Das Kreisgebiet Neumark zur Zeit des Deutschen Ordens im 13./14. Jahrhundert 

 

 

Festvortrag  von Prof. Stephan Freiger anläßlich des 50. Heimatkreisreffens zu Pfingsten 1999 in Hude.  

Wer waren die Bewohner des ehemaligen Kreises  Neumark/Westpreußen,

woher kamen sie, wo sind sie geblieben,

wer wurde vertrieben und wer ist geblieben?

 

Für dieses Referat hatte ich eigentlich meine Kollegin, die Professorin Heide Wunder gewinnen wollen, eine Historikerin, die über ethnische Fragen in der Ordenszeit gearbeitet und geschrieben hat. Ihr Buch über die Komturei Christburg, zu der zumindest zeitweise die Vogtei Brattian gehörte, enthält dazu einige Informationen. Im übrigen, die Stadt Neumark war zur Ordenszeit Teil der Vogtei Brattian. Für meinen Vortrag habe ich die Arbeiten von Frau Wunder mitverwandt.

Bezug zur aktuellen ethnischen „Säuberung" im Kosovo

Ich hatte schon am Anfang unserer Festveranstaltung in Hude auf die Vorgänge im Kosovo und drumherum bezug genommen. Jetzt möchte ich dort anknüpfen, aber mit einer anderen Fragestellung.

Wir hören fast täglich im Zusammenhang mit dem Kosovo von „ethnischer Vertreibung", „ethnischer Säuberung".

Was bedeutet das denn? Ethno, ethnisch, Ethnie, Ethnologie kommt vom grichischen Wort „éthnis" und bedeutet - nach Meyers Lexikon - „Menschengruppe mit einheitlicher Kultur", kürzer „Volk", „Volksstamm".

Vorüberlegungen zur Ethno des Kreisgebiets Neumark

Was wissen wir über die ethnische Entwicklung unseres Heimatkreises Neumark.

Wenn man sich Klarheit darüber verschaffen will, über die ethnische Entwicklung und die abstammungsmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung des Kreisgebiets Neumark, muß man weit in der Geschichte zurückgehen.

Dabei ist offensichtlich: Eine Bevölkerung bleibt nicht immer gleich, sie verändert sich permanent.

Nicht nur, das Menschen geboren werden und sterben. Wobei schon durch diese Generationenablösung kulturelle Veränderungen befördert werden, sowohl einzelner, als auch ganzer Gruppen. Hineingeboren werden in ein Volk, dem die Eltern oder noch frühere Vorfahren nicht angehörten, die also zugewandert waren, erleichtert die Assimilation.

Das kann schnell gehen, oder auch viele Generationen dauern. So hat das Aufgehen der Prußen in Ostpreußen im deutschen und ihre Verschmelzung mit Deutschen und anderen Bevölkerungsgruppen 15 Generationen gedauert. Nun waren allerdings die Prußen nicht eingewandert, sondern umgekehrt, die Deutschen waren eingewandert.

 

Eine Bevölkerung verändert sich ethnisch aber besonders durch friedliche Zuwanderung und Abwanderung genauso, wie durch Auswirkungen von Katastrophen, von Kriegen, von Seuchen, von Benachteiligungen, von Unterdrückungen und von Vertreibungen.

Und neben Zeiten relativer Beständigkeit der ethnischen Bevölkerungsstruktur gibt es Zeiten radikaler Veränderungen. Wir brauchen nur unsere eigenen Erfahrungen zu Rate zu ziehen, um manche historischen Veränderungen der Bevölkerungsstruktur zu verstehen. Viele von uns haben Krieg und Vertreibung erfahren.

Und heute brauchen wir uns nur vor der Haustür umzusehen, das Fernsehen bringt es uns täglich in die Wohnstube, die ethnischen Konflikte und Verschiebungen im ehemaligen Jugoslawien.

Fast alle Veränderungsursachen der Vergangenheit gibt es auch heute - leider - die Menschheit scheint nicht zu lernen - , bis auf das Auftreten von Seuchen, wie etwa der Pest, das gibt es in unseren Breiten nicht mehr. Das verhindert die entwickelte Hygiene und Medizin.

