Heute
möchte ich mich an ein sehr schwieriges Thema wagen. Schwierig
deshalb, weil es uns Heimatvertriebene besonders emotional betrifft.
Es geht um das deutsch-polnische Verhältnis.
Wir
hatten 1999 polnische Jugendliche zu einer deutsch-polnischen
Jugendbegegnung in ein Zeltlager nach Hude eingeladen. Im vergangenen
Jahr, also 2000, sind wir mit deutschen Jugendlichen zum
Gegenbesuch, auf Einladung der Oberschule Norwida, in Neumark
gewesen, haben somit den
deutsch-polnischen Jugendaustausch fortgesetzt. Im März dieses Jahres
war eine Delegation des Landkreises Oldenburg – angeführt vom
Landrat und Oberkreisdirektor - auf
Einladung des polnischen Landrats, des Starosten, in Neumark. Mitte
August war eine polnische Delegation mit dem Landrat des neuen Kreises
Neumark (powiat Nowomiejski ) in Wildeshausen zum Gegenbesuch beim
Landkreis Oldenburg. Schon viel früher hat Herr Orlovius Kontakte
nach Löbau geknüpft, und Geld für die Johanneskirche in Löbau, die
frühere evangelische Kirche – heute katholisch – gesammelt.
Alle
Aktivitäten haben, neben der Pflege der eigenen deutschen
Vergangenheit, das Ziel, Aussöhnung und Freundschaft mit Polen zu fördern.
Sicher
sind nicht alle Landsleute davon begeistert. Mancher wird sich denken,
da wird Freundschaft gesucht zu Polen und viel Geld ausgegeben für
polnische Jugendliche, also für Jugendliche von Polen, Jugendliche
eines Staates, der uns vertrieben, unser Eigentum geraubt hat und uns
bis heute unsere Heimat vorenthält - der vielen
unendliches Leid angetan hat und nicht wenigen das Kostbarste,
das Leben, nahm. Wie kann man Freundschaft mit
einem solchen Volk knüpfen? Auch unsere wenigen deutschen
Landsleute, die heute noch in Neumark wohnen, könnten sagen, kümmert
Euch um uns und unsere Jugend und nicht um die Polen.
Nun,
auch ich teile das Schicksal aller deutschen Vertriebenen. Auch meine
Familie wurde ihrer angestammten Heimat, ihrer Grundstücke und Häuser
in Danzig-Oliva beraubt. Und noch schlimmer, meinen Großvater väterlicherseits
- er war gerade 68 Jahre alt geworden –
haben Polen 1945 ins Danziger Gefängnis Schießstange gesteckt
und dort zu Tode geprügelt! Auch ich könnte mehr Abneigung –
zumindest mehr Distanz - als Wohlwollen gegenüber denen
aufbringen, die zu dem Volk gehören, dass uns dieses angetan
hat.
Im
folgenden will ich versuchen, eine Erklärung dafür zu geben, warum
ich – trotz alledem - eine ehrliche Aussöhnung und Freundschaft mit
Polen suche und dafür arbeite: Voraussetzung dafür – also den
Versuch der Erklärung – ist die Akzeptanz,
das deutsch-polnische Verhältnis auf zwei Ebenen zu
diskutieren, der persönlich-emotionalen und der politischen.
Betrachtet
man das Ganze nur aus der Perspektive der persönlichen Betroffenheit,
ist ein Standpunkt nachvollziehbar, der darin gipfelt: mir und meiner
Familie ist durch Polen Unrecht geschehen und ich will deshalb von
Polen nichts wissen. Wenn dann von Politikern – wie letztlich von
Innenminister Schily auf dem Schlesiertreffen - darauf
hingewiesen wird, dass auch Polen unter Deutschen während der
Zeit von 1939 bis 1945 gelitten haben, werden die meisten sagen können:
„Dass das von Deutschen begangen wurde, ist sehr schlimm, aber ich
selbst und meine Familie haben keinem Polen etwas getan. Außerdem
rechtfertigen die Verbrechen von Deutschen an Polen nicht die
Verbrechen der Polen an Deutschen.“ Damit könnte man es bewenden
lassen.
