Fahrt erfolgreich durchgeführt!

      Der Besuch einer Teilnehmerin nach 60 Jahren auf dem Hof ihrer Familie in Kulingen, Kreis Neumark/Westpr. 

     wurde von einem Fernsehteam  für das ZDF aufgenommen.  

Bild: Danzig-Collage

Bericht über die Fahrt ins heutige Nordpolen   

von Ulla Linke

Informations-, Kultur-, und Erholungsreise nach Pommern, Danzig, Ost- und Westpreußen  

vom 14. Juli  bis  1. August 2006

Die Fahrt war neben den Informationen über die historische Vergangenheit und die derzeitige Situation im heutigen Nordpolen und dem Besuch historischer deutscher Städte, Landschaften und Baudenkmäler, auch erholsam.  

 

 

   

 

 Die Zahl der Mitreisenden ist überschaubar. 19-22 Personen: eine in Westpreußen, dem jetzigen Polen, aufgewachsene – der polnischen Sprache kundige –  Cousine (Anja, Anna Weider-Siemietkowski), von Prof. Stephan Freiger, mit ihren beiden Kindern (Sylvia und Oliver), drei Klassenkameraden mit Ehefrauen aus der Abiturklasse von Stephan Freiger, vier Teilnehmer aus Hannelore Freigers Schulzeit, sechs Mitglieder des Heimatkreises Neumark, von denen zwei, Vettern, durch die Mitteilung im Internet auf die geplante Fahrt aufmerksam wurden. Eine Teilnehmerin – die älteste in der Gruppe –  weckte das Interesse des ZDF. Sie, 82-jährig, sehr beweglich, lebhaft und mit einer positiven Lebenseinstellung, plante, nach 60 Jahren ihren elterlichen Hof zu besichtigen. Da wollte das ZDF dabei sein und eine Dokumentation erstellen. Wir hatten also zeitweise ein Fernsehteam um uns.

Die Fahrt für einen Teil der Mitreisenden – auch für meinen Mann und mich –  begann am 14. Juni  in Kassel, vor dem freigerschen Haus. Andere, die aus Richtung Süden anreisten, waren schon in Schwalmstadt in den Bus gestiegen. Die dritte Zusteigmöglichkeit auf dem Busbahnhof Wilhelmshöhe für diejenigen, die Kassel mit dem Zug anfuhren.

Über die Autobahn ging es Richtung Berlin, mit Ziel: Prenzlau. Prenzlau war mir nur durch den Prenzlauer Berg in Berlin bekannt. Bis zur Mitte des 18. Jahhrhunderts gab es im Berliner Mauerring ein Prenzlauertor. Durch dieses Tor führte eine Straße in das 90 km entfernte uckermärkische Prenzlau.

Wir übernachten im Hotel Wendenkönig. Wenden (lat Venedi) ist der alte deutsche Name für alle Slawen. Wenden oder auch Winden sind Westslawen, die vom 7. Jahrhundert an große Teile Nord- und Ostdeutschlands bewohnten, zunächst entlang der Elbe und der unteren Saale. Ihre Sprache verschwand nicht plötzlich sondern wurde durch einen Jahrhunderte langen Prozess, oft auch durch Gebrauchsverbote, zurückgedrängt. Noch Luther schimpfte über die "wendisch sprechenden" Bauern in der Gegend von Wittenberg. In einigen Gebieten, wie im niedersächsischen Wendland (s. auch Dawehn), oder in der brandenburgisch-sächsischen Lausitz, konnten die Slawen ihre kulturelle Eigenständigkeit und Sprache bis ins 19. Jahrhundert bewahren. Ein wendisches Idiom, sorbisch, hat sich bis heute erhalten, wie wir vor Jahren auf der Fahrt nach Bauzen an den in Deutsch und Sorbisch  ausgeschilderten Straßennamen ersehen konnten und auch daran, dass in  einem Gymnasium und einem Theater die sorbische Sprache gepflegt wurde.

Samstag, 15. Juli 2006: Nach einem guten Frühstücksbuffet bleibt noch etwas Zeit, den hübschen Garten des Hotels zu besuchen. Auf der großen Wiese am Haus hat man einen Teil beim Mähen ausgespart und eine Sommerwiese wachsen lassen. Zwischen dem hohen Gras wächst Mohn, Kamille, Bibernelle, Kornblume, Hirtentäschel, Sauerampfer und gelber Raps. Es ist ein traumhaftes kleines Paradies.

Bei der Abfahrt nimmt Stephan Freiger unsere Anregung auf und lässt den Bus an der großen Backsteinkirche, der Marienkirche aus dem 13. Jahrhundert, halten. Sie ist nicht geöffnet und wir können den grasbestandenen Platz um die Kirche nur umrunden. Eine kleine Tafel an der Außenwand weist darauf hin, dass der Leichnam Gustav Adolf II, der im dreißigjährigen Krieg bei Lützen von einer Kugel tödlich getroffen, vom 20.- 22.12.1632 in dieser Kirche aufgebahrt worden war. Nur einen kurzen Blick werfen wir auf das Dominikanerkloster, das Stadttor, Luthers bronzenes Standbild und die Plattenbauten um den Markplatz, die sich etwas farbiger als vor der Wende präsentieren. Dann geht es weiter.

Nur selten liegen neben der Autobahn Dörfer und Ortschaften. Vereinzelte Gehöfte sind unbewohnt und verlassen. Die Felder sind riesig, es gibt viele Windräder und die ersten Störche tauchen auf. Über dem weiten Land liegt ein blauer Sommerhimmel mit großen, weißen Wolken.

Die Kontrolle an der deutsch-polnischen Grenze dauert nicht lange. Später, in Karnitten, berichtet der deutsche Geschäftsführer des Hotels, dass der Besuch der Deutschen in Polen in diesem Jahr zurückgegangen sei. Ursache könnten die Einreisegebühren sein, die von den Polen an der Grenze erhoben würden. Wir zahlen 7,- € pro Person. Ob es nicht eher die deutschfeindliche Haltung des rechtsextremen polnischen Ministerpräsident Kaczynsky ist?

Wir erreichen Stettin (Szczecin). Nach einem größeren Umweg durch die Stadt parken wir auf einem Hügel an der Oder, in der Neustadt. Hier befinden sich die Hakenterrassen. Der Name geht auf Oberbürgermeister Haken zurück, der in den Jahren zwischen 1878 und 1907 Bürger der Stadt war und sich für die Umgestaltung des alten Festungswerkes Fort Leopold einsetzte. Von der Terrasse geht der Blick über die Oder zum Hafen. Die Promenade mit der davor liegenden Treppe liegt 19 m über der Oder. Von der Altstadt sehen wir nichts. Das alte Rathaus und das Museum Morskie auch nur von außen, da die Zeit knapp ist und ein Halt in Kolberg und Stolp vorgesehen ist. 

Stettin hat heute 400.000 EW. Als slawische Siedlung Ende des 7. Jahrhunderts gegründet, erhielt sie 1243 Stadtrecht und trat 1272 der Hanse bei. Danach wechselten Zeiten der Unabhängigkeit mit Zeiten, in denen Stettin von Dänen, Schweden, Polen und Preussen beherrscht wurde. 1945 eroberte die Sowjetarmee die Stadt. Nach der Potsdamer Konferenz wurde sie schließlich Polen zugesprochen. Ein Bericht im Internet über die Geschichte der Stadt hört nach dem 10. Jahrhundert auf mit dem Hinweis: "Leider haben wir z. Zt. noch keine Genehmigung zum Abdruck des Textes." Warum das wohl?

Auf der Weiterfahrt kommen wir bald in einen Stau. Der Busfahrer steuert in Naugard (Nowogard) eine Tankstelle an. Irgend etwas ist mit dem Getriebe oder der Kupplung des Busses nicht in Ordnung. Der Fahrer telefoniert mit seiner Firma in Deutschland und Anja wird zu Telefonaten mit einer Mercedes-Werkstatt in Danzig gebraucht. Nach wohl mehr als einer Stunde wird die Fahrt fortgesetzt. Bei jedem Stopp durch Stau oder eine rote Ampel muss der Motor des noch rollenden Busses ausgeschaltet und wieder gestartet werden, wobei der Bus nur ruckelnd wieder in Fahrt kommt. Das ist eine ungemein nervliche Strapaze für den Fahrer. Durch diese Verzögerung wird der Abstecher nach Kolberg gestrichen. Schade, ich verbinde mit dem Namen der Stadt die Erinnerung an ein Jugendbuch über die Belagerung der Stadt durch Napoleons Truppen und ihre Verteidigung durch Joachim Nettelbeck.

In Stolp wird jedoch eine Pause gemacht. Wir parken vor dem Rathaus und besuchen die Marienkirche. In der gut besuchten Kirche ist gerade Abendmesse und ein Besichtigung nicht möglich. Am Schriftenstand im Vorraum singt der Verkäufer das Halleluja der Gemeinde mit. Mehr als einen flüchtigen Eindruck können wir nicht gewinnen. Außer zwei, unter Denkmalschutz stehenden, Häusern, einer Buchhandlung und einer Apotheke, umgeben nüchterne, inzwischen gelb angemalte Plattenbauten, den Marktplatz. Wir gehen durch das Neue Tor. Eine Hochzeitsgesellschaft verlässt gerade die Jakobikirche. Der Ort ist wenig belebt. In einem geöffneten Delikatessgeschäft kauft niemand ein und die drei Verkäuferinnen halten ein Schwätzchen. An einer Straßenecke hockt ein junges Mädchen und bietet Süßkirschen in einer Plastikschale zum Verkauf an. Wir können ihr leider nichts abkaufen, da wir uns beim Aufenthalt an der Tankstelle schon mit schwarzen und roten Kirschen zu 3 bzw. 4 Sloty pro kg versorgt hatten  (= € 0,80 bzw. € 1,052).

Unsere Mitreisenden treffen wir fast vollzählig in einem Straßenkaffee. Auch Manfred bestellt sich eine heiße Schokolade. Anja musste übersetzen, damit es verstanden wurde.

Mit dem stotternden Bus setzten wir die Fahrt durch die Kaschubei fort. Bescheidene, einfache, wahrscheinlich durch die wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt, vernachlässigte Gehöfte, charakterisieren das bäuerliche Land mit Wäldern und Feldern, durchzogen von schmalen Seen eiszeitlichen Ursprungs. Der Landstrich Kaschubien gehört zu Pommern und Westpreußen und liegt westlich von Gdingen und Danzig. Ich erinnere mich an das Kaschubische Weihnachtslied von Werner Bergengruen, das wir Anfang der  fünfziger Jahre im Advent in der Schule sangen. Es entstand 1927 und soll, nach Aussagen des Verfassers, von einer kaschubischen Hausangestellten seiner Eltern, die damals in Danzig lebten, erzählt  worden sein. Der Text klingt so liebevoll und schildert durch die Aufzählung von Essen und Kleidung, die man dem Jesuskind schenken möchte, an die Lebensverhältnisse der Bewohner. Hier das Liedchen “Wärst du, Kindchen im Kaschubenlande“:

                                               Wärst du, Kindchen im Kaschubenlande,                                              

                                               wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

                                               Sieh, du hättest nicht auf Heu gelegen,

                                               wärst auf Daunen weich gebettet worden.

                                               

                                                Nimmer wärst du in den Stall gekommen,

                                               dicht am Ofen stünde warm dein Bettchen

                                               der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,

                                               dich und deine Mutter zu verehren

                                               

                                               Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

                                               Müsstest eine Schaffellmütze tragen,

                                               blauen Mantel von kaschubischem Tuche

                                               pelzgefüttert und mit Bänderschleifen

                                               

                                               Hätten dir den eig`nen Gurt gegeben

                                               rote Schuhchen für die kleinen Füße

                                               fest und blank mit Nägelchen beschlagen

                                               Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten.

                                               

                                               Kindchen wie wir dich gefüttert hätten

                                               Früh am Morgen weißes  Brot mit Honig

                                               frische Butter, wunderweißes Schmorfleisch

                                               mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke

                                               

                                               Gänsefleisch und Kuttelfleck mit Ingwer

                                               fette  Wurst und goldnen Eierkuchen

                                               Krug um Krug das starke Bier aus Putzig!

                                               Kindchen wie wir dich gefüttert hätten!

                                               

                                               Und wie wir das Herz dir schenken wollten

                                               Sieh, wir wären alle fromm geworden,

                                               alle Knie würden sich dir beugen,

                                               alle Füße Himmelswege gehen.

                                               

                                               Niemals würde eine Scheune brennen,

                                               sonntags nie ein trunkner Schädel bluten,

                                               wärst du Kindchen im Kaschubenlande,

                                               wärst du Kindchen doch bei uns geboren!

 

Es dämmert, als wir die Silhouette von Danzig mit Marienkirche und Rathaus vor uns liegen sehen. Unweit der Mottlau, in einer umgebauten und renovierten Kaserne, die jetzt auch eine Musikschule beherbergt, ein Hotel und ein Restaurant, ist unser Domizil. Wir sind froh, mit der lädierten Kupplung des Busses unser Ziel erreicht zu haben, wo wir jetzt eine gute Woche bleiben werden.

