsch, mit Wodka oder Eis verwöhnt. Bei der Abfahrt von Rhein konnten wir vom Wasser aus die Stadt und das Ordensschloß bewundern. Letzteres war diesmal nicht aus rotem Backstein, der viereckige Gebäudekomplex war verputzt, was dem bisher gewohnten Bild widersprach. Aber keine Regel ohne Ausnahme.

Der Nachmittag in Nikolaiken war zur freien Verfügung. Also war ein Einkaufsbummel in den vielen Juwelier- und Bernsteinläden der Stadt angesagt. überall wurde man in deutsch bedient und konnte auch in Euro bezahlen. Im Übrigen gab es für l Euro = 4,50 Zl. U.a. haben wir die evangelische Kirche besucht und unter Leitung von Pastor Steege dort gesungen. Die gut erhaltene Kirche ist eine von mehreren evangelischen Kirchen in der Umgebung. Die hiesige Gemeinde zählt ca. 300 Mitglieder und unterhält nebenbei ein Altenheim. Eine Dame der hiesigen Gemeinde, sie sprach ausgezeichnet deutsch, leistete uns Gesellschaft. Von Nikolaiken zurück nach Osterode.

 

Offizieller Besuch beim Neumarker Landrat.

Für den nächsten Tag waren wieder offizielle Termine vorgesehen. Dieses Mal galt es, Neumark, dem Starosten und der Schule Norwida unsere Aufwartung zu machen. Noch einmal die alte Straße, die ich vor dem Kriege oftmals gefahren bin, vom Grenzübergang in Kolodzeiken, wo wir ggf. Verwandte aus Röschken, einem Gut im Kreise Osterode, abholten, nach Löbau und von dort nach Neumark, auch damals schon Sitz des Starosten und später des Landrates. Die Orte Rosenthal, Grabau und Waldeck liegen am Wege. Waldeck ist der Geburtsort von Herrn Freiger, aber auch ehemaliger Wohnsitz der Familie Zuralski, einer polnischen Familie, mit der wir verkehrten und von denen zwei Söhne, um nach 1939 der Ausweisung ins General-gouvernement zu entgehen, sowohl von meinem Onkel in Stephansdorf, als von meinem Vater als Verwalter beschäftigt wurden und bei uns im Hause wohnten. Im Gegensatz zu ihrem älteren Bruder haben beide überlebt und der jüngere, er lebte nach dem Kriege in Osterode, hat noch jahrelang mit meinem Onkel und dessen Schwester korrespondiert.

   

 

 

Vor dem Termin mit dem Starosten war noch etwas Zeit, die wir für einen kurzen Besuch in der St. Thomaskirche nutzten. Die Kirche, erbaut Anfang des 14. Jahrhunderts, bietet neben dem üppigen Dekor im Chorraum mittelalterliche Wandmalereien, ein wundertätiges Marienbild aus dem ehemaligen Kloster Lonk, sowie die Messing- Grabplatte eines Pflegers (Burgherrn) der Ordensburg Brattian, Kuno von Liebenstein, von Ende des 14. Jahrhunderts. 10.00 Uhr Empfang beim Starosten Czajka im Sitzungssaal des Landratsamtes. Ein großer Tisch, vorbereitet mit Getränken und Gebäck, empfing uns. An der Stirnseite der polnische Adler, daneben die Wappen von Neumark. Zum linken Wappen sagte der Starost, die 5 Rosen symbolisieren die Gemeinden des Kreises, der leere Platz in der rechten oberen Ecke wäre für Löbau reserviert, mit dessen Rückkehr in den alten Kreis allgemein gerechnet wird. In Begleitung des Starosten erschienen Dr. Korecki und der Kulturbeauftragte des Kreises. Ein paar freundliche Worte von Herrn Czajka, die die nun schon vertraute Atmosphäre verdeutlichten. Ebenso die Antwort von Herrn Freiger, beides übersetzt von Herrn Tessmer, dem Leiter der Minderheitengruppe Neumark. Dr. Korecki sagte einige Worte über seine historische Arbeit, in die er nur das aufnehmen will, was er auch belegen kann. Im Hinblick auf meine Korrespondenz mit ihm - Hilfe bei der Suche nach Unterlagen bei seiner derzeitigen Arbeit über das Neumarker Gymnasium - konnten wir noch am Rande einige Worte wechseln . Aber die Zeit drängte. Beim Herausgehen überall Hinweise auf die Partnerschaft mit dem Landkreis Oldenburg, die offensichtlich einen große Stellenwert hat. Am Landratsgebäude eine Hinweistafel in deutsch und polnisch. An der gemeinsamen gepflanzten Winterlinde ebenfalls eine Hinweistafel. Man hat ein gutes Gefühl, wenn man als Deutscher in Neumark ist. Man spürt das herzliche und ehrliche Bemühen.  

