Grundsatzreferat zum Heimatkreisreffen 

 am 14. September 2003 in Hude 

 

 

Zum Problem der deutschen und polnischen Ortsnamen!

       Rede, anlässlich des Heimatkreistreffens am 14. September 2003 in Hude,       

           

  von Prof. Stephan Freiger.

 Sie beinhaltet die Problematik der deutsch-polnischen Normalisierung, speziell mit Blick auf die Ortsnamen in der alten Heimat:

Zum Problem der deutschen und polnischen Ortsnamen!

Mit der erfolgreichen Abstimmung zum EU-Beitritt Polens ist der vorletzte Schritt zur Mitgliedschaft Polens in der EU getan. Zum 1. Mai 2004 wird Polen Vollmitglied werden. Dann sind Deutsche und Polen gleichberechtigte Bürger in einem gemeinsamen, sich immer mehr bundesstaatlich organisierenden Europa.

Zwischen Deutschland und Polen und ihren Bürgern, den Deutschen und den Polen, ist seit der politischen Wende in Europa der normale Umgang miteinander gewachsen. Und wir, der Heimatkreis,  helfen bei dieser Normalisierung.

Bedürfte es eines Beweises, erinnern wir uns der herzlichen Begegnung mit dem Landrat von Neumark und seiner Begleitung am 13. September in Hude. Normalität ist facettenreich, sie schließt auch vertrauensvollen Umgang miteinander ein. Quod errat demonstrandum!

 Gewiß, der normale Umgang miteinander ist gewachsen, aber ist es  normal, wenn Deutsche glauben, die deutsche Benennung von Landschaften, Flüssen und Orten meiden zu müssen und sich der polnischen zu bedienen und dabei erleben müssen, dass Polen in deutscher Sprache die deutschen Namen verwenden?

Dieses merkwürdige Verhalten von Deutschen hat mich beschäftigt und ich bin der aufkommenden Frage nachgegangen, warum es überhaupt in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Bezeichnungen ein und desselben Ortes gibt. 

Warum heißt Warschau – polnisch Warszawa,  Moskau – russisch Moskwa , Rom – italienisch Roma – polnisch Rzym, Prag – tschechisch Praha  und polnisch Praga, Köln – polnisch Kolonia,  Basel- polnisch Bazylea, Aachen – polnisch Akwizgran, Brüssel – polnisch Bruksela    u.s.w. ?

 Dabei habe ich festgestellt, dass man zuförderst etwas über Sprachentwicklung und Lautbildung der Sprachen reflektieren muß, will man eine Antwort finden. Also habe ich nachgeforscht, wie mir die Sprachwissenschaftler helfen können und festgestellt, dass man fast bei Adam und Eva anfangen muß.

Ich möchte mich jedoch nur auf das beschränken, was unbedingt zum Verständnis unseres Problems nötig ist.

 

Das ist 1. die Reflexion darüber,  wie der Mensch das Sprechen bewerkstelligt. Daß er dazu eine Stimme braucht, wissen wir – die Stimmbänder. Und jeder hat ihre Funktion zur genüge erprobt und weiß, was passiert, wenn sie z.B. bei einer Erkältung versagen. Aber zur Laut- und Wortbildung gehört noch viel mehr. Da ist der Kehlkopf, der mit den Stimmbändern die Phonation bildet. Die Artikulation erfolgt durch Zunge, Lippen, Zähne und Unterkiefer. Und die Resonanz erfolgt durch Nase und Mundraum, das Gaumensegel und den Rachenraum. Und nicht zuletzt ist die Lunge und die Atmung zum Sprechen notwendig. Und alle diese Teile müssen koordiniert handeln, um ein verständliches Wort herauszubekommen. Ein hochkomplexer Vorgang, der lange geübt werden muß.

2. besitzt jede gesprochene Sprache eine eigene phonologische Struktur, also eine Struktur der benutzten Laute (Phoneme = kleinste Lauteinheiten) und ihre Verknüpfungsregeln. Wie viele  Laute es gibt, die der Mensch erzeugen kann, hat wohl noch keiner gezählt. Wahrscheinlich sind es mehrere Hundert. Zumindest beklagt eine Wissenschaftlerin, dass es bisher nur maximal 600 Zeichen für Laute zur elektronischen Verarbeitung gibt.

Das Internationale Phonetische Alphabet beschränkt sich auf 128 Zeichen (genannt Unicode), die für die gängigen Sprachen der Welt genügen. Angewandt auf die einzelnen Sprachen, stellt sich heraus, dass jeweils nur ein kleiner Teil dieser Laute gebraucht wird, sieht man von den Dialekten einer Sprache ab.