Anders
aber, wenn man die ganze Geschichte auf eine andere Ebene hebt, - nämlich
aus der persönlich-emotionalen heraus -
in die Interessensphäre der Gesellschaft, auf die
politische Ebene. Da
müssen wir konstatieren, dass der Verlust Ostdeutschlands zuallererst
ein Verlust für alle Deutschen ist - und dann erst ein Verlust für
die Heimatvertriebenen. Deutschland verlor über ¼ seines
Staatsgebiets und das Siedlungsgebiet von 18 Millionen Deutschen; ca.
15 Mill. Deutsche mussten im Restdeutschland aufgenommen werden. [Wir
müssen aber auch konstatieren, dass dieser Verlust der deutschen
Staatsführung unter Hitler zuzuschreiben ist.]
Unsere
Nachbarn taten und tun sich mit Deutschland nicht nur wegen der
letzten Kriege schwer. Seine
Existenz war und ist die Herausforderung. Wir müssen uns vergegenwärtigen,
dass Frankreich, England und Russland bis 1871
„die Weltmächte“ waren.
1871 gelang es, die deutschen Länder in einem deutschen Staat
– einem Bundesstaat – zusammenzufassen. Mit dieser Reichsgründung
entstand in der Mitte Europas der mächtigste Staat Europas. Ein
Hineinregieren der Nachbarn, wie zu Zeiten des „Heiligen Römischen
Reiches deutscher Nation“ war nicht mehr möglich, schlimmer noch :
ein „Rivale“ trat auf die Weltbühne.
Der
erste Weltkrieg hat, neben anderem,
hierin seine Ursache. Und die Siegermächte haben mit dem
Versailler Vertrag die Gelegenheit genutzt, Deutschland zu stutzen und
damit zu schwächen. Der Wiener Kongreß – 100 Jahre zuvor - war mit
dem besiegten Napoleonischen Frankreich sehr viel humaner umgegangen,
Frankreich musste keinen Quadratmeter in Europa abgeben, blieb in
seinen Grenzen erhalten.
Man
kann durchaus die These vertreten : Es ging in den letzten 130 Jahren
um die Vorherrschaft in Europa.
Es
ist ein Irrtum, zu glauben, mit der Gründung der
EU wäre dieses Denken in der europäischen Politik beendet.
Auch in der EU geht das Gerangel weiter, wie der französische Präsident
CHIRAC bei den
letzten Verhandlungen über die Veränderungen der Stimmengewichtung
in Gremien der EU bewiesen hat. Glücklicherweise bedeuten, dank der EU, diese Gerangel keine
Kriegsgefahr mehr. Und auch die Versuche von England und Frankreich,
die deutsche Wiedervereinigung zu verhindern, basieren auf diesem
Denken und liegen erst 11 Jahre zurück. Beispiele, die sicher allen
bekannt sind. Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Der Britische
Abgeordnete der Konservativen, Sir Peter Tapsell (71),
verglich im Mai dieses Jahres die Vision Kanzlers Schröders
von einem neuen Europa mit
Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“. Dies war dann auch der Startschuß
für eine breit angelegte anti-deutsche
Kampagne in britischen Medien, wie der „Mail of Sunday“,
die sich verstieg, zu schreiben, die britischen Soldaten in
Mitteleuropa erhielten ihre Befehle vom deutschen
Nato-Europa-General Rainer Schuwirth aus Görings
Wehrmachts-Bunker.
Es
scheint, einige EU-Mitglieder reiben sich heute daran, dass
Deutschland – innerhalb der EU - die größte und wirtschaftlich stärkste
Nation Europas ist und – nach dem Beitritt der osteuropäischen
Staaten - in der Mitte der EU liegen wird. Und gerade wegen dieser
Lage Deutschlands, seiner wirtschaftlichen Größe und seiner
Vergangenheit, muß jede
deutsche Regierung viel behutsamer und stiller die deutschen
Interessen vertreten, als es andere Länder tun können. Laute
nationale Sprüche, wie sie etwa von England oder anderen Ländern zu
hören sind, dürfen sich deutsche Politiker nicht leisten.
Also,
Freundschaft mit allen europäischen Nationen zu erreichen und zu
sichern ist gar nicht so
einfach. Selbst in Dänemark hat es erheblichen Widerstand
beachtlicher nationaler Gruppen gegen den gutgemeinten Versuch zur
Bildung einer grenzüberschreitenden (deutsch-dänischen) Europäischen
Region – wie es auch in anderen Teilen Europas versucht wird -
gegeben, weil sie den Namen Schleswig tragen sollte.