 

Sonntag, 16. Juli 2006: In der Frühe sind die Schreie der Möwen zu hören und das Läuten der Glocke einer benachbarten Kirche. Für den heutigen Tag ist der Besuch der Rechtstadt, des historischen Zentrums, geplant. Ein kurzes Stück Wegs und wir stehen vor dem sogenannten Milchkannenturm, der seinen Namen nach der Form der Milchkanne trägt und zur Stadtbefes-tigung gehörte. Ein paar Schritte weiter steht das "Grüne Tor" (Brana Ciclona). Vier Durchgänge erwecken den Eindruck, dass es der Eingang zu einem Schloss sei. Das Gebäude erhielt den Namen "Grünes Tor", weil sein Gewölbe grün gestrichen war. Schaut man von hier aus in die rückwärtige Richtung, erblickt man am anderen Ufer zwei wieder errichtete Speicher in Backstein und Fachwerkausführung. Auf einem Vorkriegsfoto sind, außer dem fünfgeschossigen Backsteinspeicher, der heute als Hotel genutzt wird, weitere Fachwerkspeicher mit schwarzen Balken und weißen Gefachen zu sehen. Die sechs Fensterreihen reichen bis zum Giebel. Ein riesiger Bauzaun um ein großes Grundstück lässt darauf schließen, dass die Errichtung weiterer Speicherhäuser in den nächsten Jahren zu erwarten ist. Die Rekonstruktion der gesamten Danziger Altstadt in den fünfziger Jahren ist ein einziger Publikumsmagnet, sichert ein gutes Einkommen vielen Einwohnern und bestätigt die Politik des Wiederaufbaus historischer Gebäude. Alle diese alten Speicher waren von dem abgezweigten Flusslauf der neuen Mottlau umflossen und dadurch gegen übergreifendes Feuer geschützt.

 

 

 

 

 

Nach Überquerung der Mottlau liegt rechter Hand eine Uferpromenade. direkt vor den Toren der Stadt, die Lange Brücke. Lebensnerv der Stadt war der Hafen und alle wichtigen Straßen führten zum Wasser. Tore sollten Schutz bieten vor unliebsamen Eindringlingen und vor dem Hochwasser der Weichsel. Wegen des Hochwassers wurde die Weichsel rund 20 km ostwärts verlegt und eingedeicht. Zurück blieb ein Totwasserarm, der heute von der Mottlau durchflossen wird. Erst später wurden die Tore durch einen davor angelegten, geräumigen Steg, die Lange Brücke, miteinander verbunden. Das Krantor ragt aus der Häuserzeile mächtig hervor. Es wurde in der Zeit von 1442-1444 gebaut. Eine hölzerne Hebevorrichtung konnte Lasten bis zu 4 t transportieren und bis zu 27m hohe Schiffsmaste einsetzen. 1945 wurde es zerstört und im Zuge des Wiederaufbaus der Rechtstadt rekonstruiert. Es beherbergt heute ein Museum.

 

Gleich hinter dem Grünen Tor, das als Gästewohnsitz für Könige geplant war, aber niemals genutzt worden ist, 

beginnt der Lange Markt (Dlugi Tark). Im Vergleich zu unserem Besuch vor zwanzig Jahren hat sich einiges verändert. Das Erdgeschoss fast aller Häuser wird für kommerzielle Zwecke genutzt. Es wird Bernsteinschmuck angeboten, aber auch kleinere Gastronomie und Banken haben sich angesiedelt. Auf dem weiträumigen Mark bieten fliegende Händler Kinderspielzeug an. Fast unaufhörlich wird auf dem Platz musiziert, gesungen und gespielt. Ich gebe zu, dass ich am Abend diese Atmosphäre genieße und in gelöster Stimmung eine CD mit Folklore-Musik von drei jungen Leuten kaufe. Bettler sind nicht anzutreffen.

 

 

 

 

Betrachtet man die Auslagen der Schmuckgeschäfte, wird man freundlich angesprochen aber nicht zu einem Kauf überredet. Gleich zu Beginn unseres Rundganges besichtigen wir eines dieser Geschäfte. Der Verkäufer informiert, dass der helle, weiß-gelbe Bernstein der älteste und teuerste ist, der dunklere der jüngere. Steine mit Einschlüssen sind wertvoller. Schleifen und Polieren veredelt das Material. Imitationen sind häufig anzutreffen, äußerlich oft kaum zu erkennen. In einer 20 % Salzlösung geht der echte Bernstein unter, während das Kunstprodukt oben schwimmt.

Wir bummeln über den Langen Markt. Der Platz ist umgeben von stattlichen Patrizierhäusern, die mindestens vier Stockwerke hoch sind und pro Etage drei bis vier Fenster haben. Die Häuser sind recht schmal, wodurch sie noch höher erscheinen. Joseph von Eichendorff war 1821 katholischer Kirchen- und Schulrat in Danzig und verdichtete seine Eindrücke von der Stadt später in einem Gedicht:

                                              Dunkle Giebel, hohe Fenster

                                              Türme tief aus Nebeln sehn.

                                               Bleiche Statuen wie Gespenster

                                               Lautlos an den Türen stehn.

 

                                              Träumerisch der Mond drauf scheinet,

                                               Dem die Stadt gar wohl gefällt,

                                               Als läg zauberhaft versteinet

                                               Drunten eine Märchenwelt.

 

                                               Ringsher durch das tiefe Lauschen

                                               Über alle Häuser weit,

                                               Nur des Meeres fernes Rauschen.

                                               Wunderbare Einsamkeit!  

 

                                               Und der Türmer wie vor Jahren

                                               Singet ein uraltes Lied:

                                              Wolle Gott den Schiffer wahren,

                                              Der bei Nacht vorüber zieht.

 

Eine Besonderheit in Danzig sind die Beischläge, komprimiert in der Frauengasse zu bewundern. Jedes Haus hat eine Vorterrasse, die um einige Stufen über dem Straßenpflaster liegt. Meist schließen sie steinerne Brüstungen ab, deren Füllungen die Steinmetze mit biblischen Geschichten oder allegorischen Darstellungen schmücken. Häufig stehen an den untersten Stufen große, runde Kugeln, vasenförmige Gebilde oder Steinplatten mit Engeln im Halbrelief. Die Beischläge waren zugleich eine verbindende wie trennende, neutrale, halb öffentliche Zone zwischen Haus und Straße. Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen Artur Schopenhauer, und zum Freundeskreis Goethes in Weimar gehörend, erzählt in ihren Lebenserinnerungen, daß sich auf ihnen das häusliche Leben in einer geradezu südlichen Offenheit abgespielt habe. Daniel Chodowiecki, ein berühmter Maler dieser Zeit, hat es in seinem Skizzenbuch festgehalten. Man nahm auf dem Beischlag gemütlich plaudernd den Kaffee ein, während dicht davor die Fußgänger vorüber gingen, Fischfrauen und andere Straßenhändler mit halb gesungenen Rufen ihre Waren feilboten und die schwer beladenen Wagen zum Hafen rollten. Heute sind die Beischläge in den meisten Fällen als Verkaufsraum genutzt.

 

Wir schlendern weiter über den Langen Markt und betrachten den Neptunbrunnen, der 1549 begonnen,  1633 fertig

 gestellt wurde. Im zweiten Weltkrieg wurde er ausgelagert und blieb dadurch erhalten. Gegenüber liegt der Artushof, Sitz der Honoratioren und Kaufmannschaft, den wir jedoch erst am nächsten Tag besuchen werden. Zunächst geht es über eine Treppe ins Rechtstädtische Rathaus, ur-sprünglich im gotischen Stil 1380 erbaut, dann umgebaut im flämischen Renaissancestil. Es beein-druckt heute mit seinem zierlichen, schlanken Turm, in dem sich ein Uhrwerk mit einem vierzehn-stimmigen Carillon befindet. Unter Carillon versteht man ein mehrstimmiges Turmglockenspiel. Wir betreten den Sommerratssaal, der auch roter Saal genannt wird, da die Wände in kräftigem Rot gehalten sind. (1593-1608). Die Decke ist bemalt von Isaak van der Locke. Die Gemälde haben allegorischen Inhalt mit moralischen und ethischen Bezügen. Ein Schriftband fordert: "Candide et since" = "Sei rein und aufrichtig". Wie viele andere Kunstwerke, wurde auch die Ausstattung des Roten Saals so weit wie möglich im Krieg ausgelagert und konnte beim Wiederaufbau an Ort und Stelle zurückgebracht werden. In den oberen Räumen sind Fotos von der Zerstörung der Langgasse und des Langen Marktes zu sehen. Wenn man glaubt, es hätte sich lediglich um ein paar Einschüsse in die Mauern gehandelt, irrt man. Hohe Trümmerhaufen rechts und links der Straße lassen einen Vergleich zu den Schutthaufen der bombardierten Städte in Deutschland zu, nur, dass diese Zerstörung nach dem Einmarsch der Sowjetarmee von ihr völlig sinnlos aber bewußt erfolgte. Bemerkenswert ist der frühe Entschluss des Stadtrats zum Wiederaufbau schon in den fünfziger Jahren.

In diesem Rathaus wurde über die Befreiung von Zöllen und Abgaben, das Stapelrecht, über Bündnisse, über Krieg und Frieden, aber auch über ein Religionsprivileg entschieden, das Protestanten den Katholiken gleichstellte.

In einem leichten Bogen führt die Langgasse zum Goldenen Tor, das auch Langgasser Tor heißt. Die leichte Krümmung, so kann man lesen, ist beabsichtigt  Der Blick auf das repräsentative Rathaus sollte gewährleistet sein. Das Tor wurde erst 1997 wieder aufgebaut. Mannshohe Figuren auf der Balustrade verkörpern Werte wie Frieden, Freiheit, Wohlstand, Ruhm, Vernunft, Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Eintracht.

Stockturm, Peinkammer und das Hohe Tor, das Ausgangspunkt für den königlichen Weg in die Rechtstadt war, liegen am Rande der Rechtstadt.

Wir gehen über einen weniger repräsentativen Platz unter dem Zeughaus her. Das Zeughaus erinnert an holländische Bauten mit seinen vier wohlgestalteten Giebeln und ist im Stil des niederländischen Manierismus gebaut. Wo früher Waffen und militärische Ausrüstungen gelagert wurden, befindet sich heute im Erdgeschoss ein Kaufhaus.

 

Inzwischen ist es Mittag geworden, und wir kehren in ein Gasthaus in der Heilig-Geist-Gasse ein. In diesem 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Restaurant mit schwarz gebeiztem Mobiliar, ist an den Wänden kein Quadratmeter mehr an freier Fläche. Überall befinden sich Bilder, Spiegel, Adler, Koggen oder Kronen aus Gips, Holz oder Plastik. Auf den Tischen liegen weinrote Decken und die Polster der dunkel gebeizten Stühle haben die gleiche Farbe. Alle Möbel haben Schnörkel. Ein Mitreisender nennt es "palazzo protzi". Anja bekommt einen Schrecken ob all dieser "Pracht" und fragt besorgt nach den Preisen, um evt. das Lokal mit ihren Kindern wieder zu verlassen. Doch die Preise halten sich in Grenzen und das Fischgericht, das wir wählen, ist sehr schmackhaft. Der gemeinsame Stadtrundgang ist am frühen Nachmittag beendet.

Manfred und ich verlassen den inneren Bereich der Rechtstadt durch das Frauentor und spazieren über die Lange Brücke am Krantor vorbei. Es ist sonnig, aber kühl. Wir sind als Touristen wohl gut erkennbar, denn ein älterer Mann spricht uns in deutsch an. Im Gespräch erfahren wir, dass er 1940, siebzehnjährig, als Fremdarbeiter auf einem Bauernhof im Hessischen, bei Frankfurt, gelebt, dort bis zum Kriegsende gearbeitet und am liebsten Kartoffeln mit Speck gegessen habe. Er meint, dass er durch diesen Aufenthalt sein Leben gerettet habe, da er nicht  Soldat werden musste, was sicher Tod bedeutet hätte. Jetzt ist er 83 Jahre alt und bekommt eine monatliche Rente von 1500,- Zloty rund 375,- €. 1988 hat er deutsche Touristen zur Weidenstraße geführt und als Dank 5,- DM erhalten, wovon er sich eine Flasche Schnaps gekauft und jeden Tag etwas in den Tee getan habe. Wir freuen uns über das informative Gespräch und geben ihm einige Zloty für die Aufwertung seines Tees und zum Erhalt seiner positiven Meinung über die Deutschen.

 

Montag, 17.07.06 : Unser erstes Ziel ist die Marienkirche in der Rechtstadt. Äußerlich bieten die spitzen Nebentürme einen reizvollen Kontrast zu dem wuchtigen Hauptturm. Im Innern überrascht eine helle, hohe Halle mit einem dreischiffigen Querhaus, ein Netz- und Zellengewölbe mit vielen dekorativen kleinen und großen Sternen. Unglaublich erscheint die Angabe der Grundfläche mit 5000 m², 31 Kapellen und Platz für 25 000 Menschen, die sich zur Zeit der Solidarnosc hier  versammelt haben sollen. Eine astrologische Uhr, eine schwarze Madonna, ein Triumphkreuz mit den trauernden Jüngern gelten als besondere Kostbarkeiten. Wir erklimmen, über die Zweifel der Kartenverkäuferin an der Kasse des Kirchturms erhaben, die 408 Stufen bis zur Aussichtsplattform in Höhe von gut 80 Metern, um einen kurzen Blick auf die Dächer der Stadt zu werfen, die Werften und die Danziger Bucht, die Besichtigung des Artushofs soll folgen.

Der Artushof, ein weißes Gebäude mit drei hohen, durchgezogenen Fenstern, steht gegenüber dem Neptunbrunnen. 1350 wurde die "curia regis Artus " schon erwähnt. Sie wurde mehrere Male umgebaut. Erhalten blieben an der Front die drei riesigen gotischen Fenster. Um Artus ranken sich viele unterschiedliche Sagen, u.a., dass sich die Ritter der Artusrunde um einen runden Tisch versammelten, um Rangstreitigkeiten zu vermeiden. Auch die Gralslegende, die sich um ein heiliges, wundertätiges Gefäß rankt, das mit Speisen in unendlicher Fülle, Glückseligkeit und ewiger Jugend in Zusammenhang gebracht wird, verbindet sich mit König Artus.