 Die englische Sprache benutzt  47 Laute, die deutsche Sprache 35 (ohne Abweichungslaute – Phonemvariable, davon 14 Vokalphoneme und 21 Konsonanten). Dabei hat das deutsche Alphabet nur 30 Zeichen, von denen einige denselben Laut bezeichnen, wie f und v (er fiel , er hat viel), s und ß , und das y wird entweder als i oder am Anfang auch als j gesprochen (Yoga, Yen). Wir haben aber auch Zeichen im Alphabet, die für mehrere Laute stehen, wie z.B. o für o wie „oben“ und o wie „ob“.  Oder wir helfen uns mit Buchstabenkombinationen, wie etwa mit dem „sch“ , wie schön, oder „eu“ und „äu“, wie Euch oder Äuglein.

Ergebnis: Wir haben mehr Laute in der Sprache als Zeichen.

Das gilt auch für die polnische Sprache: Das polnische  Alphabet hat 32 Zeichen, und  40 Laute ohne Phonemvariablen (Abweichungslaute).

Es gibt Sprachen, die sehr viel weniger oder sehr viel mehr Laute verwenden: Die Polynesier  benutzen nur  11  Laute  und für  Khoi-San – eine Sprachfamilie im südlichen Afrika - braucht man 141 Laute, diese Sprachen sprechen aber nur rund 150-tausend Menschen (Ureinwohner).

3. ist wichtig: Jede Sprache verfügt über Regeln, welche Lautkombinationen erlaubt sind.

Z.B. erlauben slawische Sprachen die Aufeinanderfolge vieler Konsonanten ( d.s. b, c, d, f, bis z), romanische Sprachen (besonders Italienisch und Spanisch) nicht. Im Deutschen ist z.B. die Kombination  pt am Anfang eines Wortes nicht erlaubt, wohl aber innerhalb eines Wortes, wie z.B. Optik. Anders in der polnischen Sprache, z.B. Ptak  = Vogel.

Und das Entscheidende ist !

4. Jeder Mensch lernt mit seiner Muttersprache unbewusst die für die Sprache notwendigen Phone (Laute) und die Kombinationsregeln.

Da, wie vorher ausgeführt, für jede Sprache unterschiedliche und unterschiedlich  viele Laute benutzt werden, sich also die Sprachen in ihren Lauten und Aussprachen unterscheiden, lernt jeder Mensch zunächst nur die Laute, die Aussprache und die Regeln seiner Sprache und kann manche Laute einer anderen Sprache nicht auf Anhieb erzeugen, er muß sie beim Erlernen einer Fremdsprache mühsam üben.

 So gibt es im Russischen  kein h. Eine Episode mag das verdeutlichen:

 In der Gefangenschaft im Ural wollten uns manchmal russische Kinder beschimpfen und uns Gefangenen „Heil Hitler“ zurufen. Sie bekamen aber nur „Geil Gitler“ heraus, sie kannten das h nicht.

 Im Polnischen gibt es Phone (Laute), die im Deutschen unbekannt sind. Als Beispiel mag der Name des bekannten polnischen Arbeiterführers - und 1. Präsidenten nach der Wende - dienen. Wir reden von „Lech Walesa“ (Lech Wałesa) . Aber er heißt auf polnisch - ungefähr wie - „Lech Wawenßa“. Der dritte Laut kommt in der deutschen Sprache nicht vor und ist für uns schwer zu sprechen; er hat sogar einen eigenen Buchstaben, ein L mit einem Schrägstrich (Ł).  

 Und noch schwieriger ist es für einen Deutschen, Lodz auf polnisch auszusprechen. Vielen jüngeren Deutschen ist diese Stadt aus dem Schlager „Theo, wir fahr´n nach Lodsch“ bekannt geworden.  In der polnischen Schreibweise sind drei von vier Buchstaben unserem Alphabet fremd:  Łódź ! Ausgesprochen ungefähr wie „Wutsch“.

 Was liegt da näher, dass die Neigung, ja sogar die Notwendigkeit, besteht, Ortsnamen  (übrigens auch Personennamen) mit den geläufigen eigenen Lauten und den erlaubten Kombinationsregeln zu bilden.

Ortsnamen sollen in die eigene Sprache passen!

Sie sollen wohlklingen und nicht fremd!

Sie sollen leicht aussprechbar sein!

Und so werden sie der jeweiligen Sprache angepasst.

 Daraus folgt, dass ein Ort, je nachdem, in wie vielen Sprachen er bekannt und benannt ist, diverse Namen hat. So weit, so gut!