 

 

Die Arten der Bevölkerungsveränderungen

Um die ethnische Entwicklung unserer alten Heimat zu verstehen, müssen wir uns die verschiedenen Arten vergegenwärtigen.

Fangen wir bei den friedlichen Veränderung einer Siedlungsbevölkerung an.

Ein sehr häufig auftretender Zuzug von Menschen anderer Sprache und Kultur erfolgt durch Anwerbung von Bauern, Arbeitern, Handwerkern und auch der Intelligenz durch die Landesherren bzw, die Regierungen. Dabei kann es um Zuwanderung von Menschen für sozial untergeordnete Tätigkeiten gehen, z.B. Fabrikarbeiter oder Landarbeiter, wie in den Nachkriegsjahren in der alten BRD zur Zeit des Wirtschaftswunders Arbeiter aus Südeuropa und der Türkei angeworben wurden. Am Anfang mit Blumen empfangen , aber schon lange halten wir die Grenzen zu, so gut es geht. Die abgebenden Länder unterstützen diese Ausreise meistens, weil es sich in der Regel um Menschen handelt, die im eigenen Land nicht gebraucht werden und überdies verdiente Gelder ins Heimatland transferieren.

Es werden aber oft auch Menschen mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten (z.B. Bauern mit besseren Wirtschaftsmethoden, Handwerker mit besseren oder neuen Fähigkeiten, Administrationskräfte, Militärs) angeworben. Der größte Teil der deutschen Ostsiedlung ist so erfolgt.

Und auch die ersten deutschen Militärs und Siedler in Preußen östlich der Weichsel wurden vom polnischen Herzog Konrad von Masowien gerufen. Er gründete - da der von ihm zunächst gerufene deutsche Ritterorden, seit 1226 in einer errichteten Burg Vogelsang am Westufer der Weichsel sitzend jahrelang nichts gegen die Prußen tat, selbst einen Ritterorden nach dem Vorbild des livländischen Schwertbrüderordens, der als Dobriner Orden bezeichnet wird. Es waren 15 deutsche (und zwar mecklenburgische) Ritter, die die Burg Dobrin - südlich von Strasburg, dem späteren Nachbarkreis von Neumark, - mit einem Landstrich erhielten und auch deutsche Siedler anwerben sollten und es wohl auch taten, wenn wohl auch mit nicht allzu großem Erfolg. Sie schlossen sich später dem Deutschen Orden an. Es wurden oft auch Menschen zur Besiedlung leerer oder leergewordener Gebiete gebraucht und angeworben. Z.B. in unserer alten Nachbarschaft in Masuren. Prußen, Deutsche und vor allem Masowier folgten dem Ruf des Ordens. Sie verschmolzen zur Volksgruppe der Masuren - lange Zeit mit einem polnisches Dialekt.

 

Dann gibt es Zu- und Abwanderungen:

Weil im Herkunftsland schlechte Lebensbedingungen herrschen (wie z.Zt. in der Türkei).

Wenn das Herkunftsland übervölkert ist bzw. war. Dann waren z.B. Bauern zu bekommen (heute - im Zeichen der Industriealisierung - ist dies kein Problem mehr; aber früher erfolgte deshalb u.a. auch die Auswanderung nach Übersee).

Wegen besserer Arbeits- u. Lebensbedingungen im Zielland , also schon nicht mehr aus Not. Z.B. heute aus Osteuropa, auch aus Polen, oder wenn junge Leute in die USA gehen.

 

Dann gibt es Zu- und Abwanderungen aus unfriedliche Ursachen; Menschen flüchten oder werden vertrieben. Andere Länder nehmen sie auf.

Vertreibungen erfolgen:

Aus religiösen Gründen (z.B. Hugenotten in Frankreich – in Deutschland aufgenommen. So wurden Mennoniten in Westpreußen aufgenommen u.a., im Kreisgebiet Neumark auch niederländische Protestanten).

Aus ethnischen Gründen (Heute Kosovo, früher unsere eigene Vertreibung. Ethnische „Säuberungen" sind eine Erfindung unseres Jahrhunderts!).

Auch aus politischen Gründen , auch aufgrund kriegerischer Ursachen.