In Danzig diente das Gebäude als Treffpunkt reicher Kaufleute und Adliger, die sich zu Bruderschaften zusammenschlossen. An den Fenstern stehen Skulpturen von Scipio Afrikanus, Themistokles, Marius Furius Camillus, sowie Juda Maccabäus, griechische, römische und jüdische Feldherren.

Der 350 m² große Saal des Artushofes hat ein Sternengewölbe, das von vier Granitpfeilern gestützt wird. Bei allen Besichtigungen wird auf den 12 m hohen Kamin mit 268 unterschiedlich gestalteten Kacheln hingewiesen. Der Kamin reicht bis zur Decke. Die Gemälde an den Wänden haben erzieherische Absicht. Sie weisen darauf hin, welche Werte man zu schätzen hat, oder welche Dinge moralisch  verwerflich sind, wie Gaukler und Gauklerin mit entblößtem Busen. Eine kostbar geschnitzte Treppe führt in den ersten Stock. Fotos aus der jüngsten Danziger Stadtgeschichte, u.a. der Besuch von Hitler, der total zerstörte Lange Markt, werden gezeigt. Die Trümmerhaufen erinnern an die Sinnlosigkeit aller Zerstörungen.

Unsere Stadtwanderung führt uns an der Nikolaikirche vorbei, durch die Markthalle mit vielen Ständen und Geschäften, zur Altstadt, wo sich die Katharinenkirche, die große Mühle, der Hevelius Platz und das altstädtische Rathaus befinden.

 

Die Katharinenkirche wurde zunächst als Holzkirche im 12.Jahrhundert, und erste Kirche Danzigs, errichtet und soll nach der Marienkirche die bedeutendste gewesen sein. In ihrem Turm befindet sich ein Carillon, ein Glockenspiel mit 39 Glocken. Wegen eines Brandes im Jahre 2005, bei dem das Dach und die Decke beschädigt wurden, ist die Kirche im Augenblick mit einem Bauzaun umgeben.

Da es Mittagszeit ist, befriedigen wir zunächst im Mühlengarten, an der Radaune, unsere leiblichen Bedürfnisse mit Piroggen; das sind Teigtaschen, die mit Käse, Fleisch oder Gemüse gefüllt sind.

Die große Mühle ist ein prachtvoller, mächtiger Bau. Das 1350 vom Deutschen Ritterorden errichtete Gebäude hatte 12 -18 Mühl-räder. Vor dem Bau des Radaune-Kanals sollen diese Mühlräder durch Menschenkraft angetrieben worden sein. Abgesehen von der notwendigen Knochenarbeit, muss, wenn auch nur die Hälfte der Räder in Betrieb waren, für uns ein nicht vorstellbarer Lärm geherrscht haben. Keine Spur von Romantik. Geleitet wurde diese "Fabrik" von einem Ordensbruder. Es wurde Gerste, Weizen, Roggen und Malz gemahlen. Im 19. Jahrhundert wurde auf Dampf umgestellt und schließlich wurde sie elek-trisch betrieben. 1945 brannte sie ab. Nach dem Wiederaufbau, Anfang der 90er Jahre, wurden die Korn- und Mehlspeicher zu kleinen Läden umgewandelt und ein größeres Einkaufszentrum im Erdgeschoss errichtet. Ein kleiner Bereich ist einer Ausstellung über Mühleneinrichtungen vorbehalten.

Der Rückweg führt uns an der polnischen Post vorbei. Unser Blick bleibt an dem 1979 errichteten Denkmal hängen. Ein verwundeter oder sterbender Postbeamter liegt über einer verstreuten Postsendung und reicht mit letzter Kraft einen Karabiner der Siegesgöttin Nike.

 

Die gewaltige Plastik allegorisiert ein Ereignis in den Septembertagen 1939, das seinen Anfang mit dem Versailler Vertrag genommen hat. Das bis dahin dem deutschen Reich zugehörige Danzig wurde unter dem Schutz des Völkerbundes ein Freistaat. Polen bekam u.a. mit Blick auf den polnischen Bevölkerungsanteil    es waren 3% (!!) – das Recht der Posthoheit für den Postverkehr zwischen Danzig und Polen zugesprochen, durfte somit im Hafenbereich eine eigene Post unterhalten. Damit hatte Polen – bildlich gesprochen – einen Fuß in der Tür. Neben anderen subversiven Aktivitäten befestigte es völkerrechtswidrig die Post militärisch. Polen plante, Danzig einzuverleiben. Die Deutschen kamen mit der Kriegserklärung 1939 den Polen zuvor, erschienen mit einer Gruppe Polizisten vor der Post, um sie zu übernehmen, wurden durch heftiges Gewehr- und Maschinengewehrfeuer unter Verlusten vertrieben,  reagierten nunmehr  ihrerseits mit militärischen Mitteln, nachdem die im Gebäude befindlichen Polen der Aufforderung, es zu verlassen, nicht gefolgt waren.   

Günter Grass lässt Oskar Matzerath mit seinem mutmaßlichen Vater Jan Bronski die  Kämpfe der Postler in der Nacht vom 30.August auf den 1. September 1939 in der Post am Heveliusplatz Skat spielend erleben. (S. 302). In seiner zynisch-sarkastischen Art schreibt er zur Festnahme der Postverteidiger: "Die dreißig Männer aber, zu denen noch Jan hinzuzuzählen ist, mit den erhobenen Armen und den verschränkten Händen im Nacken, die brachte man, nachdem die Wochenschau die Aufnahmen gemacht hatte, zuerst in die ausgeräumte Viktoriaschule, dann nahm sie das Gefängnis Schießstange auf und schließlich, Anfang Oktober, der lockere Sand hinter der Mauer des verfallenen, ausgedienten Friedhofs Saspe."

 

Nach diesem Exkurs löst sich die gemeinsame Unternehmung auf und Manfred und ich  begeben uns zurück  zum Heveliuspark, um auf einer schattigen Bank eine kleine Siesta zu halten.

 

Hevelius würde heute in der Medienwelt kein Unbekannter sein. In Polen soll er gleich nach Nicolaus Copernicus genannt werden. Er war Kaufmann, Bierbrauer, Politiker, d.h. Ratsherr und Wissenschaftler. Johannes Hevel wurde 1611 in Danzig geboren. Er entstammte einer lutherischen Patrizierfamilie. Dokumente des Danziger Akademischen Gymnasiums bestätigen, dass er 1618, also mit 7 Jahren, dort den Unterricht besuchte. Um auch die polnische Sprache zu erlernen, wurde er in die Gegend von Bromberg geschickt. Zum Studium der Ökonomie und der Jurisprudenz  ging er 1630 nach Leiden. Schon ein Jahr später verließ er diesen Ort und begab sich nach London, reiste von dort nach Frankreich,  wo er mit bekannten Astronomen Kontakt hatte.

Seine Tätigkeit findet 1635 in den Schriften dieser Wissenschaftler ihren Niederschlag mit der Abbildung eines von ihm entworfenen Projekts einer reflexiven Sonnenuhr, was das auch immer ist.

Damit er sich den Bierbrauergeschäften zuwendet, ruft der Vater den Sohn zurück nach Danzig,. 1635 heiratet Johannes Hevelius. Seine Frau bringt zwei Häuser, samt einer Brauerei, mit in die Ehe. Der Besitz ist dem Hevelschen direkt benachbart. Johannes tritt in die Bierbrauerzunft ein und wird wenige Jahre später Zunftmeister. Beide Liegenschaften werden miteinander verbunden und auf den Dächern der drei Häuser in der  Pfefferstadt erbaut er ein Observatorium. Bevor Hevelius sein politische Karriere begann, wurde er Vertreter der hl. Katharinengemeinde, Schöffe seines Wohnviertels in der Altstadt und auf Lebenszeit Mitglied des Stadtrates, also einer der fünf Stadtherren der Altstadt.

Die Hevelius Brauererei stand in Blüte und produzierte das damals geschätzte starke Jopenbier, das wahrscheinlich sogar bis nach England verkauft wurde. Jopenbier wurde ohne Zusatz von Hefe, durch Selbstgärung, hergestellt und zu Suppen und Saucen gebraucht. Eine Jope ist eine Schöpfkelle. Möglicherweise wurde auch in der Jopengasse dieses Bier gebraut.

Hevelius arbeitete in dem Observatorium seines Hauses mit Fernrohren, deren Linsen er selbst geschliffen hatte. Quadranten und Sextanten, die z. T. aus einem Fond des Stadtrates für seinen Lehrer und Mitarbeiter hergestellt worden waren, hat er vervollständigt. Hevelius beobachtete Sonnenflecken, die Planeten, stellte genaue Landkarten des Mondes her, veröffentlichte die Ergebnisse und kümmerte sich auch um ihre Verbreitung im Ausland. 1663 hat ihm der französische König, Ludwig der XIV., für seine Verdienste ein Jahresgehalt von  

1200 Franken zuerkannt. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er Elisabeth Koopmann, die ebenfalls aus einer reichen Kaufmannsfamilie stammte. Sie half ihm bei der Durchführung der Beobachtungen. In seinem 1673 veröffentlichen Buch, "Machinae coelestis pars prior", sieht man beide, Mann und Frau, beim Umgang mit einem Oktanten im Observatorium (siehe Bild). 1679 traf ihn ein Schicksals-schlag. Seine Häuser, sein Observatorium, sein zweites Buch, "Machinae coelestis pars posterior“, wurden fast ganz durch eine Feuersbrunst zerstört. Hevelius, damals 68jährig, begann den Wiederaufbau mit finanzieller Hilfe Johannes III. Sobieski, König von Polen, und Ludwig XIV. Hevelius starb an seinem Geburtstag, den 28 Januar 1687, im Alter von 76 Jahren. Das Gehalt, diesmal vom polnischen König, wurde an die Ehefrau weiter gezahlt, damit sie die begonnenen Arbeiten beenden konnte. Ein interessantes Leben, das Aufschluss gibt über Begabungen, Lebensumstände, Erfolg und Anerkennung im 17. Jahrhundert. Ein Denkmal im Park erinnert an den mir bis dahin unbekannten Mann, dessen Lebensweg vom 30-jährige Krieg (1618-1648) offenbar unberührt blieb..

Manfred macht es sich auf einer Parkbank bequem, während ich einen Blick in das Altstädtische Rathaus werfe.

Wie auch das Zeughaus in der Rechtstadt, ist es im Stil des niederländischen Manierismus, in Backsteinarchitektur, gebaut. Die Inneneinrichtung wurde mit Kunstgegenständen aus Danziger Bürgerhäusern der Langgasse und des Altstädtischen Grabens, ausgestattet. Es sind ein gemalter Plafond, eine steingeschnitzte, dreigeteilte Arkade, Delfter Kacheln und eine gewundene, reich geschnitzte Treppe. Zum Teil wurden die Räumlichkeiten an die übernommenen Kunstwerke angepasst. Was hier im Rathaus zu sehen ist, gibt einen Eindruck davon, wie reich die Häuser der Danziger Bürger eingerichtet waren.

 

Als ich das Haus verlasse, höre ich Bläsermusik. Gleich neben der alten Mühle, am Rande des Parks, stehen fünf Männer mit Trompete, Posaune, Horn und Tuba vor einem kastenförmigen, zum Teil verglasten, Wagen, in dem sich mehrere Glocken und ein Spieltisch befinden. Im Wechsel mit einer Frau, die den Spieltisch im Innern des Wagens bedient oder "schlägt", wie es früher hieß, spielen sie Musik des 16. Jahrhunderts, Gospels und Stücke aus bekannten Musicals unserer Zeit. Auf dem Wagen steht “Muszeum Historyczne Miasta Gdanska“. Die Musiker sind Mitglieder des“Hevelius Brass Quintetts“. Ich erinnere mich an das Glockenspiel im Turm der Katharinenkirche und an Hinweise auf ein jährliches Glockenspielsymposion. Fast eine Stunde können wir diese besondere Musik genießen, auf einer Bank im Park, unter blauem Himmel, mit Blick auf die Katharinenkirche , die hohen Giebel der alten Häuser und  die große Mühle. Es ist  ein Moment des Glücks an einem sommerlichen Abend.

 

Auf dem Heimweg werfen wir noch einen Blick in die Brigittenkirche. Bei unserem Besuch vor genau zwanzig Jahren war sie Treffpunkt der Solidarnosz- Bewegung und das Militär sicherte die Eingänge und beobachtete die Besucher. Es ist ein großer hoher Raum aus der Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts. Da der Küster eine Tür nach der anderen schließt und mit den Schlüsseln rasselt, bleibt für einen längeren Aufenthalt nicht viel Zeit. Der Altarraum soll in absehbarer Zeit durch ein außergewöhnliches Kunstwerk bereichert werden. Die Abbildung zeigt eine schwarze Madonna mit dem Jesuskind auf dem Arm. 28 eingelassene Rubine sollen an die 28 Arbeiter erinnern, die 1970 bei einem Streik auf der Leninwerft erschossen wurden. Der Altar soll 11 m hoch und sechs Meter breit werden, das Material ist Bernstein. Die Finanzierung geschieht ausschließlich aus Spenden.

 

Wir kommen an der katholischen königlichen Kapelle vorbei, die 1681 auf Betreiben des polnischen Königs   Jan III. Sobieski erbaut und von ihm z.T. finanziert wurde.  Denn Danzig war protestantisch und so auch die Marienkirche.