In der Oberschule Norwida

Von hier zu Fuß zu der Neumarker Oberschule. Hier hat Helmut Steege, der Onkel des uns begleitenden Superintendenten, zu polnischer Zeit 1938 sein Abitur gemacht, hier ist zu deutscher Zeit 1943/44 Herr Freiger zur Schule gegangen und von hier  aus sind die ersten Impulse für das Jugendtreffen in Hude ausgegangen. Wir wurden von der Leiterin, Frau Dr. Alina Kopiczynska, empfangen , bewirtet und dann mit sichtbarem Stolz zu den neuesten Erweiterungen der Schule, der neuen Turnhalle, die internationalen Belangen gerecht wird, geführt. Wir trugen uns alle in das „Goldene Buch" der Schule ein. Übersetzt, begleitet und unterhalten wurden wir von den Germanistinnen Frau Lucyna Pelka und Frau Joanna Kardela . Wir erhielten sowohl im Kreisamt, als auch in der Schule, Informationsmaterial. Die Broschüre des Kreises ist im wesentlichen Werbung für den Tourismus. Es wird immer wieder ausdrücklich auf die Relikte frühgeschichtlicher Art, wie wir sie bei der Rundfahrt im Raum Londzyn, Gutau gesehen hatten, hingewiesen.  

 

Interessant die Schülerzeitung der „Goniec Nowomiejski" ( Neumarker Bote ), in der u,a, ein Interview mit Herrn Freiger zu seiner beruflichen Tätigkeit und seinem Engagement für die deutsch-polnische Sache und die Begründung für den ihm vom Staatspräsidenten verliehenen hohen Orden zu lesen ist. Außerdem eine Befragung der sog. „Notablen" des Kreises Neumark zum Beitritt in die EU. Je nach Aufgabe innerhalb der Kommune ist die Zustimmung unterschiedlich. Sie schwankt von heller Begeisterung bis zu einer abwartenden Haltung, wobei der Zeitpunkt des Beitritts als zu verfrüht angesehen wird.  

Eine kurze Einführung von Herrn Freiger zur Situation während seiner Schulzeit. Das Direktorenhaus mit dem Schülerheim für Mädchen, dem Schülerheim für Jungen im Schulgebäude selbst.

Auf Wunsch von Herrn Tessmer ein kurzer Besuch in dessen Dienststelle. Auch hier ein Eintrag ins Gästebuch.

Anschließend einige kurze Besuche und Fotostopps an Steeges ehemaliger Mühle und dann, wie so oft, warme Würstchen zum Mittagessen von Herrn Bittermann.  

 

 

Durch die Umstellung im Programm fiel der Besuch in Neumark auf einen Montag, so dass der geplante Besuch des Museumsdorfes bei Hohenstein und eine Vorbeifahrt am ehemaligen Tannenbergdenkmal von 1914 - und heutigem Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht bei Grunewald ( Tannenberg ) 1410 - ausfallen musste. Montags sind auch in Polen die Museen geschlossen.

Ich hatte deshalb Gelegenheit, Aufnahmen vom Schloß in Osterode zu machen, zu dem mir der Weg vom Hotel aus zu weit war. Ein erlebnisreicher Tag ging zu Ende.