Früher spielten auch Seuchen eine große Bedeutung als Ursache für Wanderungsbewegungen.

 

Die Probleme mit der Sekundärliteratur für das Kreisgebiet Neumark

Sich ein einigermaßen objektives Bild über die Ethnik im Kreisgebiet Neumark zu verschaffen ist garnicht so leicht. Einmal ist das Kreisgebiet Neumark sowieso schon ein Sonderfall und paßt in keine übergeordnete Region, weder ins Kulmerland (da allenfalls nur der westliche Teil), noch Westpreußen, noch Ostpreußen.

Hier erfolgte die erste erfolgreiche friedliche Christianisierung von Prußen. Der Mönch Christian aus dem Kloster Oliva reiste hierzu mit zwei prußischen Edlen aus Löbau und Lansania zum Papst nach Rom. Vom Papst wurde er zum Bischof Preußens ernannt mit Sitz in Löbau. Allerdings dauerte seine Residenz nicht lange. Er wurde von anderen prußischen Stämmen gefangen genommen und als er wieder frei kam, hatte der Orden die Macht auch in Löbau übernommen. Später waren wichtige Teile des Kreisgebiets Besitz des Kulmer Bischofs mit Sitz in Löbau und des Kulmer Domkapitels im Kreisteil Kauernik.

Zur deutsche Zeit war der Kreis Neumark die polnische Ecke, der Kreis mit dem größten Anteil an Polen in Westpreußen.

Probleme hat man bei der Verwendung von Sekundärliteratur auch aus anderen Gründen. Mit deutscher Geschichte - mit polnischer Geschichte, mit deutscher Wahrheit - mit polnischer Wahrheit.

Eine Wahrheit fehlt weitgehend in der Geschichtsschreibung, die Wahrheit der Ureinwohner im Löbau-Neumarker Land. In der deutscher Literatur wird die Darstellung deutscher Siedlungen bevorzugt, in der polnischen entsprechend polnische Siedlungen.

Wenn ich hier von historischen Wahrheiten spreche, dann ist das mit den Wahrheiten ernst gemeint. Abgrenzen von historischen Wahrheiten möchte ich historische Irrtümer, Fehlinterpretationen und Unwahrheiten bis Lügen. Denn leider wird oft genug die Geschichte nicht zur Aufhellung der Vergangenheit genutzt, sondern für aktuelle politische Forderungen und Handlungen, etwa um nationale Rechtsansprüche auf ein Land zu stellen oder zu Begründen.

Ich möchte da anfangen, wo eine historischer Nachweis möglich ist.

 

Die Prußen

Wir wissen sicher, daß bis zur Ankunft des Ritterordens im Kreisgebiet Neumark ca. 500 Jahre lang - also ein halbes Jahrtausend - Prußen gelebt haben. Weiter östlich im späteren Ostpreußen noch 1000 Jahre länger.

Die verschiedenen Schreibweisen dieses Volksnamens, Prussen, Pruzzen, Prußen verleiten zu verschiedener Aussprache. Richtig dürfte ein langes u mit anschließendem ß sein oder man nennt sie einfach Alt-Preußen.

In jedem Falle sind sie Namensgeber des Staates Preußen, den die Alliierten 1947 von der Landkarte verbannt haben. Damit ist der letzte Rest an Erinnerung an dieses alte Bauernvolk verloren gegangen.

Der Alliierte Kontrollrat schreibt in der Präambel des Gesetztes zur Auflösung des Staates Preußen, „Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört".

Dabei nehmen die Preußen im Führen von Kriegen im internationalen Vergleich einen ehrenvollen hinteren Rang ein nach Briten, Franzosen und anderen Europäern.

Der Historiker Golo Mann nannte diese Aktion des Alliierten Kontrollrats „einen Fußtritt, den siegreiche Esel einem toten Löwen gaben."

Das auch davor schon Menschen in unserer Heimat gelebt haben, ist zwar bekannt, es waren germanische Stämme, (bis 6./7. Jahrhundert) zuletzt die Wandalen und Goten, und davor wieder andere Völker. Aber für meine Betrachtung ist das nicht so entscheidend.