Wir gehen über den Langen Markt. An allen Ecken wird Musik gemacht: auf Saxophon, Geige oder einem Zupfinstrument, solistisch oder in der Gruppe. Im Vorübergehen umwehen einen die Töne, sie werden leiser und entfernen sich, das ist gut zu ertragen. Es war ein schöner Tag.

 

Dienstag, 18.07.06 : Da es gestern nicht möglich war, irgendwo Karten für eine Schifffahrt nach Zoppot für 20 Personen zu buchen, fahren wir auf dem Landweg zu dem bekannten Badeort. Zuerst benutzen wir die Straßenbahn, dann steigen wir am Hauptbahnhof in den Zug um. Anja versucht, obgleich sie Danzig auch nicht kennt, uns durch die Tücken des Verkehrs zu leiten. Weil man nach Anjas Angaben von Danzig nach Zoppot nicht durchlösen kann, müssen wir im Bahnhof einen zweiten Fahrschein kaufen. Gut, dass Anja da ist, die die Sprache beherrscht. Wir würden uns beim Kauf des Tickets, der Wahl des Zuges, der Bestimmung der Fahrtrichtung und des Bahnsteigs mächtig anstrengen müssen. In der Gruppe trotten wir gelassen hinterher. Bei der Fahrt habe ich genügend Gelegenheit, Worte und Beschriftungen zu lesen., mlyn = Mühle, ryby = Fisch, dobre = gut, zamek = Schloss, Burg, sprezdaz =  zu verkaufen. Ich stoße auf ein Wort, das sieben Konsonanten und nur einen Vokal hat: wrzeszcz. Das sind einmal vier Konsonaten hintereinander. Natürlich sind die Namen der großen Firmen, die ihre Vertretungen in Danzig haben, wie Aldi, Oetker, Lidl, Real, Praktiker, Obi, Deichmann, Mercedes, Opel, BMW, meinem Ohr nicht fremd.

 

Der Bahnhof von Zoppot (Sopot) ist zentral gelegen und es empfängt uns ein gepflegter, lebendiger und hübscher Badeort mit sommerlich, touristischem Flair.

Im Merian Heft von 1952, in einem Artikel von Herbert Marzian mit der Überschrift "Danzig heute" kann man lesen: “Zoppot versucht seinen alten Glanz zu erreichen. Während das große Hotel erhalten blieb, wurde das Kasino von russischen Truppen gesprengt. Auch die untere Seestraße hat sich sehr verändert, an Stelle der einst hohen Häuser dehnen sich heute neu angelegte Grünanlagen. Der Seesteg, dessen Spitze 1948 durch einen Sturm zerstört und jetzt wieder hergestellt wurde, ist in den sommerlichen Dampferverkehr nach pommerschen Häfen einbezogen worden. Während einer Woche im Sommer finden auch wieder Pferderennen auf der berühmten Rennbahn statt. Zwischen den beiden Hafenstädten Danzig und Gdingen soll Zoppot das Kulturzentrum werden, zur Verbindung der drei Städte wird eine elektrische Schnellbahn gebaut."

Heute wechseln sich in der Hauptstraße Restaurants, Geschäfte, Ateliers und Galerien ab. Der 650 m lange Seesteeg, der 1986 ungehindert betreten werden konnte, ist nur mit einer Eintrittskarte im Wert von 2.70 Zloty zu begehen. Einmal rauf und wieder runter, die Strandsilhouette mit dem Kasino-Hotel “Orbis Grand Sopot“, Bernsteinverkäufer, der Strand mit den Badenden. Das war's dann.

Zum Mittagessen wird der Besuch eines Fischrestaurants vorgeschlagen. Wir ziehen mit. Es ist bequem, hinterher zu laufen, aber der Weg dorthin zieht sich. Immer wieder meint Rosi, unser Ziel erreicht zu haben. Doch dann geht es noch ein Stückchen weiter. Bis zur Bar Przystan war es gut 1 km. Schließlich erreichen wir unser Restaurant, das sich direkt am Strand befindet. An Tischen können wir uns im Schatten auf Bänken niederlassen. Nahezu zwanzig Fischgerichte sind im Angebot. Meine Wahl fällt auf Heilbutt,  einfach weil ich den Namen des Fisches in polnischer Sprache identifizieren kann und mir dieser Fisch als hochwertig bekannt ist. Tatsächlich ist er von guter Qualität, ein bisschen fett, aber sehr frisch und schmackhaft. Ich notiere in mein Tagebuch: 100g = Zloty 6.80 / € 1.70

Als wir vor zwanzig Jahren Zoppot mit polnischen Bekannten besuchten, war das Baden dort wegen der schlechten Wasserqualität untersagt. Nun, 2006, genießen wir das warme Ostseewasser in der Hoffnung, dass die Freigabe berechtigt ist. Zurück gehen wir wieder über den Strandweg, um auch das von Rosi hochgelobte Cafe im Zentrum des Ortes zu besuchen. Die Anzahl der Kuchensorten ist enorm und die Wahl fällt nicht leicht. Am Tisch komme ich mit einer Polin ins Gespräch, die die deutsche Sprache beherrscht, wenn wir uns auch in der Folge auf englisch verständigen. Auf meine neugierige Frage, wo sie die Sprache gelernt habe, erklärt sie, dass sie aus der Ukraine stamme, umgesiedelt worden sei und bis in die fünfziger Jahre eine deutsche Kinderfrau gehabt habe, die dann aber nach Deutschland ausgereist sei. Ihre eigenen Reisen, nach Teneriffa und Griechenland, lassen einen materiell besser gestellten Hintergrund vermuten.

Wir schlendern noch einmal über die Geschäftsstraße und erblicken in einem Schreibwarengeschäft, das auch in kleinerem Umfang Bücher und Karten führt, die Karte “Grosse Masurische Seen“ im Maßstab 1 : 100 000. "Neu" steht auf dem Deckblatt  und in der dritten Zeile unten: “Historische Ortsnamen aus dem Jahre 1933“. Natürlich kaufen wir die Karte, die im Februar 2005 schon in 2. Auflage erschienen ist, für 8,- Zloty. Endlich werden wir uns besser orientieren können.

In der Fußgängerzone verstehen wir nun auch, in welche Richtung die Wünsche der jugendlichen Musikanten gehen. Am Tag zuvor, auf dem abendlichen Rückweg über die Lange Brücke, hatten uns zwei junge Männer ein Mutter-Gottes-Bildchen und ein Bild des Papstes überreicht und brachten zum Ausdruck, dass sie - wohlgemerkt - den großen Wunsch hätten, in den Vatikan zu reisen, hoffend, dass die religiöse Intention aufrichtiger Katholiken anrührend wirkt und die Geldbörsen öffnen würde. In der Tat hatten sie bei unserer Begleitung Erfolg und ich machte mir über die Begründung ihrer Bitte immerhin Gedanken. In Zoppot, auf der Touristen-Avenue, wurden von den singenden und spielenden Jugendlichen die Reiseziele weniger getarnt. Dort las man "Zypern" oder gar "Japan" als Reiseziel. Wie naiv ich doch war, wenngleich ich aus der Geschichte wusste, dass Arme und Bettler selbst vor Verstümmelungen nicht zurückschreckten. Und gestern war es doch nur ein kleines "corriger la fortune."

Zurück nach Danzig ging es mit dem reparierten Bus. Wie schnell man sich an Bequemlichkeit gewöhnt und wie selbstverständlich man sie hinnimmt.

Mittwoch, 19.07.06: Bei morgendlichen 19° Celsius Außentemperatur fahren wir am Hohen Tor vorbei, Richtung Danzig-Langfuhr. In dem Buch von Carola Stern,  “Das Leben der Johanna Schopenhauer“, wird ein Landsitz erwähnt, der am Abhang eines bewaldeten Höhenzugs lag und zu den sieben Pelonker Höfen gehörte, die von Danziger Patriziern bewohnt waren. Johanna hatte den um fast 20 Jahre älteren Heinrich Floris Schopenhauer im Mai 1786 geheiratet. Dieser hatte das ausgedehnte Anwesen von einem Danziger Arzt erworben und nach Entwürfen seiner Frau einen terrassenartigen, mit verschiedenen Obstsorten bepflanzten Garten, sowie einen großen Karpfenteich mit einem Springbrunnen anlegen lassen. Carola Stern notiert: "Die Schönheit des Anwesens wurde nur dadurch gestört, dass die Gegend, seit der ersten Teilung Polens, von preußischen Truppen besetzt gehalten wurde. Wenn das Ehepaar in seinem offenen Wagen von Danzig auf der breiten, von Linden gesäumten, Allee in sein Landhaus fahren wollte, musste es schon unweigerlich vor Langfuhr die preußische, mit angeworbenen französischen Zöllnern besetzte, Zollstation passieren und sich unter Umständen eine Durchsuchung des Gepäcks und des Wagens gefallen lassen." Johanna lässt sie sagen: "Was besaß ich nicht alles? Den großen Garten voll Blumen und Früchte, den Wald mit seinen herrlichen Anhöhen und seinem hohen Laubgewölbe, den großen Gartenteich mit seiner bunt bemalten Gondel, die mir mein Mann aus Archangel hatte kommen lassen, und die so leicht zu regieren war, dass ein sechsjähriges Kind damit hätte fertig werden können. Auch Tiere hatte ich zu meiner Lust; ein paar Pferde ... zwei schöne, winzig kleine, spanische Hündchen, acht Lämmer, deren Toilette die Gärtnersfrau besorgte, sodass sie nie anders als wohlgebürstet und schneeweiß vor mir erschienen." Obgleich sie von ihrem Fenster die wunderbarste Aussicht auf die Halbinsel Hela, auf die Danziger Bucht mit den heransegelnden Schiffen und die Weichselmündung hatte, fürchtete sie die Einsamkeit mit ihrer Eintönigkeit und Stille, die sie an jedem Wochenbeginn überfiel, wenn ihr Mann wieder zurück nach Danzig fuhr.

Ich erwarte nicht, diese mehr als 200 Jahre alte Idylle wiederzufinden, aber wohl einen Eindruck dieses Ortsteils zu bekommen. Ohne die Anhöhe zu erreichen, was wegen der Einbahnstraßen, mit dem Bus nicht zu bewerkstelligen ist, durchfahren wir ein Villenviertel mit großen Grundstücken und nehmen zur Kenntnis, dass auch Lech Walesa hier seinen Wohnsitz hat, hier in Oliva.

 

 

 

 

 

Der Ort geht auf die Gründung einer Zisterzienserabtei im Jahr 1178 zurück. Die Kathedrale mit ihren zwei schlanken Backsteintürmen, die durch einen hellverputzten Mittelteil miteinander verbunden sind, wurde 1225 gegründet. Ihr jetziges Aussehen erhielt sie, nach mehrmaligen Umbauten, in der Zeit vom 13. - 18. Jahrhundert. Beim Betreten fällt die große Länge des Kirchenschiffs auf. Mit 107m soll sie die längste Kirche in Polen sein. 20 Seitenaltäre und unzählige Kunstwerke, Devotionalien und Geschenke laden zum Betrachten ein. Königin Christina von Schweden bereicherte 1716 die Sammlung mit einer, von ihr selbst hergestellten, Kanope, einem Gefäß, in dem in Ägypten die Eingeweide der Toten aufbewahrt wurden. Wie eine christliche Königin auf den Gedanken kommt, solch einen Gegenstand herzustellen, blieb ohne Erklärung.

 

 

Bekannt vor allem anderen ist die Orgel aus dem Rokoko, die von Johann Wulf und Friedrich Rudolf Dalitz erbaut wurde. Das Gehäuse besteht aus dunkel getöntem Holz , in der Mitte ist ein Fenster mit einer Mariendarstellung eingefügt. 

Die Gruppe darf – geleitet vom Domorganisten Schulta - die steile Treppe zur Orgel hinaufklettern und erfährt  u.a. , dass die größte Orgelpfeife eine Länge von 12 Metern hat und in ihr Inneres ein Mensch hineinpasst, dass, als die Blasebälge noch mit Muskelkraft betätigt wurden, bis zu vier Kalkanten notwendig waren, die Orgelpfeifen zum Klingen zu bringen. Von hier oben können wir die beweglichen Dekorationen - sich drehende Sterne, Sonne, Trompeten und Engelsglocken - genau beobachten. Die Resonanzen und Schwingungen sind, bei entsprechendem Spiel, im Körper zu spüren. Und das ist bunt gemischt. Böllmann und Bach, letzterer mit  “Wachet auf, ruft uns die Stimme“, sind mir bekannt.

Ein Gang durch das Kloster schließt sich an. Hier ist der Tisch zu sehen, an welchem am 3. Mai 1760 der Friede zu Oliva geschlossen wurde. Brandenburg-Preußen, Österreich, Schweden und Polen-Litauen einigten sich und regelten Souveränität und Besitzansprüche. Der polnische König Johann Kasimir II. Sobieski, zog seine Ansprüche auf die schwedische Krone zurück, anerkannte die schwedische Oberhoheit über Livland und Riga und bestätigte die Souveränität des hohenzollernschen Herzogtums Preußen und legte damit den Grundstein für das Königreich Preußen.

Ein Spaziergang durch den Schlosspark, mit vielen botanischen Besonderheiten, war erholsamer Abschluss des Tagesausflugs.

Am Abend ist ein Treffen mit dem Vorsitzenden der deutschen Minderheit in Danzig,  Herrn Sabiniatz, verabredet.