(Bekanntlich gehört Nord-Schleswig – früher Teil des deutschen
Reiches - seit der
Abstimmung nach dem ersten Weltkrieg zu Dänemark, Süd-Schleswig
verblieb bei Deutschland – heute Teil Schleswig-Holsteins).
Natürlich
wird von weitblickenden Politikern versucht, die europäische
Integration weiterzuführen und letztendlich zu einem Staatsvolk –
einer Nation - der Europäer zu kommen, weil ihnen klar ist, nur ein
vereintes Europa kann auf Dauer seine Stellung in der Welt halten.
Aber das ist -
so es überhaupt gelingt - ein langer Weg.
Auf
Grund unserer geographischen Lage – im Herzen der EU gelegen – ist
es geradezu zwingend für uns Deutsche, ein gutes nachbarschaftliches
Verhältnis zu unseren zukünftigen
östlichen EU-Mitgliedern aufzubauen und zu pflegen. Wohlgemerkt, es
ist zwingend für uns Deutsche. Daß die Regierungen sich verstehen,
genügt nicht. Die Menschen – die Bürger – müssen zueinander
Vertrauen gewinnen. Und wer kann das besser in bezug auf Polen und die
Polen in unserer alten
Heimat, als die ehemaligen deutschen Bewohner. Wir kennen die
Landschaft, wir kennen die Geschichte, besonders auch die Geschichte
des letzten Jahrhunderts, und wir kennen auch etwas die Mentalität
und die Eigenarten der heute dort wohnenden Polen. In unserem Kreis
und im Kulmerland insgesamt sind es ja überwiegend noch die Polen,
die schon früher dort wohnten und deren Nachkommen. Wer im Kreis
Neumark vor 1945 gelebt hat, der hat polnische Nachbarn gehabt,
polnische Bekannte, ja vielleicht auch polnische Freunde. Und manch
einer hat auch polnische Verwandte.
Und
deshalb wiederhole ich: wer in Deutschland könnte es besser, eine
Aussöhnung und gutnachbarliche Beziehungen mit Polen zu erreichen, als die, die einstmals dort lebten! Wenn dies
von Deutschen, die keine oder nur wenige Kenntnisse von
Ostdeutschland und der Geschichte im Osten haben, also wenn die
Kooperation mit Polen ohne die Vertriebenen,
gesucht wird – was auch manchem Polen lieber ist – so verführt
dies unsere Nachbarn nur dazu, ihre eigene Geschichte mit ihren
eigenen Verfehlungen ruhen zu lassen und nicht aufzuarbeiten.
Letztendlich ein Mangel für die moralische Glaubwürdigkeit in
Europa. Im deutschen Interesse liegt das gewiß auch nicht.
Ein
Volk hat ein langes Gedächtnis –
auch wenn es in Deutschland heute etliche Lücken im eigenen
Geschichtsbewusstsein gibt
– letztendlich kommt es bei passender oder unpassender Gelegenheit
wieder hoch. Dann können historische Fakten zur Volksverhetzung
missbraucht werden. Deshalb lieber vorher die Geschichte, auch die
unangenehmen Teile, in wohlwollender Partnerschaft aufarbeiten.
Das ist meine These.
Und
mit den Verbrechen von Polen an Deutschen ist es ja genauso wie mit
den Verbrechen von Deutschen an Polen. Die Mehrheit der Polen, wie
auch die Mehrheit der Deutschen, hat keine Verbrechen begangen. Für
die jüngeren Generationen gilt das allemal.
Wichtig ist es , alles zu tun, dass Verbrechen, wie in der
Vergangenheit, nicht wieder passieren können.
Ich
habe bisher ganz bewusst das deutsch-polnische Verhältnis vom
deutschen nationalen Interesse betrachtet. Mir geht es darum, deutlich
zu machen, dass wir mit unseren Aktivitäten eine nationale Aufgabe
erfüllen. Aber eine nationale Aufgabe, die nicht gegen andere
Nationen gerichtet ist. Im Gegenteil, diese nationale deutsche Aufgabe
ist gleichermaßen eine europäische Aufgabe. Denn natürlich ist eine
derartige, auf Freundschaft mit den Nachbarn ausgerichtete
deutsche Politik auch beruhigend und nützlich für unsere
Nachbarn, besonders auch für Polen. Denn was ist für Polen
bedeutungsvoller, als die deutsche Garantie für die
Unverletzlichkeit der Westgrenze Polens?