Wichtiger ist, wer waren die Prußen? Allgemein sind die Völkerkundler der Auffassung, daß die Prußen ein westbaltischer Volksstamm sind, mit sprachlicher Verwandtschaft mit den Ostbalten, den Litauern und Letten.

Aber Sprache macht nicht alles aus. Und so ist die Frage nach der ethnischen Herkunft nicht ganz so eindeutig geklärt. TACITUS, 100 Jahre n.Chr. in seiner Germania schreibt von den „Aestii" an der Ostküste des Suebischen Meeres, gleichen in Sitte und äußerer Erscheinung den Sueben (Schwaben, die einstmals an der Ostsee lebten (zwischen Elbe und Oder) , blond, blauäugig, hellhäutig. Germanische Stämme, u.a. die Wandalen zwischen Oder und Weichsel, und später auch östlich der Weichsel (ungefähr auf dem späteren westpreußischen Teil ) und zuletzt die Goten waren ein Jahrtausend lang Vorgänger im späteren Westpreußen und Nachbarn der Prußen. Und auch die Normannen haben im 9./10. Jh. an der Ostsee östlich der Weichsel (Bekannter Hauptort war Truso) bis ins Baltikum hoch vor und/oder mit den Prußen in dem Gebiet gelebt.

Ich erwähne dies nicht, um den deutschen (germanischen) Anspruch auf dieses Land z u begründen, sondern mit dem Hinweis, daß wahrscheinlich auch eine ethnische Vermischung stattgefunden hat. Denn selbst, wenn ein großer Teil der Goten auf ihre Wanderschaft (Völkerwanderung) gegangen sind - der Wanderung, der sich auch der prußischen Volksstamm der Gelinden anschloß - blieben sicher auch Goten zurück, die sich dann an die nachrückenden Prußen assimilierten.

Einflüsse durch die prußische Sprache hat es gegeben. Die ostpreußische Mundart ist in ihrem Tonfall vom prußischen beeinflußt. Und das Wort Marjell oder Marjellchen ist ein prußisches Wort, und kommt von „mergo" = Jungfrau. Auch die Bezeichnung für den wilden Birnbaum „Kruschke" oder „Kruschkenbaum" kommt aus dem Prußischen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Löbauer Polnisch, auch dieser Tonfall und die Aussprache haben ihren Ursprung im Prußischen.

Ein anderes prußisches Wort ist mir noch geläufig. Nämlich „Kaddik" im prußischen „Kadiges" für Wacholderstrauch.

Die Zeit kurz vor der Ordenszeit

Wie sah die Besiedlung des Kreisgebietes Neumark vor Ankunft des Ordens aus? Im westlichen Teil des Kreises lebten Prußen und eingewanderte Polen, im östlichen Teil wahrscheinlich nur Prussen.

Aus den über 20 bekannten Burgbergen überwiegend der Prußen - 16 sind noch erkennbar - im Ostteil des Kreises Neumark, also im Löbauer Land - kann man von einer recht starken Besiedlung ausgehen.

Beherrscht wurde das ganze Kulmerland einschließlich des Löbauer Landes von den Prußen. Jahrzehntelange Versuche der kujawischen und masowischen Herrscher, das Kulmerland und das Land der Sassen - wozu das Löbauerland gehörte - durch Kriegszüge unter ihre Herrschaft zu bringen, waren ja gescheitert. Deshalb wurde ja der Deutsche Ritterorden zu Hilfe gerufen.

Wie die Einwanderung von Polen in das Land der Prußen vor sich gegangen ist, ob im Zuge der polnischen Eroberungskriege, Kreuzzüge, Christianisierung oder friedlich und in welchen Rechtsverhältnissen sie dort lebten, ist nicht bekannt. Leider hatten die Prußen keine eigene Schrift und auch sonst ist nichts Schriftliches von ihnen selbst überliefert, nur Berichte von anderen über sie.

 

Die Siedlungen während der Ordenszeit

Der Ritterorden befestigte und besiedelte zuerst die Weichsel abwärts und die Ostseeküste bis Memel aufwärts.