   

Oberländer Kanal und Frauenburg

Der letzte Tag im alten Ostpreußen, er  eigentlich ein interessanter und informativer werden. Nun letzteres war es, der Rest fiel ins Wasser. Wir fahren also zunächst über Liebemühl nach Buchwalde, wo es eine Zusteigemöglichkeit für eine Bootsfahrt auf dem Oberländer Kanal gibt. Der Kanal, nur noch Touristenattraktion, ist ein Unikat in Europa. Die Steigung im Gelände wird nicht mit Schleusen, sondern mit den sog. Rollbergen überwunden. Aber auch hier macht sich der Mangel an Heimwehtouristen, und natürlich die Wetterlage, bemerkbar. Wir hatten das Schiff für uns.  Auf den entgegenkommenden Schiffen war auch wenig Betrieb. Der Kanal überwindet eine Steigung von rd. 100 m und führt von Osterode nach Elbing. Unterwegs eine kräftige Mahlzeit mit Krakauer Wurst. In Hirschfeld stiegen wir aus, der Bus erwartete uns zur Weiterfahrt nach Frauenburg.

Nach Frauenburg fuhren wir über Elbing, wo wir den Wiederaufbau der Altstadt bewundern konnten. Elbing war in den Abwehrkämpfen 1945 fast restlos zerstört worden und die Altstadt wird nun, nach eingehender archäologischer Untersuchung, wieder aufgebaut. Stehen geblieben sind die Elisabethkirche, ein Stadttor, der Teil eines Klosters und eine Häuserzeile von 5 - 6 Häusern. Näheres über die Kämpfe hörten wir von Herrn Freiger, der hier als Flakhelfer eingesetzt war, verwundet wurde und in eine 4-jährige russische Gefangenschaft geriet. Er erzählte von seiner Flakstellung, teilweise schon vor der Front, im Einsatz gegen Flugzeuge und Panzer. Auch die ersten russischen Panzer, die unerkannt durch Elbing in Richtung Tolkemit rollten, erwähnte er.

Das übrige Elbing ist heute eine moderne Groß – und Industriestadt. Durch das Gebiet der Elbinger Höhe, eine Endmoränenlandschaft, ging es zunächst weiter nach Cadinen, wo noch immer der ehemalige Gutshof und das  Gestüt der kaiserlichen Familie, die Majolikafabrik und die 100-Jährige Eiche existieren. Der Kaiserenkel und Chef des Hauses, Louis-Ferdinand, verließ im Januar 1945 von hier aus im Schlitten seine Heimat.

Vom Strand war nicht viel zu sehen, es regnete Bindfäden. In Frauenburg, vor der Domburg angekommen, war es nicht besser. Im Schweinsgalopp retteten wir uns in den Dom, wo nun genug Muße für eine ausgiebige Besichtigung war. Es ist der größte Dom im Preußenland, mit vielen Denkmälern und Epitaphen. Kopernikus ist hier begraben, sein Grab unbekannt. Aber ein Denkmal gibt es für den Fürstbischof  Hosius und eine gewaltige Orgel.

Hier nun einige Hinweise zur Geschichte der Kirche im Preußenlande. Pommerellen kam ja erst 1309 dazu und unterstand in kirchlicher Hinsicht bis zur l. Teilung Polens dem Bischof von Kujawien, mit Sitz in Wroclawek (Leslau ). Ab ca. 1820 wurde es dem Kulmer Bischof zugeteilt, dessen Umzug nach Pelplin damit sinnvoll wurde. Das übrige Preußenland war schon 1243 in 4 Diözesen aufgeteilt in Kulm mit Kulmsee und Löbau, Pomesanien mit Marienwerder und Christburg, Ermland mit Frauenburg und Braunsberg/Heilsberg und Samland mit Königsberg und Fischhausen. Der Orden bestimmte im ganzen Lande die Außenpolitik und das Heerwesen, war aber gehalten, den 4 Bischöfen je 1/3 ihrer Diözesen zur Verwaltung zu überlassen, die wiederum 1/3 ihres Gebietes ihrem Domkapitel abgeben mussten.

 

Das betraf nicht den Bischof von Ermland.  Er und sein Domkapitel waren keine Deutschordenspriester. Im Laufe der Zeit erreichte es der Ermländische Bischof, Fürstbischof des Reiches zu werden. Er hat seine Sonderstellung zu nutzen gewusst.