Und mir geht es letztendlich um das Wohlergehen aller Völker im
vereinten Europa. Meine Erwartungen an Polen, wohlgemerkt keine
Forderungen, sondern Erwartungen einer Entwicklung im ureigensten
Interesse Polens, sind:
1. Demokratisierung aller Lebensbereiche.
2. Anerkennung des deutschen Anteils an der Entwicklung der ehemaligen
deutschen Gebiete und Pflege der übernommenen Kulturschätze. Das
erste wird langsam begonnen, das zweite erfolgt bereits: z.B. Danzig,
z.B. Marienburg.
Das
3. das ich für wichtig halte, ist: Aufarbeitung der eigenen
Geschichte, das Aufzeigen eigener Verfehlungen und die
Korrektur nationalistischer Geschichtsklitterungen, z.B.:
Grunwald war kein Sieg Polen über Deutschland sondern über den
Ordensstaat!
Es
ist erfreulich festzustellen, dass die polnische Gesellschaft seit 11
Jahren bestrebt ist, die Geschichte objektiv darzustellen. Einige
Beispiele mögen das belegen:
1.)
Das „Institut für nationales Gedenken“
(IPN) in Warschau (Siehe Frankfurter Rundschau vom 9. Mai 2001)
soll polnische Verbrechen aufarbeiten. Zitat der Zeitung:
„Polnische Verfehlungen in der Vergangenheit werden seit Jahren
erforscht, die Ergebnisse veröffentlicht und debattiert – immer öfter
ohne Scheuklappen“.
2.)
Das Massaker von Lamsdorf (Schlesien). Der frühere Kommandant
eines Nachkriegslagers für Deutsche steht vor Gericht (Spiegel Nr.
23/ 2.6.01).
3.)
Ermordung von 1600 jüdischen Mitbürgern am 10. Juli 1941 im
ostpolnischen Dorf Jedwabne durch die polnischen Dorfbewohner. In
diesem Falle zeigt es sich, wie schwer es vielen Polen fällt,
Verbrechen der eigenen Nation anzuerkennen. Der Polnische Präsident
Kwasniewski hat die Gedenkrede gehalten und sich bei den Juden
entschuldigt, die Dorfbewohner blieben weg und auch Vertreter der
polnischen Kirche – die sonst überall zugegen sind - fehlten.
Es
tut sich aber auch etwas bezüglich der Einstellung der Polen in
unserer alten Heimat zu den Deutschen: Im letzten Drewenzboten
berichteten wir von einer öffentlichen Befragung in Neumark, bei der die
Bürger kundtun sollten, wen sie für die bedeutendste Person des 20. Jahrhunderts in Neumark halten. Der einzige
Deutsche, der auf der Vorschlagsliste stand, der Arzt Dr. Lange aus
Lonk, der das Neumarker Krankenhaus eingerichtet hat und sein Gut
dem Kreis schenkte, bekam die meisten Stimmen, d.h., ihn hält
die Bevölkerung von Neumark für die bedeutendste Persönlichkeit
ihrer Stadt.
Ich
hoffe, dass es mir gelungen ist, die Bedeutung unserer Arbeit, eine
Aussöhnung mit Polen zu erreichen und Freundschaft zu Polen und den
polnischen Bewohnern in unserer alten Heimat zu knüpfen, deutlich zu
machen.
Und
ich füge hinzu: Wir haben schmerzhaft erfahren, dass kriegerische
Auseinandersetzungen mit unseren Nachbarn nichts als Leid bringen und
begriffen, dass Deutschland, in der Mitte Europas gelegen, gut beraten
ist, Freundschaft zu allen Nachbarn zu suchen und zu halten und dass
die Vereinigung Europas
in der EU eine Chance für dauerhaften Frieden in Europa und vor allen
Dingen Frieden mit unseren Nachbarn, Frieden für Deutschland ist.
Und
noch etwas, Heimat bleibt Heimat! Auch
wenn wir sie jetzt
nur noch besuchsweise erleben können, ist es angenehm, Freunde zu
treffen, auch polnische Freunde.