Das Kulmerland wurde erst nur bis zur Komturei Rehden befestigt. Später eroberte der Ritterorden das Neumarker Land und das Löbauer Land – das Land der Sassen. Dann wurden vom Ritterorden Siedler herangeführt, im Neumarker Kreis frühestens zu Ende des 13. Jh. wahrscheinlicher erst Anfang des 14. Jahrhunderts.

Prinzip der Siedlungsplanung des Ordens war zunächst die Ansiedlung von Deutschen nach Kulmer Recht bei Aufrechterhaltung der Rechtsnormen für die Siedlungen der Prußen und Polen. Es bestanden also Dörfer, je nach Volksgruppe, nebeneinander mit unterschiedlichen Rechtsnormen. Das hatte sowohl mit den wirtschaftsweisen zu tun als auch mit dem polnischen Landadel und dem prußischen Adel, den Freien.

Obwohl natürlich prußische aber auch polnische Siedlungen schon vor der Ankunft der deutschen Siedler bestanden, sollen die Siedlungen der deutschen Bauern am frühesten und detailliertesten in den Dorfgründungsurkunden ( den Handfesten ) dokumentiert sein. Allerdings konnte ich in den Heimatbüchern, weder den deutschen noch den polnischen, Erwähnungen solcher Handfesten aus dem 13. Jh. finden.

 

Die Siedlungen der drei Volksgruppen unterschieden sich sehr stark.

Die Hofstellen der deutschen Bauern wurden vorwiegend auf Rodungsland angesetzt. Sie hatten meist eine Größe von zwei Hufen = 33,6 ha.

Die Höfe der Deutschen waren größer als die der Polen und Prußen und entsprechend waren auch die deutschen Dörfer größer als die polnischen und die prußischen . Sie hatten eine Fläche zwischen 340 und 2000 ha, das entspricht 10 bis 60 Höfen, angestrebt wurden 1000 ha, also 30 Höfe .

Wieviel deutsche Dörfer im Kreisgebiet Neumark gegründet worden sind, habe ich nicht feststellen können. Wieviel polnische und prußische Dörfer zur Ordenszeit bestanden, ist nicht bekannt.

Da im Löbauer Land schwere Kämpfe während der Prußenaufstände stattfanden, sind sicher viele Dörfer zerstört und ihre Bewohner umgebracht bzw. vertrieben worden.

Dorfnamen mit sicherer prußischer Herkunft sind deshalb selten, z.B. Jeglia - später Tannewald - vom prußischen Namen „egle" für Tanne und Samplau vom prußischen Wort „samile" für Burg. Und natürlich Löbau von „Lippe" das Wort für Linde, wobei es hier auch Erklärungen aus dem polnischen und deutschen gibt.

Im Kreisgebiet Neumark sollen nach dem polnischen Heimatbuch bereits 13 polnische Dörfer vor der Eroberung durch den Orden bestanden haben. Über die Größenstruktur habe ich leider keine Zahlen gefunden. Die genannten Orte liegen alle in der ehemaligen Vogtei Brattian, z.T. wie auf einer Schnur aufgezogen am Rande des Löbauer Landes. Polnische Ortsnamen sollen z. B. Tillitz (Tylice) und Kazanitz (Kazanice) sein.

Der Orden förderte auch die polnischen Siedlungen. Bekannt ist, daß der Orden die Privilegien seiner polnischen Lehnsleute bestätigte, d.h. den Besitz ihrer Dörfer. Deutsche und Polen waren ja verbündete.

Städte, Bürger und Stadtdörfer

Ein weiteres Prinzip der Siedlungspolitik des Ordens waren die Stadtgründungen. Es wurden Städte gegründet, im Kreisgebiet Neumark, Löbau, Neumark und Kauernik.

Dabei gab es eine abgestimmte Stadt-Land-Siedlung , die die lokale Marktfunktion für die umliegenden Dörfer wahrnahmen. Die Stadtgründungen sind also im Zusammenhang mit Neugründungen von deutschen Dörfern zu sehen, deren Abgabensystem den Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten forderte. Dies erklärt das regelmäßige Netz kleiner Städte.

Da die prußischen Bauern vor allem zu Naturalabgaben und persönlichen Dienstleistungen verpflichtet waren, spielte für sie die Marktanbindung und - damit die Städte - kaum eine Rolle. Sie blieben primär herrschaftlich orientiert und abhängig. Ihre Naturalabgaben und persönliche Dienstleistungen mußten sie direkt an den Grundherren leisten.