 Es ist an dieser Stelle sicher sinnvoll, zu untersuchen, wie Ortsnamen überhaupt entstanden. Da uns das bei der Lösung unseres Problems jedoch nicht weiterbringt, belasse ich es bei dem Hinweis, dass ihr Ursprung, ihre Entwicklung vielfältiger Natur ist und widme mich der hier wichtigen Frage nach der Art der Namensbildungen in anderen Sprachen.

Und da kristallisieren sich 3 Gruppen heraus. 

Namen sind entweder :

1.     phonetisch der jeweils anderen Sprache angepasst, wie Danzig  -  Gdansk, Elbing – Elblag, Thorn – Torun, Löbau  -  Lubawa , ( dabei kann es vorkommen, dass sie gleich geschrieben und nur anders ausgesprochen werden, wie „Paris“. Im Deutschen wird er ausgesprochen, wie er geschrieben wird,  nicht so im Französischen, da heißt  es „Pari“)     oder

2.     Namen können  Übersetzungen sein (wenn auch nicht immer ganz genau) wie Neumark – Nowe Miasto, Liebemühl (im Kreis Osterode) - Milomlyn, Heiligelinde in Ostpreußen – Swieta Lipka,      oder

3.     ohne Bezug zum eigentlichen Namen, wie  Königsberg – Kaliningrad,     gebildet worden sein.

 Diese 3. Form der Umbenennung lässt sich in zwei Kategorien teilen:

a)         die politisch motivierte

b)         die nationalistisch motivierte Kategorie.

 Lassen Sie mich das ausführlicher behandeln.

Zu a)   Politische Umbenennungen hat es in Laufe der Geschichte immer gegeben. z. B.  bekam Sieburg bei Kassel nach Landgraf Karl von Hessen-Kassel (der den hugenottischen Ort zu einer Hafenstadt ausbauen wollte) den Namen Karlshafen, heute Bad Karlshafen.

In der Nachfolge von Fürstennamen stehend, ideologisch  - in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen – begründet, werden Ortsnamen gern zur politischen Manifestation genutzt.  .

Das wird exemplarisch bei St. Petersburg. Aus "Sankt Petersburg" wurde im Laufe eines Jahrhunderts "Petrograd",  dann   "Leningrad" und heute wieder "Sankt Petersburg".

Eine politische Manifestation in einem Ortsnamen gab es auch in Deutschland, in der ehemaligen DDR: Die Stadt "Chemnitz" wurde zu "Karl-Marx-Stadt" und nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Staates DDR bekam sie ihren alten Namen wieder zurück.

Diese Namensänderungen erfolgen innerhalb eines Volkes und einer Sprache und sind ideologisch begründet.

 Anders ist es b) mit den Namensänderungen aus nationalistischen Motiven.  Sie sind gegen ein anderes Volk gerichtet. Bei ihnen geht es um eine sprachliche Dokumentation eines Besitzanspruchs auf ein Land, eine Stadt, einen Ort.

 Während der NS-Zeit hat es solche Umbenennungen gegeben;

z.B. die Umbenennung von Gdingen (poln. Gdynia) in Gotenhafen. Auch Orte im Kreis Neumark erhielten während des 2. Weltkriegs einen neuen, "deutschen" Namen. Wie z.B. Lekarth (poln. Lekarty) in Erhardsdorf; Gronowo in Grönau; Groß Ballowken (poln. Wielkie Bałki) in Großballen; Lonkorsz in Großlinker; Zlottowo in Güldenbach; Truschin in Heikenwalde; Borrek in Jungborken ; Kielpin in Kölpen; Krottoschin in Kortensee ; Wronken in Krähenhof; Linnowitz in Linnau; Jamielnik in Mispelwald; Omulle in Mole; Groß Pacoltowo in Petzelsdorf; Radomno in Radem; Rumian in Ramnitz; Ossa in Rehwinkel; Rybno in Rübenau; Ostrowitt in Schildern; Zwiniarz in Schweinichen; Swiniarc in Segersdorf; Jeglia in Tannenberg; 

 Nationalistisch motivierte Umbenennungen hat es nach dem 2. Weltkrieg in den ehemaligen deutschen Gebieten, am häufigsten in Nordostpreußen, durch die Russen gegeben. Die schon genannte Umbenennung "Königsbergs" in "Kaliningrad", ist das herausragendste Beispiel.

 In Polen und Tschechien ist die Problematik der Umbenennungen in ehemaligen deutschen Gebieten  eine andere als die in den von Russland okkupierten Gebieten. Hier haben viele Orte schon lange Namen in deutsch und polnisch bzw. tschechisch gehabt.

Nur dort, wo es in Ostpreußen, Westpreußen,  Pommern, Ostbrandenburg und Schlesien,  keine früheren polnischen Namen gab oder diese zu sehr deutsch oder preussisch klangen, sind neue Namen in polnisch entwickelt  worden, wie z.B. Gorzow Wielkopolski für Landsberg .