 1466 fiel Ermland, zusammen mit den westlichen Ordensgebieten, zunächst an den Ständestaat Preußen, später, durch polnischen Vertragsbruch mit dem Lubliner Dekret, als Königlich-Preußen de facto an Polen. Wiederum durch einen Vertragsbruch besetzte der König von Polen die Stelle des Fürstbischofs mit Polen, zu denen, als Bedeutenstem, der Bischof Hosius, Sohn deutscher Eltern, gehörte. Im Jahrelangen Pfaffenkrieg versuchten die Fürstbischöfe ihre Eigenständigkeit gegenüber Polen zu behaupten.

Aus dem geplanten Gang zum Strand, mit Blick auf die Nehrung, ebenso aus dem Besuch des Turmes mit dem langen Pendel, wurde wegen des anhaltenden Regens nichts. So konnten wir auch das neuerrichtete Denkmal am Strand nicht bewundern , das den Flüchtlingen von Jan./Febr. 1945, die übers Eis des Haffes zur Nehrung flüchteten, dem einzigen noch offenen Weg aus dem umzingelten Ostpreußen, gewidmet ist.

Hier, im Heiligenbeiler Kessel, erfüllte sich das Schicksal der eingeschlossenen 4.Armee, zu der u.a. auch das westpreußische Kontingent, die 21. (I.D.)

Infanteriedivision, gehörte. Neben der Artillerie und den Pionieren in Elbing gehörte zu ihr auch in Nachfolge das Deutschordensregimentes 154 aus Marienburg, in dem viele Bekannte und Freunde meines Vaters gedient hatten, z.B. Gen. Obst. Karl Strecker, Gen. d. Panz. Walter Nehring u.a.m.

Da nun wirklich nichts weiter zu unternehmen war, machten wir uns auf den weiten Heimweg über Elbing, Rosenberg nach Osterode und konnten uns hier etwas von den Anstrengungen der langen Fahrt erholen und für den nächsten Tag vorbereiten. Und der führte nun schon in Richtung Heimat.

 

Rückfahrt über Thorn und Schneidemühl

Nächster Übernachtungsort war Schneidemühl. Zwischenzeitlich legten wir aber einen Zwischenstopp in Thorn ein, um dieser alten, für unser Land Westpreußen so wichtigen Stadt, einen Besuch abzustatten. Wir hatten hier keine Stadtführung, aber Thorn bietet soviel Interessantes, dass man auch ohne solche zu seinem Recht kommt. Da sind zunächst an der Weichselseite die alten Stadtmauern mit dem Kloster-, dem Seglertor, der Schiefe Turm. Im Inneren dann der alte Markt mit dem Kopernikusdenkmal, dem Rathaus, dem Flößerbrunnen, der Universität. Nicht zu vergessen die Johanneskirche mit dem Taufbecken des Kopernikus, der Marienkirche .Weiter kann man den Neuen Markt besuchen mit dem zur Kirche umgebauten neustädtischen Rathaus, der ältesten Kneipe „Zur blauen Schürze" und der Jakobikirche. Die Jakobikirche ist eine vom Baustil her erhaltene Basilika mit buchstabenbesetzten glasierten Steinen verziert. Einer meiner Vorfahren, Laurentius Orlovius, gest. 1570, diente ihr als evangelisch-polnischer Pfarrer. Diesen Hinweis verdanke ich übrigens Herrn Bernard Standara, dem Bruder des jetzigen Bürgermeisters von Löbau. Auf dem Parkplatz Abfütterung mit Würstchen  und weiter fahren wir.

Zunächst geht es über die Weichselbrücke, die die ehemalige Brücke von Münsterwalde ist. Sie wurde von den Polen dort Anfang der 20-ger Jahre abgebaut und als Straßenbrücke hier in Thorn wiederaufgebaut .Was von der alten Brücke noch vorhanden ist ,weiß ich nicht, denn sie wurde sowohl 1939 als auch 1945 gesprengt. Dass Thorn so gut erhalten ist, ist der Zivilcourage des letzten Stadtkommandanten 1945 zu verdanken, der, statt die Stadt befehlsgemäß zu verteidigen, Garnison und Zivilbevölkerung evakuierte. Da wir schon in Thorn waren, hätte ich gerne auch das in der Nähe gelegene Schloß Birglau, die Domäne, auf der Erwin Hasbach, vor 1939 der letzte deutsche Senator in Polen, bis 1920 Pächter war. Die Domäne war übrigens 1793  die erste Pachtung meines Ururgroßvaters.