Die ersten Bürger der neugegründeten Städte kamen in der Regel aus älteren deutschen Siedlungsgebieten oder aus den westlich gelegenen Ostseestädten. Auch die drei Städte im Kreis Neumark waren reine deutsche Gründungen.

Die Stadtgründungsurkunden enthalten in der Regel nur Aussagen über die eigentliche Bürgergemeinde enthalten, ist es möglich, daß ein großer Teil der unterbürgerlichen Stadteinwohner (also Gesinde und Tagelöhner) Prußen und Polen gewesen sind.

Der Orden stattete die Städte mit Landbesitz aus. Gleichzeitig mit der Stadtgründung und durch denselben Lokator erfolgte meistens die Gründung mindestens eines Stadtdorfes, das mit deutschen Bauern zu kulmischem Recht besetzt wurde, die kein eigenes Dorfgericht erhielten, sondern dem städtischen Schulzengericht unterstanden.

 

Die Siedlungszeiträume der deutschen Bauern

Die Ansiedlung deutscher Bauern begann in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Pomesanien, mußte dann aber wegen des Wiederauflebens der Kämpfe zwischen Orden und Prußen (1260 bis 1273) abgebrochen werden.

1269 wurde das Schloß Löbau ( zunächst eines aus Holz ) der Kulmer Bischöfe von den Prußen erobert und abgebrannt. Außerdem gab es bei Löbau eine weitere Schlacht mit einer Niederlage des Ordens.

Daher setzte die bäuerliche Siedlung erst im letzten Viertel des Jahrhunderts ein. Bezeichnend war das Vordringen der Siedlungen von der Basis an der Weichsel und Ostsee ins Landesinnere. Ortsnamen, Personennamen sowie Mundart deuten auf zwei Hauptsiedlerströme:

Einen binnenländischen, der vor allem aus dem gerade erst erschlossenen Schlesien kam – vielleicht daher der Name Görlitz für ein Dorf im Nordostzipfel des Kreises, und einen Niederdeutschen aus der norddeutschen Tiefebene östlich der Elbe. Dort gibt es sowohl Rosental als auch Waldeck. Viele Siedlungen entstanden später vor allem von den Neusiedlern selbst bzw. ihren Kindern und Enkeln.

Deutsche Bauern siedelten nicht nur auf den Besitzungen der neuen Landesherren, sondern ebenfalls unter Städten (Stadtdörfer), deutschen Adligen und prußischen Freien (prußische Adelsschicht).

Neben den Bauerndörfern gab es auch Gärtner- und Fischerdörfer, die in der Regel in der Nähe von Ordenshöfen mit größeren Eigenwirtschaften lagen, die neben dem ständigen Gesinde Lohnarbeiter für die landwirtschaftliche und handwerkliche Arbeit benötigten. Dafür boten sich „Gärtner" an, die nur ein Haus mit einen Garten besaßen, dessen Größe zwischen I -15 Morgen war, der die Arbeitskapazität nicht auslastete, so daß sie zusätzlicher einen weiteren Verdienst benötigten.

 

Soweit sich bisher feststellen ließ, konnte sich die Mobilität der prußischen Bauern nicht in einer Welle von Dorfneugründungen - wie bei den Deutschen - äußern. Es scheint, daß sie stattdessen in deutsche Dörfer und Städte als Gesinde und Tagelöhner gingen: jedenfalls deuten deutsche Niederlassungsverbote in diese Richtung.

 

Die Pest 1339 und die Folgen für die Bevölkerungsstruktur

Trotz dieser Eigendynamik waren 1350, als Preußen und die Herkunftsgebiete der Siedler ebenso wie weite Regionen Mittel- und Westeuropas vom Schwarzen Tod - der Pest 1339 - heimgesucht worden waren, keineswegs alle Siedlungspläne ausgeführt.

Nach den Bevölkerungsverlusten durch die Pest - besonders die deutschen Dörfer konnten die wüsten Höfe nicht mehr allein mit deutschen Bauern besetzen - bezogen Polen und Prußen in vielen kulmischen Dörfern die verlassenen Höfe.