Nach seinen Angaben leben noch ca. 2000 Deutsche in Danzig, die auch vor 1945 hier gewohnt haben. Von ihnen sind 300 aktiv im “Bund der deutschen Minderheit“

 (Aus dem Internet: Bei Kriegsende zählte die polnische Regierung auf dem Gebiet der ehemaligen Wojewodschaft Danzig(Gdansk) 500.000 Deutsche oder Personen deutscher Abstammung. Die "Entfernung" der deutschen Bevölkerung in der Region Danzig - wie auch im übrigen Polen - wurde von der polnischen Regierung als wichtige Aufgabe angesehen. 184.000 flüchteten, 310.000 wurden nach Deutschland “umgesiedelt“). Die in Danzig Gebliebenen  wurden zur Ankurbelung oder Wiederherstellung der Wirtschaft benötigt. Verweigerung hatte Ausweisung zur Folge. Der Hass auf Deutsche  war in Danzig in der Nachkriegszeit groß. Die deutsche Sprache wurde verboten und auf der Straße wagte niemand deutsch zu sprechen, sodass nach zwei Generationen kaum noch deutsch gesprochen wird. Durch Öffnung der Grenzen, nach dem Fall der Mauer und dem Beitritt Polens zur EU, ist das westliche Ausland wieder interessanter für Polen, insbesondere der direkte Nachbar Deutschland. In den Schulen wird jetzt verstärkt deutsch gelernt. Das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart ist eine, vom Auswärtigen Amt geförderte, Einrichtung für den internationalen Kulturaustausch. Veranstaltungen, wie die anlässlich des Untergangs der Wilhelm Gustloff, werden vom Verein durchgeführt und mit Geldern aus dem Fond gesponsert. Ablehnung gab es von Seiten der Behörde, eine Erinnerungstafel an das Schopenhauerhaus in der Heiligen Geistgasse anzubringen. Bedauert wurde die neuerliche Bestrebung der Kaczynskibrüder, die Vertretung der Minderheiten im Sejm abzuschaffen.

 Man hätte etwas konkretere Informationen vom Vortragenden gewünscht.

Donnerstag 20.07.06: Wie selbstverständlich scheint auch heute wieder die Sonne. Wir fahren über die Danziger Höhe, Richtung Dirschau, und überqueren

die Weichsel. Das Ziel ,  die Marienburg (Malbork), erhebt sich auf einer Böschung am rechten Ufer der Nogat. 

Die Ordensburg erstreckt sich über eine Fläche von 20 Hektar und soll die größte geschlossene Backsteinanlage Europas sein. An den Grundrissdarstellungen gemessen, würden sich die Gebäude 6-700 m entlang der Nogat hinziehen und 300 m landeinwärts.

Sie wurde im 13. Jahrhundert gegründet, ständig umgebaut, vergrößert, mehrmals zerstört, geplündert und immer wieder aufgebaut und renoviert, von Deutschen und Polen.

 Der Deutsche Orden wurde im Jahre 1190, während des dritten Kreuzzugs, im Heiligen Land, von Kreuzfahrern, gegründet. Seine erste Tätigkeit galt der Betreuung von hilfesuchenden und verletzten Kreuzfahrern. Das Motto lautete: helfen, heilen, wehren. Bereits 8 Jahre später wurde der Orden, nach dem Vorbild anderer Kreuzfahrerorden, in einen Ritterorden umgewandelt, von Papst Innozenz III. als solcher bestätigt und ihm direkt unterstellt.

Von Herzog Konrad von Massowien – zwecks Unterwerfung der heidnischen Prußen gerufen – nahm der Hochmeister des Ordens, Hermann von Salza, den Ruf an, nachdem ihm Kaiser Friedrich der II.  1226 die Herrschaft über das zu erobernde Land in der Goldenen Bulle von Rimini verbrieft hatte. Vom Papst Gregor dem IX. erhielt er acht Jahre später –1234 - in der Goldenen Bulle von Rieti, ebenfalls alle Herrschaftsvollmachten über das bereits eroberte und noch zu erobernde Land der Prußen.

Schutzpatronin der Burg ist Maria. Eine Halbplastik der Mutter Gottes befindet sich über dem Eingangstor zum Mittelschloss. In ihren Anfängen unterschied sich die Burg nicht von anderen Burgen der weiteren Umgebung, wie z.B. der Burg Mewe am anderen Weichselufer. Ihre Gestalt änderte sich, als der Sitz des Hochmeisters,  Siegfried von Feuchtwangen, im Jahre 1309 von Venedig in die Marienburg verlegt wurde. Dieser Hochmeister steht heute als Bronzeplastik mit Helm, entschlossenen Blickes, neben Hermann von Salza, der niemals auf der Burg war, Winrich von Kniprode und Albrecht von Brandenburg-Ansbach, dem späteren Herzog in Preußen, im Hof der Burg. Alle vier tragen einen weites Cape, dem Umhang der Ordenritter, weiß mit einem schwarzen Kreuz.

Die missionierten und unterworfenen Gebiete wurden in Verwaltungseinheiten aufgeteilt, sogenannte Komtureien. Sie wurden von einem Komtur geleitet.

Neben dem, in der Anlage untergebrachten, Bernsteinmuseum, beeindrucken verschiedene Säle, wie der Große Rempter (Speisesaal), ein quadratischer 14 x 14 m, auf einer Säule ruhender, früher bemalter, jetzt weiß getönter Sommerrempter und der Kapitelsaal. Aufhänger für die spätere Erinnerung sind überlieferten Geschichten: Bei der Belagerung der Marienburg nach der verlorenen Schlacht von Tannenberg, 1410, so wird berichtet, ist eine Kanonenkugel in der Wand des Sommerrempters stecken geblieben. Sie sollte die tragende Mittelsäule des Raumes treffen und ihn zum Einsturz bringen, in dem sich der Hochmeister u.a. versammelt hatten. Die Kugel verfehlte ihr Ziel nur um ein Geringes. Oder: Wenn vertrauliche Gespräche im Raum geführt werden sollten, wurde in der benachbarten Kirche die Orgel gespielt. Sie beschallte den Kapitelsaal durch versteckte Öffnungen. Und die Fußbodenheizung soll dazu gedient haben, Unterhaltungen zu belauschen.

Mit den Worten des Fremdenführers, "Kommen Sie jetzt!", werden wir durch die Schatzkammer, den Kreuzgang, das Dormitorium,  zu den Latrinen, dem Brunnen, der Mühle und der Kirche, mit der Goldenen Pforte, geführt. An einer Wand hängt ein, durch Kriegsereignisse 1945 amputierter Christus am Kreuz, ein Korpus ohne Gesicht , mit weggerissenem Oberkörper, nur einem Arm, ein halber Leib und zwei Beine. Die Burg ist von der deutschen Wehrmacht als Festung benutzt worden. Entsprechend heftig waren die Kämpfe. Die Anlage ist zu 50 % zerstört worden. Fotografien zeigen die stehen gebliebenen Mauern der Marienkirche, die nackten Giebel des Mittel- und Hochschlosses. Wir Besucher des Jahres 2006 können nur an den unterschiedlichen Färbungen der Ziegel die wiederhergestellten Teile erkennen.

Im 13-jährigen Ständekrieg 1453 -1466 , als sich der Preußische Bund - westpreußische Städte und Ritterschaften – mit Unterstützung des polnischen Königs, von der Vormundschaft des Ordens lösen wollten, wurde die Marienburg wieder belagert. Als der Orden seine Söldnertruppen, die die Burg verteidigen sollten, nicht mehr bezahlen konnte, nahmen diese kurzerhand die Ordensburg als Pfand und verkauften sie am 8. Juni 1457 an den polnischen König Kasimir IV. für 190 000 Florin. Es soll damals eine gewaltige Summe gewesen sein, die weitgehend von Danzig und den anderen westpreußischen Städten aufgebracht wurde. Die Stadt Marienburg gab erst 1460 den Widerstand auf, nachdem sie lange belagert worden war.

Das, was vom Orden noch übrig war, wurde unter Albrecht von Brandenburg-Ansbach in ein weltliches Herzogtum umgewandelt und säkularisiert. Da Albrecht die Lehnshoheit des Königs von Polen anerkannt hatte, bestätigte dieser ihn als Herzog in Preußen.

Interessant sind die Ausführungen  von Marion Gräfin Dönhoff in dem Buch "Schlösser und Gutshäuser im ehemaligen Ostpreußen."  "In jenem nordosteuropäischen Raum zwischen Weichsel und Peipussee, wo Schweden, Deutsche, Dänen und Polen miteinander lebten und gegeneinander kämpften, wechselte die Oberherrschaft über das Land immer wieder. Darum blieb im allgemeinen jeder, der im Besitz von Grund und Boden war, auf seiner Scholle sitzen, egal, wer gerade die Herrschaft ausübte. Im Fall meiner Familie führte dies dazu, dass eines Tages, ohne eigenes Zutun, aus deutschen Dönhoffs polnische Dönhoffs wurden." Damit war nach dem zweiten Weltkrieg Schluß.

Zur Erholung fahren wir zum kleinen Badeort Bohnsack und erfrischen uns in der angenehm temperierten Ostsee, bevor es nach Danzig zurück geht.

Freitag 21.07.06: Hela (Hel), ist eine Hafenstadt an der Spitze der Halbinsel Hela, auch Putziger Nehrung genannt, die die Danziger Bucht von der Ostsee trennt. Die Fahrscheine für unsere Seereise musste man einen Tag vor Antritt der Fahrt, an einer 150 m entfernt liegenden Verkaufsstelle, Richtung Innenstadt, lösen. Das Schiff "Opal" ist gut belegt, die 1 ¾-stündige Fahrt verbringen wir meist an der Reling stehend. Es geht an den Danziger Schiffswerften und Lagerhäusern vorbei bis wir ans offene Wasser kommen. Gegen 11°° erreichen wir den kleinen Hafen von Hela. Über einen breiten Steg geht es an einem modernen Rundbau vorbei. Fast alle Mitfahrenden der Gruppe nutzen das Angebot, mit einem kleinen, offenen, Elektrozug auf die andere Seite der Halbinsel zu gelangen. Die Strecke führt durch einen Kiefernwald zur offenen See. Außer einem Kiosk und einer Lautsprecheranlage gibt es nichts, was Touristen im allgemeinen erwarten. Die Badegäste lagern dicht am Wasser und schützen sich mit kleinen Wänden aus Segeltuch oder Kunststoff gegen den Wind. Das Wasser ist kühler  als am Vortag in Bohnsack und die Sonne ist, hinter einem Dunstschleier, weniger wärmend. Wir freuen uns nach der Badepause auf einen Imbiss in dem kleinen Ort. Ein leckeres Fischgericht erfüllt unsere Erwartungen. Mit kleinen Einkäufen und einem Bummel, vorbei an Bernsteinläden und Touristennippes, vertreiben wir uns die Zeit bis zur Abfahrt, 16°°. Da Manfred sich an einer Bohle einen Zeh gestoßen hat, müssen wir von weiteren Aktivitäten, dem Besuch des Fischfangmuseums in der früheren Kirche St. Peter und Paul, dem Leuchtturm oder der Robbenstation der Uni Danzig, absehen.

 

Später erfahre ich, dass vom Hafen Hela, bis April 1945, 350 000 Menschen evakuiert wurden. Im April des Jahres 1945 waren es noch einmal 50000.

Samstag, 22.07.06: Wegen Manfreds lädierten Zehs, trollen wir uns erst gegen 12 Uhr Richtung Altstadt. In der Frauengasse (ul. Mariaka) erstand ich eine Bernsteinkette, um 70 Zloty preiswerter, die ich – zu meinem großen Verdruß – durch einen schlechten Wechselkurs im falschen  “Kantor“  “ ließ“.

Chodowiecki: Ausflug nach Hela vom Danziger Hafen um 1770

 

Unser Mittagsbrot verzehren wir auf einer Parkbank, ganz in der Nähe des Schopenhauerschen Hauses. Wenn auch keine Erinnerungstafel das Haus kenntlich macht, und es zu den in Danzig gewöhnlichen drei-Fenster-breiten Wohnhäusern gehört, hat es eine charakteristische Besonderheit. Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen, meinte, seine einzige Zierde "besteht darin, daß statt der Götter, Engel, Vasen, Adler, Pferde und anderen Getiers, das dort von der Höhe anderer Häuser auf die Straße hinab schaute, auf der höchsten Giebelspitze desselben eine große metallene Schildkröte auf dem Bauch liegt und mit nach allen Weltgegenden ausgestreckten, stark vergoldeten Pfoten und Kopf beträchtlich nickt und zappelt, wenn der Wind heftig weht." Heute, am Mittag, scheint jedoch die Sonne, Wind ist nicht auszumachen. Und ob der Mechanismus nach dem Wiederaufbau des Hauses noch funktioniert, lässt sich nicht feststellen.

In derselben Straße steht auch das Geburtshaus des großen Zeichners und Radierers Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726-1801), das natürlich in dem Skizzenbuch seiner Danzig Reise, anno 1773, nicht fehlt.

Nach unserer Brotzeit machen wir uns zum Nationalmuseum, in der Alten Vorstadt, auf, um u.a. Hans Memlings "Jüngstes Gericht" zu betrachten. Es ist ein Triptychon aus dem Jahr 1471. Vor einem goldenen Hintergrund thront Christus auf einem Regenbogen, die Füße auf der Erdkugel. Darunter steht der Erzengel Michael und wiegt die aus den Gräbern Auferstandenen. Auf der einen Seite des Altarflügels stehen die Erlösten und warten auf den Einlass ins Himmelreich, auf der anderen Seite fallen die Verdammten in den feurigen Abgrund der Hölle.

Der Altar hat abenteuerliches hinter sich: Im Auftrag der Medici gemalt, wurde es, mit anderen Handelswaren, gen Italien verschifft, auf See von dem Danziger Kapitän Paul Beneke gekapert und der Marienkirche übergeben.