 Interessant vielleicht auch Schloß Ostrometzko, Sitz der Grafen von Alvensleben, die auch im Kreise Löbau Besitz hatten und zwar Wardengowo und Gut Warden. Ostrometzko, ein Schinkelbau, wurde vom Oberpräsidenten Theodor von Schön erbaut, die Alvensleben heirateten ein. Die hier erwähnten Grafen von Alvensleben sind nicht identisch mit dem berüchtigten Selbstschutzführer von 1939, der wohl denselben Namen trug aber aus Sachsen stammte.

Mit dem Überqueren der Weichsel verlassen wir das „Kulmer Land", zu dem vielleicht noch einige Worte zu sagen wären. Das Kulmer Land wurde dem Deutschen Orden vom Herzog von Masowien als Ausgangsbasis für seine geplanten Eroberungen im Land der Pruzzen gegeben. Da man aber nicht verschenken kann, was einem nicht gehört, stellte der Vertrag von Kruschwitz, der das Verhältnis Orden und Herzog regeln sollte, von vornherein eine Utopie dar. Das Land musste erobert werden und der erste Stützpunkt östlich der Weichsel war Thorn mit der Burggründung 1231; es folgten Kulm 1232, Marienwerder 1233, Rheden 1234 und Graudenz 1235.

Da Kulm als Hauptstadt und als Oberhof ausersehen war, wurde das Stadtrecht von Kulm bald Landesrecht und ging als Kulmer Recht in die Geschichte ein. Städte, Dörfer und Ansiedlungen wurden nach Kulmer Recht gegründet, sofern nicht einige Seestädte Lübecker Recht annahmen.

Zur Frage der Urbevölkerung sei gesagt, dass sie keineswegs, wie vielfach behauptet, ausgerottet worden war. Sie lebte, meist sogar nach ihren eigenen Gesetzen. Und so war es im Löbauer Land durchaus üblich, dass deutsche, polnische und pruzzische Dörfer mit ihren jeweiligen Gesetzen und Vorstellungen nebeneinander lebten.

Da die deutschen Bauern schon bald eine Überschusswirtschaft betrieben, waren zum Warenaustausch Handelszentren nötig. Es entstanden Städte in einer Entfernung von rd. 30 km, so dass den Bauern die Hin- und Rückfahrt an einem Tage möglich war. Das hat sich bis heute nicht geändert und im Löbauer Land findet man heute noch in Familiennamen und im Namen der Orte eben pruzzische Wurzeln.

Die Strecke dehnt sich, das Wetter ist besser geworden und wir fahren durch den Netzedistrikt, entlang der Netze durch Nakel und viele andere kleine Städtchen. Der Netzedistrikt kam 1772 als einziger Landesteil an das Königreich Preußen, das nicht zum Ordensstaat gehört hatte, sondern immer eine polnische Verwaltungseinheit gewesen ist.

Nächster Halt und Übernachtungsort ist Schneidemühl. Schneidemühl ist eine neue Stadt, 1945 fast vollständig zerstört, ist sie als Militärstützpunkt für den Warschauer Pakt wiederaufgebaut worden. Da Polen zur Nato gehört, sind diese Einrichtungen hier und überhaupt hinfällig geworden. Nun gähnt eine Leere in der Stadt, die nur notdürftig durch den Tourismus belebt wird. Aber das Hotel „Rodio" war erstklassig. Vielstöckig, elegant, bequem , angenehmer Service und sehr gutes Essen. Zum Frühstück neben dem obligaten Rührei auch Setzeier, für mich erstmalig in Polen.

Am nächsten Tag über Landsberg nach Küstrin. Der Grenzübergang ohne Probleme, ohne einen Beamten. Gleich auf der anderen Seite die Mauern und Wälle der Festung Küstrin, wo Leutnant Katte, der Freund Friedrich d. Gr., nach dessen missglückter Flucht, hingerichtet wurde.