Die Bevölkerungszahl zur Ordenszeit

Nun eine sehr sehr gewagte Schätzung von mir über die Bevölkerungszahl im Kreisgebiet, eigentlich nur, um sich ein ungefähres Bild zu machen:

Zur Ordenszeit haben im Kreisgebiet wahrscheinlich ca. 6.000 Menschen gelebt, davon. 2600 43% Deutsche - die meisten in den Städten - , 2100 35%. Polen und 1300 22% Prußen.

Diese Zahlen haben ich auf Grund einer Schätzung von Powierski entwickelt, der davon ausgeht, daß in dem Gebiet des späteren Ost- und Westpreußen ca. eine halbe Million Menschen gelebt hat, soviel wie heute die Stadt Bremen an Einwohnern hat, gegenüber ca. 5 Millionen vor der Vertreibung 1945.

 

 

Die völkische Veränderungen während der Zugehörigkeit zu Polen 1466 - 1772

Trotz des Autonomiestatuts des Königlichen Preußens nach der Abtretung an Polen ist eine Polonisierung erfolgt, an der die katholische Kirche maßgebenden Einfluß hatte.

Dann dezimierten die schwedisch-polnischen Kriege (1626-1629 u. 1655-1660) und Seuchen im Kreisgebiet (1629 Pest, 1633 Pest, 1660 Pest ) die Einwohnerzahl. Die Neubesiedlung nach den Kriegs- und Seuchenverlusten erfolgte hauptsächlich durch Ansässige und Neusiedler aus denNachbargebieten (Masowien/Polen). Evangelische Neusiedler aus Holland u. wahrscheinlich auch deustche Siedler kamen im 17. und 18. Jahrhundert hinzu.

Dann gab es nochmals Krieg (Nordische Krieg 1700 - 1721) und in dieser Zeit noch einmal die Pest in Neumark mit 404 Toten. Danach gab es nur noch 820 Einwohner. 1711/12 gab es sogar eine Pest unter dem Vieh.

Am Ende der polnischen Herrschaftszeit gab es nur noch 5 % Deutsche im Kreisgebiet Neumark. Die Prußen waren ganz verschwunden. D.h., da es keine Vertreibungen gegeben hat, eher noch Zuwanderungen auch aus den deutschen Landen, kann man feststellen, daß die meisten Deutschen und alle Prußen Polen geworden waren.

 

Die Zeit von 1815 bis 1920

Nennenswerte Neusiedlungen deutsche und polnische gab es erst wieder nach 1815, der Zugehörigkeit zu Preußen.

Polnische Ansiedlungen wurden seit der Gründung polnischer Vereine 1865 gefördert. Auch 50 Siedlerstellen in Moschen - sogar mit Hilfe der Preußischen Generalkommission 1893/97.

Durch Gesetz wurde 1886 die Ansiedlung von deutschen Bauern, Arbeiter und Handwerker auch im Kreis Neumark gefördert, bis 1914 wurden 390 deutsche Siedlerstellen geschaffen.

Der Gutsbesitz ging, soweit die Güter erhalten blieben und nicht parzelliert wurden, weitgehend in deutsche Hände über. Von 54 Gütern und Rittergütern waren in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts 47 (87%) in deutschen Händen und 9 (13 %) in polnischen Händen.

Dann gab es eine Abwanderung vieler Polen ins Ruhrgebiet - dort sind ihre Nachkommen heute gute Deutsche - und nach Übersee - sie wurden Amerikaner, Kanadier, Australier.

Die ethnische Aufteilung zum Ende der Zugehörigkeit zu Deutschland war ca. 80% Polen und ca. 20% Deutsche.

Die Zeit von 1920 - 1939

Viele Deutsche verließen den Kreis. Zunächst viele des öffentlichen Dienstes, aber dann auch andere. Also zunächst aus eigener Entscheidung. Dann wurden deutsche Beamte entlassen, deutschen Domänenpächtern wurde gekündigt. Viele deutsche Ansiedler verloren durch Liquidation, Annulation, Ausübung des Wiederkaufsrechts oder Zwang wegen drohender Enteignung ihre Ansiedlungen. Im Kreis Neumark 110 (u.a. Ansiedlungen in Tergewisch und Neu-Grodden). 195 deutsche Bauern verkauften freiwillig, weil sie um ihre Rechte fürchteten.