Alle Bemühungen der Auftraggeber, das Altarbild zu erhalten, blieben erfolglos. Der russische Zar, Peter der Große, forderte es ebenfalls vergeblich als Kriegskontribution 1726-1727. Napoleon ließ es in den Louvre bringen. 1815, nach Napoleons Sturz, holten die preußischen Behörden es nach Berlin.  Den Danzigern gelang 1817 die Rückführung in die Marienkirche. Im zweiten Weltkrieg in Deutschland ausgelagert, und nach Kriegsende durch die Rote Armee in die Leningrader Eremitage gebracht, kehrte es 1956 nach Danzig zurück. Die Autorin dieser verkürzten Darstellung, Krystyna Gdrecka, bemerkt am Ende ihres Berichtes, dass die "fünf Jahrhunderte lange Geschichte von Memlings Triptychon in engem Zusammenhang mit der Geschichte Danzigs und, zugleich, Europas steht."

Reisen nach literarischen Vorbildern wurde uns schon in der Schulzeit empfohlen. Die "Hundejahre" von Günter Grass, wie auch die "Blechtrommel", spielen in Danzig. Walter Matern und Eduard Anselm, die Protagonisten der "Hundejahre", besuchen das Gymnasium in der Fleischergasse, im ehemaligen Franziskanerkloster, in der Nähe des Museums. Die berühmte protestantische Schule in der Alten Vorstadt erhielt 1580 den Status eines Akademischen Gymnasiums und wurde zum Stolz der Stadt. In den "Hundejahren" erzählt Grass, wie die beiden Sextaner im Umkleideraum der Turnhalle, die zu Franziskanerzeiten Bibliothek gewesen war, einen Deckel erblicken, den man entfernen kann. Sprachlich meisterhaft folgt eine Schilderung, wie die Jungen, mit einer Stablaterne ausgerüstet, sich in einen mittelalterlichen Kriechgang hinunterlassen. Sie gelangen auf der geräumigen Sohle zu einem runden Schacht: ..."von oben sickert verwaschenes Licht: Das durchbrochene, kunstvoll geschmiedete Gitter über dem Schacht ist im Steinfußboden der Trinitatiskirche eingelassen." Dort unten finden sie ein Skelett mit einem "Dootendeetz" (Totenkopf). Anselm will den Kopf für Vogelscheuchen, die er kunstvoll baut, mitnehmen, wird aber von Walter Matern daran gehindert. Zitat: "Doch Amsel, dem es immer an bezeichnenden Versatzstücken und Requisiten, also am Notwendigsten fehlt, will die Hand schon wieder in Richtung Schädel schicken und zeigt - denn einen Schädel findet man nicht alle Tage - abermals die gespreizte Hand im staubwimmelnden Lichtausfluß der Stabtaschenlampe. Da triff ihn ein- zwei- mal jener Knüppel, der zuvor nur Ratten getroffen hat. Und die Akustik des Schachtes steigert ein Wort, zwischen Schlag und Schlag ausgestoßen; "Itzich!" Walter Matern nennt seinen Freund so, "Itzich!" und schlägt zu.“

Wir gelangen über einen Innenhof in die Trinitatiskirche. Auf dem Boden lagern Friese, Kapitelle, Säulenreste und Mauerbruchstücke. Ein Hinweis gibt Auskunft, dass hier Studenten arbeiten, die "interested in preserving our cultural heritage" sind. Unter einem Kruzifix steht eine deutsche Erklärung: "Das gotische Kruzifix (vor 1500) ist solche Kunstwerk sehr einzigartig. Es ist ähnlich zu einer Gruppe von fränkische Kruzifixe aus Hälfte des 15. Jahrhunderts. Vielleicht kam es zu Danzig mit eine Gruppe den Bauern (Bauleute?) aus Süddeutschland, die hier die Gewölbe der Trinitatiskirche machten..... Der Kopf der Figur von Christus war ehemalig mit eine Perücke bedeckt. Dank sie war diese Figur sehr expressiv und dramatisch." Wir freuen uns, eine Erläuterung in deutscher Sprache zu bekommen.

Wie in vielen Kirchen, hängt auch in der Trinitatiskirche eine Erinnerungstafel der im ersten Weltkrieg Gefallenen. Von den 60 Namen sind drei polnisch.

Wir verlassen die Kirche über den kleinen Patz, um den wenige alte Häuser das Inferno des zweiten Weltkriegs überstanden, und gehen Richtung  Bernsteinmuseum, das seit ein paar Jahren im Stockturm  untergebracht ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bernstein, auch Brennstein, ein Stein der brennt, heißt  im englischen Amber. Plutus und Plinius nannten es sucinum (von sucus = Saft). Der Menschheit bekannt ist er, wie Funde in Ägypten vermitteln, seit über 6000 Jahren. In der griechischen Mythologie liest sich (in englischer Sprache) die Entstehung des Bernsteins besonders anrührend. Inhaltlich frei wiedergegeben lautet es etwa so: „Die Heliaden, Töchter des Sonnengottes Helios, Phaetusa, Lampetia, Aigle, Schwestern des Phaeton, dem sie ohne Erlaubnis den Sonnenwagen anspannten, mit dem er dann abstürzte, wurden aus Strafe dafür oder aus Mitleid, da sie den Tod des Bruders untröstlich beweinten, in Pappeln verwandelt.  Aus ihren Tränen entstand der Bernstein, denn selbst als Bäume quollen aus ihnen goldene Tränen hervor.“

Im Museum sind zahlreiche Gegenstände aus Bernstein zu bestaunen: Vasen, Humpen, Kerzenhalter, Pfeifen, Kästchen, Uhren, Teller, Tische und Bilder.

2000 wurde die Idee geboren, einen 100 qm großen Bernstein-Altar in der Danziger Brigittenkirche zu errichten. Er wird ausschließlich aus Spenden finanziert. Das sehr beliebte Bild der "Mutter Gottes aus Tschenstochau" soll den Altar schmücken. 28 Rubine werden an Arbeiter der ehemaligen Danziger Leninwerft erinnern, die 1970, bei einem Streik, erschossen wurden.

Berühmt ist das verschollene, aber rekonstruierte, Bernsteinzimmer. Es wurde 1716 von König Friedrich Wilhelm I, Zar Peter dem Großen als Geschenk übergeben. Im Gegenzug erhielt er 55 Grenadiere von stattlicher Länge zur Aufstockung des Regiments der "Langen Kerls."

Sonntag 23.07.06: Das ist unser letzter Tag in Danzig, die letzte Gelegenheit in Danzig Danziger Goldwasser, den Gewürzlikör mit den kleinen schimmernden Goldplättchen, zu erwerben.

Das Internet bietet umfassende Information, was es mit dieser Spirituose auf sich hat: Gold- und Silberblättchen wurden manchmal Alkoholika zugegeben - möglicherweise um die Heilwirkung zu verstärken oder aber auch um Reichtum zu demonstrieren. Eine Theorie führt die Entstehung von Goldwasser auf die Technik der Vergoldens zurück: Der Vergolder trägt dünne Goldfolie mit einem Pinsel, der in Alkohol getaucht wurde, auf das zu bearbeitenden Objekt auf. Durch Adhäsion bleibt das Gold kleben. Hin und wieder fällt Goldstaub oder ein Goldplättchen in die Flüssigkeit, die bei entsprechendem Lichteinfall hübsch glitzern. Man braucht den Alkohol nur noch zu verdünnen und mit Gewürzen schmackhaft zu machen. Kardamom, Koriander, Zitronen und Pomeranzenschalen, Wacholderbeeren, Kümmel, Lavendel, Zimt und Selleriesamen bieten sich an.

Eine hübsche Geschichte lässt Neptun das Gulden- oder Güldenwasser mit seinen 22-karätigen Goldteilchen erfinden: Die Ankunft eines unermesslich reichbeladenen Schiffes wurde im Artushof gefeiert.  Sogar aus dem Neptunbrunnen sei Wein geflossen. Ein übermütiger Kaufmann habe Goldmünzen in den Weinbrunnen geworfen und die Umstehenden aufgefordert, sie, ohne ihre Hände nass zu machen, herauszufischen. Andernfalls würden sie ihren Kopf verlieren. Der Wirt des Gasthauses Lachs empört sich über diesen Frevel. Dennoch fliegen immer mehr Goldstücke in den Brunnen. Da steigt Neptun voller Zorn von seiner Säule und zerstört mit seinem Dreizack alle Goldstücke. Den Wein mit den vielen Goldsplittern füllt er in ein Fass und rollt dieses in den Keller des Gasthauses Lachs. Als eine schlimme Krankheit über Danzig kommt, erinnert sich der Wirt an den Wein und gibt einem erkrankten Ratsherrn davon zu trinken, der daraufhin wieder gesund wird. Der Wein wird an weitere Kranke verteilt. Die Krankheit verschwindet. Das Danziger Goldwasser hat sie geheilt. Wir kaufen von diesem Wundermittel zwei Flaschen, können aber nicht verstehen , warum 500 ml 30 Sloty oder gar 60 Sloty kosten.

Am frühen Nachmittag besuchen wir das Uphagen-Haus, ein altes Kaufmannshaus in der Langgasse 12 (ul. Dluga), an dessen Wiederherstellung sich auch die "Deutsch-Polnische Stiftung für Zusammenarbeit" beteiligte.

Das Uphagenhaus wurde, wie fast alle Häuser in der Altstadt, nach der Einnahme von der Roten Armee im 2. Weltkrieg zerstört. Schon 1911, vor dem 1. Weltkrieg diente der Bau auch als Museum. Das Gebäude, dessen Diele und Wohnräume für die Patrizierwohnhäuser typisch sind, galt als eines der besterhaltenen Beispiele. Wir erschließen uns das Uphagenhaus, und damit viele Danziger Bürgerhäuser:

Seit dem Mittelalter, präziser, erst im 15. Jahrhundert, als begonnen wurde, Ziegelsteinbauten auf dem Gebiet der Recht- und Altstadt in Danzig zu errichten, entwickelte sich ein charakteristischer Typ des Hauses. Die Breite des Grundstücks  durfte ein festgelegtes Maß nicht überschreiten. Eine Genehmigung für die Abweichungen von der zulässigen Frontbreite zu erhalten, war sehr schwer, kostspielig und wurde selten erteilt. In der Praxis war das Grundstück (die Frontwand) 5-7 m breit und 30 - 40m tief. Das Uphagenhaus soll eine Tiefe/Länge von 70 m haben und hat eine Drei-Fenster-Front. Die Häuser der weniger vermögenden Patrizier waren schmaler und hatten statt drei Fenster, nur zwei, im Erdgeschoss das Portal und ein Fenster. In späterer Zeit wurde die Zahl der Stockwerke auf vier erhöht, das letzte Stockwerk befand sich im Innenraum des steilen Daches.

Die Häuser hatten einen Kellerraum und einen Beischlag, unter dem sich ein Lagerraum für Waren oder ein Laden befand. Im Frontteil des Erdgeschosses entwickelte sich eine Diele mit Seitenstube und einer Treppe, die in die höheren Stockwerke und zu einem Zwischengeschoss mit der sog. Hängestube führte.

[Günter Grass (S.58 Hundejahre) erwähnt die Hängestube, im Uphagenhaus ist sie ebenfalls zu besichtigen.] Die Wendeltreppen von der Diele in die oberen Etagen sind überaus kunstvoll gestaltet. Es ist bekannt, dass Friedrich Wilhelm IV. die Wendeltreppe aus der Diele des Bürgerhauses Heiliggeistgasse 101 zu erwerben beabsichtigte. Schon zuvor, als Kronprinz, war er von einem spätgotischen Haus in der Brotbänkengass 14 so begeistert, dass er die Fassade abbauen und auf der Pfaueninsel, in Berlin Wannsee, als "Danziger Haus" von Schinkel in das Kavaliershaus einfügen ließ.

   

Aber nicht jede Zeit erkennt den künstlerischen und historischen Wert seiner Bauten. Wie überall, werden von 1815 bis 1910 viele Häuser modernisiert und den Bedürfnissen der Bürger angepasst.  Die Stadtbehörden verordnen, die Beischläge abzureißen zugunsten einer flüssigeren Verkehrsführung. Sie seien von Anfang an "verboten" gewesen, "unschön, hinderlich, feuergefährlich" und widerrechtlich.

Dieser Regelung fallen die Beischläge in der Langgasse zum Opfer.  Während nach einer Schätzung von 1868 im Jahre 1863 noch 1500 - 1600 Häuser ihre Beischläge besitzen, sind es im Jahre 1910 gerade noch 93. Nicht nur Häuser werden abgerissen, sondern auch das Karlstor, das Brigittenkloster und die Dominikanerbastei. Danziger Unternehmer sammeln 3310 Unterschriften, womit sie den Abriss des Milchkannentors fordern, wohl auch, um an billiges Baumaterial zu kommen.

Gleichzeitig gibt es zunehmend denkmalpflegerische Bestrebungen. Aber erst der Städtetourismus, für manchen eine willkommene Einnahmenquelle in den Anfängen des 20. Jahrhunderts, verschafft den Bewahrern mehr Gehör. Der neugewählte Bürgermeister Danzigs, Wilhelm Scholz, führt in seiner Antrittsrede aus: "Wir haben alle Veranlassung, unsere alten Baudenkmäler, die Danzig seinen Reiz verleihen, zu bewahren, auch wenn sie unbequem sind. Worin besteht denn die Anziehungskraft Danzigs auf den Fremden? Doch nur in seinen alten Baudenkmälern. Haben wir sie nicht mehr, dann kommt kein Mensch mehr zu Besuch."

Dank dieser Überzeugung können auch wir das ehemals zerstörte Uphagenhaus wieder erleben.