 Deutsche Namen waren  in den ehemaligen deutschen Gebieten, die zu Russland, Polen oder Tschechien kamen, unerwünscht, zumal nach der nationalistischen Propaganda russischer, polnischer bzw. tschechischer Regierungen diese Orte schon immer russisch, polnisch bzw. tschechisch  waren, musste das  mit der jeweiligen nationalsprachlichen Bezeichnung dokumentiert werden.

Und diesem nationalistischen Ansinnen ist man in Deutschland weitgehend gefolgt.

Anläßlich einer Elbefahrt von Magdeburg nach Tetschen in Tschechien, im ehemaligen Sudetenland, steht in einem, den Reisenden vom deutschen Reiseveranstalter übergebenen Prospekt zur deutsch-tschechischen Grenze:

"Von hier ab, der Grenze zwischen Deutschland und Tschechien, heißt die Elbe  „Labe“."

 Was für ein Unfug.

Natürlich heißt in Deutsch die Elbe auch in Tschechien bis zur Quelle „Elbe“, genauso wie in Tschechisch  die Elbe auch  in Dresden, Magdeburg oder Hamburg „Labe“ heißt.

Auch zur Stadt Tetschen stand in den Reiseprospekten entweder nur der Name in tschechisch  „Decin“  oder es war danach in Klammern vermerkt (ehemals  Tetschen).

Ähnlich ging es weiter auf der Busfahrt nach Prag. Die Stadt Aussig stand im Prospekt nur in tschechischer Sprache „Usti nad Labem“ ( Aussig an der Elbe ). Nur bei Prag , tschechisch „Praha“ – polnisch „Praga“ – englisch „Prague“ hat man es bei der deutschen Bezeichnung belassen.

Das in Tschechien Erlebte finden wir in unserer alten Heimat:

Danzig hieß auch zur Zeit, als sie deutsch besiedelt war, auf polnisch „Gdansk“ . Und natürlich ändert sich der Name der Stadt durch die Vertreibung der deutschen Bevölkerung in ihrer – der deutschen - Sprache nicht. Diese Stadt heißt Danzig  u n d  Gdansk  u n d  hat noch viele andere Namen in anderen Sprachen. Und es ist deshalb unkorrekt, wenn geschrieben oder gesagt wird, diese Stadt hieß früher Danzig und heißt heute Gdansk!

 Wie bereits angemerkt, nutzten Russland, Polen und die damalige Tschechoslowakei die nationalistische Unterdrückung der deutschen Namen für ihre Politik. Es war ein kalkuliertes Mittel, um die okkupierten ehemaligen deutschen Gebiete für das jeweilige Staatsgebiet  abzusichern.

 Die Frage drängt sich auf, warum machen  Deutsche dieses Spiel mit, warum benennen sie Landschaften, Flüsse und Orte, die einst deutsch waren, nicht in der eigenen Sprache? Sie kämen nicht auf den Gedanken z.B. Mailand – Milano zu nennen, auch nicht Rom = Roma. Und sie würden auch nicht „Roms“ Kulturschätze die von „di Roma“ nennen.

 Die Antwort finden wir in unserer jüngsten Geschichte.

Nach der verheerenden Niederlage im 2. Weltkrieg und den vielen unvorstellbaren Verbrechen Hitlerdeutschlands, besonders an Juden, war man sowohl von Seiten der Politik, als auch der Medien geneigt, dem russischen, polnischen und tschechischen Interesse auf Verzicht der deutschen Namen nachzugeben.

Man wollte damit dokumentieren, dass man diese Gebiete nicht wieder zurückverlangt. Also keinen Besitzanspruch mit der deutschen Namensnennung erhebt.

Nur hat man dabei nicht bedacht, dass man mit der Unterstützung nationalistischer Verhalten selber zum Förderer des Nationalismus wird.

Kann man das ernstlich wollen? Gerade auch im Hinblick auf ein geeintes Europa?

Gewiß, es gibt Fälle, eine Stadt, eine Landschaft, einen Fluss in fremder Sprache zu benennen, weil es sinnvoll ist oder man zeigen will, dass man den Namen aussprechen kann. Sinnvoll, ja sogar nötig ist es oft, einem Polen gegenüber den polnischen Namen eines Ortes zu benutzen, weil er möglicherweise den deutschen nicht kennt.

Aber sonst:

Lassen wir – wie auf vielen anderen Gebieten, auch bei den Namen wieder Normalität einkehren, und helfen wir so zu einem einigen, demokratischen und friedlichen Europa zusammenzuwachsen, wo jeder so reden kann, wie ihm der Schnabel gewachsen ist!!!

 

 

 


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