Es erfolgte eine Einwanderung von Polen aus dem ehemaligen Kongreßpolen. (Wie nach der Wiedervereinigung aus den neuen Bundesländern nach Westen, aus ökonomischen Gründen.)

1925 wurden viele Optanden für Deutschland, also die, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit behalten wollten, ausgewiesen - fast alle ledigen - darunter die ev. Pfarrer aus Neumark und Löbau.

An den Progymnasien in Löbau und Neumark wurden die zunächst für deutsche Schüler eingerichteten Abteilungen aufgelöst und die deutschen Schüler von der Schule verwiesen. Auch die Volksschulklassen mit deutscher Unterrichtssprache für deutsche Kinder wurden aufgelöst.

Viele Deutsche siedelten auch dann ins Reich über. 1939 war der Anteil der Deutschen stark gesunken.

 

Die Zeit von 1939 - 1945

1939 erfolgte eine Rückwanderung und eine Neuzuwanderung von Deutschen - insbesondere für die Verwaltung und das Schulwesen. Parallel erfolgte sofort eine Verfolgung und Aussiedlung der Juden und der polnischen Intelligenz und später eine Aussiedlungen der polnischen Bauern, deren Höfe man für Deutsche Bauern aus Bessarabien (Hitler-Stalin-Vereinbarung) konfiszierte .

Die Bevölkerungszahl des Kreises Neumark betrug 1944 in 2 Städte und 94 Gemeinden, davon 7 mit mehr als 1000 Einwohner, zusammen 62.776 Einwohner.

 

1945 und danach

Durch Flucht, Vertreibung und Ermordung der Deutschen wurde der Kreis Neumark völlig polonisiert. Der Kreis hatte ja schon zur deutschen Zeit seine Eigenart in Westpreußen. Er wurde die polnische Ecke genannt, weil in keinem anderen Kreis von Westpreußen der Anteil der Polen an der Bevölkerung so groß war wie im Kreis Neumark. Während die Nachbarkreise Rosenberg im Norden, Osterode und Neidenburg im Osten fast rein Deutsch waren und die übrigen anliegenden Nachbarkreise Strasburg,, Briesen und Graudenz mehrheitlich deutsch, schwankte der Anteil der Deutschen im Kreis Neumark je nach Landeszugehörigkeit zwischen 5% 1772 und über 20% 1919.

 

Während nun 1945 aus Ostpreußen und den übrigen Teilen Westpreußens die Deutschen und damit auch die Nachkommen der Ureinwohner , die Prußen, vertrieben wurden, sind sie im Neumarker Land als Polen in der Heimat geblieben, genauso wie polonisierte Nachkommen der Deutschen. Manch einer der hier singenden polnischen Jugendlichen auf unserem Heimatkreistreffen in Hude hat Prußen und natürlich auch Deutsche als Vorfahren.

Deshalb war es ja auch für viele Spätaussiedler relativ leicht, deutsche Vorfahren nachzuweisen.

Anders als in den ehemals rein deutschen Gebieten, in denen Polen aus dem Osten in die Häuser und Höfe der Deutschen zogen, sind im Neumarker Kreis nur die Lücken aufgefüllt worden, z. B. in Großlinker (Lonkorsz), wo Polen aus anderen Landesteilen auf deutschen Höfen angesiedelt wurden.

 

Schlußbermerkung

Spätere genetische Untersuchungen über die Verwandschaftsbeziehungen der beiden Völker werden eines Tages möglicherweise eine noch viel größere Nähe von Deutschen und Polen aufdecken als bisher angenommen.

Fazit: Wir haben abstammungsmäßig mehr miteinander zu tun als uns Nationalisten beider Völker weismachen wollten und eventuell noch wollen.

Wir brauchen nicht bis Adam und Eva zurückzugehen, um Verwandschaften nachzuweisen.

Bei dieser Kenntnis sollte es uns nicht schwer fallen, uns im zusammenwachsenden Europa auch wie Verwandte zu verhalten.


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