Wir sind wieder in Deutschland und langsam wird der Bus leerer. Immer mehr Gäste steigen aus. Wie immer nach dem Grenzübertritt bewegen mich zwiespältige Gefühle. Einerseits die Freude auf zu Hause, andererseits die Trauer, wieder einmal aus der alten Heimat fortzumüssen. Ich habe dieses Land und auch seine Menschen gern, sind sie mir doch in Sprache und Gebräuchen von frühester Jugend her bekannt und vertraut. Wie oft gehen mir Melodien und Textfragmente durch den Kopf, den Kinder- und Hausmädchen bei der Arbeit gesungen haben oder die an warmen Sommerabenden, in den hellen Nächten des Ostens, in wehmütigen Liedern aus dem Dorfe in die offenen Schlafzimmerfenster herüberklangen.

Es war eine schöne Fahrt, wir haben viel erlebt, viel gesehen und ich meine, wir haben auf unserem Wege zur Verständigung und zur Freundschaft mit Polen und den Polen einige weitere Meilensteine gesetzt. Was vor einigen Jahren noch als unmöglich galt, ist heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden: Wir fahren nach Polen, fast ohne Grenzkontrolle. Wir treffen in Polen nicht nur auf persönliche Freunde, sondern auch auf dem Wege über Partnerschaften auf offizielle Stellen , denen ganz offensichtlich an diesen Kontakten gelegen ist. Der Ton ist herzlich geworden und eine Zusammenarbeit, auch jetzt im Rahmen der EU, ist wahrscheinlich. Und meiner Meinung nach hat sich in Polen jetzt schon vieles geändert, ist besser geworden.

Die Städte sind sauber und ordentlich, überall sieht man große Betriebe in Arbeit und auch die Felder waren gut bestellt und trugen offensichtlich eine gute Ernte.

 

Zu unserer Reise ist zu sagen, dass sie, auch im Hinblick auf die geringe Teilnehmerzahl, in dem großen Bus sehr bequem war. Die Reisegesellschaft diszipliniert, pünktlich und jederzeit ansprechbar.

Gruppenbild in Nikolaiken. Auf dem Bild sind 24 der 26 Teilnehmer der Fahrt. Es sind: Christel u Peter Ede, Hildegard Freese, Hannelore u.Stephan Freiger, Karl Haasper, Hanna u.Johann Irmler, Gisela u.Leo Kroh,  Markus Lautenschläger, Else Müller, Dagmar Oldach, Rudolf Orlovius, Liselotte Purps, Gerda Schalinski, Rosemarie Schindler, Gerda u.Heinz Schwalm, Irmgard Steege, Ute u.Rudolf  Steege, Waltraud Weinreich, Astrid Weller, Erika Wichmann-Boelicke, Herbert Wichmann. Auf dem Bild außerdem der Begleiter Mariucz . 

 

Es bleibt mir nur noch übrig, mich bei denen zu bedanken, die diese Reise geplant, die Vorraussetzungen dafür geschaffen und sie auch begleitet und durchgeführt haben.

So danke ich zunächst dem Ehepaar Freiger und ebenso Herrn Rudolf Steege für alle Mühe und Sorge und für den glücklichen Ablauf der Reise, die uns lebhaft in Erinnerung bleiben wird. Wir sind gut zu Hause angekommen , wir können dankbar sein und wie es im „Großen Zapfenstreich" heißt : „Helm ab zum Gebet".

Rudolph Orlovius

P.S.: Wer seine Kenntnisse, speziell über Westpreußen, vertiefen möchte, dem möchte

ich hier einige Hinweise geben :

L) Hugo Rasmus; „Pommerellen, Westpreußen 1919 -1939" , 1989 Verlag München

Berlin, ISBN: 3-7844-1596-6,

2.) Dr. Heinz Neumeyer : „Westpreußen, Geschichte und Schicksal", 1993 Universitas

-  -Verlag, ISBN: 3-8004-1273-X,

3.) Peter Poralla : „Danzig Westpreußen, zum Kennenlernen", 2001 Verlag HO-GAST,

Freiburg, ISBN : 3 980 2048-0-4.

   


 Zurück zum Anfang

<< Zur Seite Fahrten

<< Zur Seite Der Drewenzbote 

<< Startseite