Nach unserer ausgiebigen Besichtigung werfen wir noch eine Blick durch ein Absperrgitter in die Katharinenkirche.

Montag, 24.07.06: Die Tage in Danzig sind zu Ende. Unsere Reise geht Richtung Süden, unser erster Halt ist vor der Klosterkirche von Pelplin. Der Ort, 60 km südlich von Danzig, zählt 9000 Einwohner. 1276 gründeten Zisterziensermönche am Unterlauf des Flusses Ferse die eindrucksvolle Anlage. Rechts und links des Eingangs der Kirche befinden sich zwei schlanke, hohe, achteckige Treppentürme aus rotem Backstein, dazwischen, über dem schlichten Portal, ein hohes, gotisches Fenster. Auch im Innern dominiert an den vielen Säulen die rote Farbe des Backsteins. Das dekorative Netzgewölbe, im 16. Jahrhundert eingezogen, schafft einzelne Konzentrationspunke in Form verzierter, achteckiger, Sterne. Am Hauptaltar befinden sich, außer den bekannten zwölf Aposteln, Paulus und Barnabas, die Christus Botschaft nach dessen Tod von Kleinasien bis Rom verbreiteten. Sehr schön ist die Darstellung des Samson mit dem Löwen, der die Kanzel der Kirche trägt.

1824 verlegte man, nach der Auflösung des Klosters, den Kulmer Bischofssitz hierher. In den Gebäuden des Klosterkomplexes befindet sich heute ein Museum. Leider lässt unser Zeitplan es nicht zu, dort die kostbare Gutenbergbibel zu betrachten. Auch ein Priesterseminar ist in den alten Gebäuden untergebracht. Polen hat, im Gegensatz zu Deutschland, keinen Nachwuchsmangel an Priestern. Eine, an der Klosterkirche angebrachte Tafel, erinnert an 299 Priester, die, wegen ihres Widerstandes gegen das Nazi-Regime, ermordet wurden. Nähere Informationen erhalten wir nicht.

Auf der Autostraße 1 fahren wir zur Ordensburg Mewe (Gniew). Die Anlage wurde am Rande eines Hügels, nahe der Ferse-Mündung in die Weichsel, gebaut. Durch das Osttor gelangt man in einen quadra-tischen Innenhof  mit einem Brunnen in der Mitte. Wegen der hohen, geschlos-senen, Bebauung ist der Eindruck etwas düster. Schön ist der Blick auf das frühere Mariechenschloß, das, umgebaut und renoviert, heute als "Hotel Mariechen-Palast" genutzt wird und auf die grünen Wiesen, Weiden und die Weichsel-Flusslandschaft.

Ein nächster, kurzer, Halt an der Weichsel lässt uns etwas von der Größe und Bedeutung der Stadt Graudenz erahnen. Die hohen, mehrstöckigen, roten Ziegelhäuser am Ufer, Kirchtürme, Wachtürme und Speicherhäuser erfreuen den Betrachter.  Die Äußerung eines Mitreisenden :"Hier sind wir mit unserer Mutter 1945 über die Weichsel gegangen", bringt uns, 60 Jahre später, die dunklen Monate bei Kriegsende in Erinnerung und macht den Kontrast zum heutigen, bequemen und komfortablen, Reisen bewusst.

Die Zufahrt zu Schloss Roggenhausen zu finden, scheint nicht so leicht zu sein. Anja muss wieder dolmetschen. Der um Auskunft angesprochene Mann, wahrscheinlich ein Arbeiter des Schweinemastbetriebs in der Umgebung, meint, die Straße sei "schlahuffka", wohl unbefahrbar und mit Schlaglöchern. Das polnische Wort gefällt uns wegen der Lautmalerei. Hinter einem, mit Holunderbüschen, Erlen und Unterholz zugewachsenen Graben, sind verfallene Mauerreste und ein Turm zu erkennen. So wenig wie wir die Ruinen betreten können, so spärlich ist auch für mich die Historie dieser Anlage. In meinen Aufzeichnungen finde ich nur die Notiz: pomesanischer Bischof Eglof von Rosenberg 1456.

Die letzten Kilometer nach Karnitten führen durch bäuerliches Land. Weite, große, gelbe Kornfelder, die reiferen haben schon einen leicht angeschmutzten grauen Schimmer, dann eine längere Wegstrecke durch Alleen und größere Waldgebiete mit prachtvollen Eichen, Buchen und Linden. Manchmal schimmert eine Wasserfläche durchs Unterholz. Es sind Ausläufer des Geserichsees, wie wir erfahren. Und dann liegt Schloß Karnitten vor uns, ein freundlicher, harmonischer Bau im neugotischen Stil, auf einem kleinen Wiesenhügel, direkt über dem Kesselsee. 1856 wurde das Herrenhaus erbaut. An der Ecke zur Auffahrt steht ein oktogonaler Turm. Ein quadratisch angelegter, ziert die Ecke zum See. Der Haupteingang befindet sich unter einem kreuzgewölbten Arkadenvorbau. Zinnen mit Fialen an den Ecken bilden den dekorativen Abschluss aller Außenwände. Neugotische Kleeblatt- und Fischblasenornamentik schmückt die Balkonbrüstungen. In den Repräsentationsräumen blieben sowohl die ursprünglichen Holzarbeiten, die Balkendecken, als auch die Kamine erhalten.

Ein zweites Gebäude, in gehörigem Abstand zum Schloss, ist ein wenig gestalteter Bauklotz. In diesem Gebäude befindet sich noch die ehemalige Reithalle mit einem hölzernen Hängedachgebinde und schönem Schnitzwerk, restauriert in den Jahren 1999-2000.  Die Zimmer sind klein und z. T. unpraktisch und dumm möbliert. Das Internet sprach von einem spröden Charme. Der letzte Bewohner und Eigentümer, Hans Arnold von Günther, kam mit seiner zweiten Frau, Herta von Oven, am 24. Januar 1945 auf dem Gut Klein Marwitz (Marvica) auf der Flucht vor den Russen, ums Leben, ob erschossen durch Russen oder Polen oder durch Selbstmord, wird nicht berichtet. Nach dem Krieg war das ehemalige Herrenhaus ein Erholungsheim für die Arbeiter der Krakauer Hütte Nova Huta. Im Süden des Parks, auf der einstigen Obstplantage, hat man Sommerhäuschen aufgestellt. Seit 1995 ist das Anwesen Eigentum der Firma "Mistral", mit Sitz in Berlin, die im Schloß  ein ganzjährig geöffnetes Hotel be treibt.

Nach nicht ganz reibungsloser Zimmerbelegung und einem schmackhaften Abendessen geh ich die paar Meter bis zum See. Es ist wunderbar still, kein Geräusch von vorbeifahrenden Autos, kein Türenschlagen. Der See liegt glatt, nur an einigen Stellen kräuselt sich die Oberfläche des Wassers.

Dienstag 25.07.06: Im Frühstücksraum ist Hochbetrieb. Die Bedienung kann mit dem Nachschub fürs Frühstück der vielen Gäste nicht mithalten. Das Angebot von Wurst und Käse reicht nicht, der große Kaffeetopf ist leer, dann ist auch keine Milch mehr vorhanden, die Marmeladenschüssel ist leer, ebenso die Kanne mit dem Saft. Tomaten und Gurken werden nachgeliefert und nach einiger Zeit schleppt die Bedienung in einem großen Kessel heißen Kaffee an, der in den, am Büffet stehenden, Behälter umgefüllt werden muss.  Der Transport des Kaffees nicht ungefährlich, er wird, über eine steile Treppe, aus der Kellerküche gebracht, wie alle Speisen und Getränke. Schwierigkeiten gibt es auch bei der individuellen Bestellung der Getränke am Abendtisch. Man möchte die Getränke der Reiseteilnehmer zusammen buchen, weil nicht genug Personal zur Abrechnung von Einzelbestellungen. Immerhin wird am Morgen die Beanstandung, dass im Zimmer permanent in der Toilette das Wasser laufe, schon nach einer Stunde behoben. Wir haben die Hoffnung, dass unser erster Eindruck die Ausnahme bleibt.

Schwimmen am Morgen ist jedenfalls ein Genuss. Angenehm warmes, klares Wasser, der kleine Strand fast leer, blauer Himmel und weiße Sommerwolken.

Auf der Fahrt Richtung Neumark zähle ich auf einer Wiese, die gerade gemäht wird, fünfzehn Störche, die sich die Würmer aus der Erde holen. Vergeblich versuche ich die Ortsschilder zu lesen und zu behalten. So bin ich nicht überrascht über die Bemerkung von Frau Müller, die vor 60 Jahren fließend polnisch und deutsch sprach: "Jetzt breche ich mir fast die Zunge ab, früher haben wir polnisch gequatscht, als wenn das gar nichts wäre." Ihren Erinnerungen höre ich gerne zu. Am Marktplatz von Neumark berichtet sie: "Hier hatten wir unseren Stand mit Butter. Die Butter musste schöne gelb sein. So färbten wir sie mit Mohrrüben. Die Käufer kamen und probierten sie mit einem Geldstück. Das gefiel meiner Mutter nicht. Danach brachten die Käufer ein goldenes(?) Löffelchen mit. An der Ecke dort wohnte der Jude Morgenstern. Vaters Mantel haben wir da gekauft. Er wollte 100 dafür haben, mit 50 sind wir rausgegangen. Er kam auch an die Tür," das heißt wohl, dass er bei den Bauern von Tür zu Tür ging und seine Ware anbot.

Am Nachmittag freundlicher Empfang im Landratsamt Neumark. Ein großer Kachelofen steht an der Wand, ob er noch benutzt wird, danach habe ich mich nicht erkundigt. Auf dem Wappen des Kreises ist ein Geweih abgebildet und fünf Rosen, die die fünf Großgemeinden darstellen. Von der Begrüßungsrede durch Landrat Chajka, der sich zusammen mit seinen Mitarbeitern viel Zeit für uns genommen hatte, sind mir in Erinnerung geblieben: die Aktivität des Partnerschaftskreises, die Bemerkung, dass in den Schulen wieder häufiger deutsch unterrichtet wird und eine Übersetzung der Dolmetscherin, wo über die staatliche Zugehörigkeit eines Gebietes gesprochen wurde und die Formulierung "unter preußischer Gewalt" benutzt wurde. Ich empfinde das Wort Gewalt als ein zu starkes Wort, erinnere mich aber, dass nicht allen Bewohnern der häufige Wechsel der Oberherrschaft über ihr Gebiet gefiel. Schon die Familie Schopenhauer verließ Danzig und zog im Jahre 1793, als die Stadt unter preußische "Gewalt " kam, nach Hamburg, weil Heinrich Floris Schopenhauer unter preußischer Herrschaft nicht leben wollte. Den zehnten Teil seines Vermögens mußte er als Auswanderungssteuer entrichten. Aber wichtiger als alle materiellen Werte waren dem überzeugten Republikaner das Motto seines Familienwappens: "point de bonheur sans liberte"- Kein Glück ohne Freiheit.

Nach dem Besuch im Landratsamt geht es zum elterlichen Bauernhof von Frau Müller, die 1945 mit der Familie in den Westen floh.

Der Vater hatte als Rückwanderer aus Russland den Hof erworben, der auf einem Hügel, in abwechslungsreicher Landschaft, liegt. "Oh, da ist unser Puddel," (Ententeich) ruft die alte Dame erfreut, als der Bus an einem kleinen Teich vorbeifährt. “Dies ist der Sommerweg, den wir immer benutzt haben. Nein, so eine feine Straße, diese Häuser waren noch nicht ....und da ist unser See." Vorher hatte sie schon berichtet, dass sie das Fischereirecht für den halben See hatten und dieses dem Vater weggenommen, vom Landrat an einen Fischer übertragen worden war. Ihr Vater hatte dagegen protestiert und der Fischer sei auch nie erschienen.

V.l.: Joanna Kardela (Dolmetscherin), Fryda Müller, dahinter verdeckt Astrid Weller,  Bauernfamilie Grosz..

Der Bus entlässt Frau Müller mit ihrer Nichte, Frau Weller, vor ihrem ehemaligen elterlichen Wohnhaus. Sie werden von den jetzigen Eigentümern, einer Familie aus Ostpolen, freundlich begrüßt. Wir fahren zurück nach Neumark zur Thomaskirche,  in der gerade ein Gottesdienst stattfindet. Die Kirche ist gut besucht, nicht nur von älteren Frauen, auch von Männern und Jugendlichen. Nach der Messe wird uns das sonst verdeckte, silberne Madonnenbild, ein Gemälde aus dem ehemaligen Kloster Lonk, gezeigt. Sehenswert auch die Bronzegrabplatte des Großkomturs und Vogt von Brattian des Deutschen Ordens, Kuno von Liebensten (+1391) und die aus der Gotik stammenden Wandmalereien im Altarraum.Mittwoch 26.07.06: Die Fahrt am heutigen Tag geht nach Löbau (Lubawa). Auch mit diesem Ort verbinden sich für einige Teilnehmer der Reise Kindheits- und Jugenderinnerungen. Löbau hat, wie Neumark, von 1920-1939 zu Polen gehört, wurde während der sechs Kriegsjahre wieder deutsch, 1945 wieder polnisch. Wir besuchen die St. Johanneskirche, 1610 gegründet, ausgestattet mit einer erwähnenswerten Kassettendecke aus dem 17. Jahrhundert, mit 198 Darstellungen von Abraham bis Franziskus. Sie ist die Kirche, in der einer aus unserer Gruppe 1942 getauft wurde. In unmittelbarer Nähe befindet sich die Schule, ein ehemaliges Kloster, die Frau Müller in den dreißiger Jahren besuchte. Ihr ausgezeichnetes Abschlusszeugnis hatte sie mitgebracht. Und im Blick auf das Unrecht, dass ihrem Vater einst in Bezug auf sein Fischereirecht widerfahren war, wurde ihr im Auftrag des Landrats, Herrn Chajka, ein Angelschein überreicht, der sie berechtigt, auf dem halben See zu fischen. Eine aufmerksame und freundliche Geste.

V.l. Manfred Linke, Fryda Müller mit Zeugnis,dahinter Pfarrer Tadeusz Breza, Silvia Weider-Siemietkowski

Unsere Mittagsmahlzeit nehmen wir in einer kleinen Imbisstube ein. Manfred bestellt sich eine Suppe, die sich Flaki oder so ähnlich nennt, in der Annahme, sie ähnele der süddeutschen Flädlesuppe, also mit Pfannkuchenstreifen. Wie sich nachher herausstellt, waren es kleingeschnittene Kutteln, bei uns wenig geschätzt, aber in der Kaschubei (früher?) ein besonderer Leckerbissen, wie man aus dem oben zitierten Bergengrün Gedicht entnehmen kann.

Auf der nachmittäglichen Fahrt nach Hohenstein kommen wir an Tannenberg, Grunwald, vorbei, wo 1410 eine entscheidende Schlacht gegen die Ordensritter geschlagen wurde, wir halten nicht. Bei Hohenstein liegt ein masurisches Freilichtmuseum, ein angenehmer, nicht überlaufener Ort. Gebäude aus der Danziger Niederung, Ermland, Masuren und Litauen sind zu besichtigen: ausgestattet mit altem Mobiliar. Neben einer Wassermühle ist eine protestantische Holzkirche aus dem 18. Jahrhundert wieder aufgebaut, auch mehrere Windmühlen, von denen zwei über 200 Jahre alt sind. Da die Sonne scheint, wie schon während der ganzen Reise, ist es ein nicht ermüdender, angenehmer Spaziergang. Entspannt und ausgeruht treten wir die Rückfahrt nach Karnitten an.

Donnerstag 27.07.06: Eine Fahrt auf dem Oberländerkanal von Liebemühl bis Elbing steht auf dem Programm. Wir sind sehr gespannt. Jeder hatte von dem technischen Kunstwerk gehört, einige ihn schon einmal befahren. Die Idee, in der Gegend eine Verbindung zwischen den Seen und Flüssen herzustellen, um Holz, Getreide etc. schnell und günstig zu transportieren, gab es schon im 18. Jahrhundert. Aber man fand keine Lösung, sieben Seen auf 80 km Länge  um 104 m abzusenken. Steenke, Ingenieur aus Königsberg, packte das Problem ganz anders an: er lässt die Boote auf schiefen Ebenen über Land rollen.

Über eine Rohrleitung wird Wasser in einen großen Tank gepumpt und damit ein Schaufelrad in Bewegung gesetzt. Das Schiff wird auf ein im Wasser befindliches Gestell mit Rädern aufgesetzt  und durch Wasserkraft auf die schiefe Ebene gebracht. Dort zieht es mit seiner Kraft ein, in entgegengesetzte Richtung fahrendes Schiff hinauf. Alles in allem ist es eine energiesparende, umweltfreundliche, doch gemächliche Lösung. Das Schiff gleitet über braunes Wasser an schilfbestandenem Ufer vorbei. Auf den Wiesen stehen Datschen oder Wohnwagen. Kleine Bootsstege führen ins Wasser. Manchmal zieht das Boot durch Tunnel aus Laubwerk vorbei an stark bewachsenen Ufern. Vom Wasser sieht man dann nicht viel, denn das Schiff erreicht mit einer oberen Breite von ca. 3m fast die Ausmaße des Kanals. Vor einer solch engen Durchfahrt flattern erschreckt Enten auf und lassen sich nach ein paar Flügelschlägen neben oder hinter dem Boot wieder aufs Wasser nieder. Die runden grünen Blätter der Mummeln, das sind gelbe Teichrosen, mit kugeligen gelben Blüten, verschwinden durch die Bugwellen unter den Wasserspiegel und tauchen wenige Sekunden später wieder auf. Die Fahrt dauert. Es gibt Haltestellen, ein Kommen und Gehen. Ich habe gut Zeit, ein Gedicht des Heimatvertriebenen O.E. Sattler in mein Tagebuch aufzunehmen.

 

                   Durchs Oberland fließt ein Kanal,

                   die Schiffe trotzen jedem Hügel,

                   sie rollen über Bug und Berg,

                   als hätten Schienen Engelsflügel.

 

                   Mal geht der Weg durch Blätterwald,

                   umrahmt von Busch und Baum und Wiese,

                   mal wird die Fahrt von See zu See,

                   zum großen Wasserparadiese

 

                   Sie führt an Rohr und Ried vorbei

                   an Lauben, Häusern , Dörfern, Städten,

                   einst plante diesen Landkanal

                   der Klügste aller Wasserräte.

 

                   Das Volk, das den Kanal erschuf,

                   das musste gehn aus seinem Lande,

                   doch der Kanal und die Natur,

                   die knüpften heute Heimatbande.

 

Hinterm Gartenzaun im Oberland

Hinweise auf den Heimatkreis Neumark mit seinem Doppelzentrum Neumark und Löbau findet man vielerorts im Oberland. Sei es in Deutsch-Eylau, die am traumhaften Geserich gelegene Perle des Oberlandes, sei es in Osterode, dem Herzen dieses altpreußischen Kreises, in Hohenstein oder im verträumt­romantischen Soldau. Überall bestehen enge Verbindungen zum süd- bzw. südwestlichen Nachbarn. Es ist bei Heimatfreunden wie bei Grunstückbesitzern: Ein Blick über den Gartenzaun gibt Anregungen und erfüllt mit Stolz auf das eigene. Liebe Neumärker, ich möchte Sie zu einem Ausflug in das Oberland einladen. Begleiten Sie mich auf über 200 Seiten durch die "Oberländische Heimat". Der Untertitel lautet: "Ein ostpreußisches Hausbuch für jung und alt". Wer alte Sagen und Geschichten liebt, findet sie im "Alf von Venedien" (220 S.), die letzten 300 Jahre oberländischer Geschichte werden in der "Schwalgendorfer Chronik" auf 260 S. behandelt und besonders stolz bin ich auf meine Publikation "Wir vom Geserich", die die gesamte Region rund um den Geserich-See in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausführlich auf 360 S. beschreibt und mit über 20 Plänen von Orten und Gebieten dieses deutsche Siedlungsgebiet auch für die Nachgeborenen sehr anschaulich wieder erstehen läßt.

All diese Titel können Sie bestellen bei Kersten Radzimanowski, Ferdinand-Dam-Str. 19, 15345 Eggersdorf. Auch im Internet ist dies möglich. Dort findet man auch ausführliche Inhaltsangaben und Rezensionen: http://www.ears.de/heimat.html   Besuchen Sie mich mal und schauen Sie über den Gartenzaun ins Oberland.

Kersten Radzimanowski

 

Nicht weit von Elbing durchfährt das Schiff den Drausensee, den man kaum noch als See bezeichnen kann. Er ist ein Überbleibsel einer tief ins Land eingeschnittenen Bucht des Frischen Haffs.  Ein Teil dieser Bucht wurde von den holländischen Mennoniten, die man aus ihrer Heimat vertrieben hatte, trocken gelegt. Die maximale Tiefe des Sees beträgt 2,5m. Den Grund bedeckt eine dicke Schlammschicht, die sich rasch durch weitere Anschwemmungen, aus den in den See mündenden kleinen Flüssen und Bächen, vergrößert. Außerdem spült Regen von den umliegenden Feldern und Wiesen künstlichen Dünger hinein. Ein üppiges Wachstum von Wasser und Sumpfpflanzen ist die Folge. So sind große Flächen des Drausensees von Binsen, Schilf, Schwertlilien und blühenden Seerosen  bedeckt, ein bezauberndes Bild.

Bei andauernder Hitze soll ein Teil der Wasserfläche verschwinden. Es bleiben dann nur einzelne freie Wasserstreifen, die noch dazu voll von schwimmenden Pflanzenbüscheln sind, zwischen denen nicht selten kleine Bäume grünen. Es sind Fragmente von Sumpfböden, die sich mit dem Eis losgelöst haben, das mit ihnen in der Frostperiode  verschmolz (schwimmende Inselchen).

Die absterbenden Pflanzenreste, die sich am Grund ablagern, werden von Fäulnisbakterien zerlegt.  Bei diesem Prozess entsteht Sumpfgas (Methan), die Ursache der vorkommenden Irrlichter. Manchmal soll das sich ansammelnde Sumpfgas im Winter die Eisdecke mit starkem Knall aufbrechen. Schiffe können sich hier – in einer Länge von 7,4 km – nur in einer ausgebaggerten Rinne bewegen.

In Elbing verlassen wir das Boot. Es sind nur ein paar Schritte bis zur Nikolaikirche. Neugierig sind wir auf das wiederaufgebaute Zentrum der Stadt. 1986, auf der Reise nach Krakau und Warschau, hatten wir den Ort deprimiert verlassen. Es war eine, im 2. Weltkrieg von den Sowjets und Deutschen, fast völlig zerstörte Stadt. In der Straße neben der Nikolaikirche steht jetzt ein Zeile neuer Wohnbauten, abwechslungsreich, im Stil der schmalen hanseatischen, mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshäuser. Die Giebel sind unterschiedlich gestaltet, die Farbgebung ist zurückhaltend, es erinnert an Altes und doch ist es neu und modern. Ebenso gefällt die 400 m lange platzartige Straße parallel zum Elbingfluss, an deren Ende sich das stehengebliebene Markttor befindet. Es bleibt aus Zeitgründen nur ein kurzer Abstecher.

Auf der Fahrt, entlang der Frischen Nehrung, nach Frauenburg, berichtet Stephan, wie er als blutjunger Verteidiger des deutschen Vaterlands 1945, von den Russen, schwer verwundet, aus dem Lazarett im Keller des Rathauses von Elbing heraus gefangen genommen wurde, und dass diejenigen Verwundeten, die ihr Lager nicht verlassen konnten, getötet wurden. Der Gedanke an das unsägliche Leid, das in allen Zeiten, besonders aber auch im letzten Weltkrieg, Menschen einander zugefügt haben, überschattet immer wieder diese sonnigen Tage im Juli 2006.

Im Vorbeifahren sehen wir das Gut Cadinen, das Kaiser Wilhelm II als Sommersitz bewohnte. Sein Enkel, Prinz Louis Ferdinand, der, nach dem Tod seines Bruders im 2. Weltkrieg, Chef des Hauses Hohenzollern war, lebte 1945, bei Kriegsende, auf dem Gut. Das wurde durch den Prinzenerlass Hitlers möglich, der nach dem Soldatentod des Kronprinzen Wilhelm, wie alle Hohenzollernprinzen, vom Wehrdienst freigestellt war. Im Januar 1945 konnte er mit einem Pferdeschlitten  über das zugefrorene Frische Haff fliehen.

Zu spät kommen wir in Frauenburg an, die Kartenverkaufsstellen für Museum und Glockenturm sind schon geschlossen. Aber wir haben Zeit, die Anlage, mit der Inneren Kanonie, dem Kopernikus-Turm und dem Planetarium, der Kathedrale und dem ehemaligen Bischofspalast, als harmonisches Ensemble auf uns wirken zu lassen. In der Kirche wird gerade ein Rosenkranzgebet gesprochen, sodass sich ein Umhergehen verbietet. Durch zwei, an Wand und Säule angebrachte, Gedenktafeln werden wir in die Geschichte des Ortes hineingenommen.

Eine dieser Tafeln erinnert an Maximilian Kaller, der 1930 zum Bischof der Diözese Ermland geweiht wurde. Er trat seine Stellung in der Frauenburg an. Der Platz vor der Tafel ist geschmückt – man gedenkt noch immer seiner, hat sein Wirken in Wort und Tat – besonders in der Zeit des Dritten Reiches – positiv gewertet. Nach 1945 wurde er auf betreiben des polnischen Primas Kardinal August Hlond vertrieben. Ihm und dem Bischof Carl Maria Splett – der nach 1945  9 Jahre in polnischen Gefängnissen saß – hatte Papst Pius XII. die seelsorgerische Betreuung der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen überlassen, als sie dazu in der Lage waren.

Über einer der Türen im Klosterbezirk steht : "Sol omnia regit." Der Satz nimmt Bezug auf den berühmten Bewohner dieser Stadt, Nikolaus Kopernikus.

Wie im 15. und 16 Jahrhundert üblich, hatte der 1473 in Thorn Geborene ab 1491 Astronomie, Mathematik, Philosophie und Literatur, geistliches und weltliches Recht und Medizin studiert. 1503 erwarb Kopernikus in Ferrara den Doktorgrad des kanonischen Rechts. Zwischenzeitlich kehrte er immer wieder ins Ermland zurück, denn dort war er seit 1495  Kanoniker an der Kathedralschule am Dom zu Frauenburg. Später wurde er Domherr für Medizin im Domkapitel Frauenburg.

Kopernikus´ Liebe galt der Astronomie. Die Beobachtungen fasste er in seinem Hauptwerk : "de revolutionibus orbium coelestium" zusammen. Eine der darin enthaltenen Thesen lautet. Der Erdmittelpunkt ist nicht der Mittelpunkt der Welt, alle Bahnkreise umgeben die Sonne und die Erde dreht sich in ihrer täglichen Bewegung einmal ganz um ihre unveränderlichen Pole.

Freitag 28.07.06:  Wir haben Gelegenheit, in einer kleine Gruppe von 8 Personen, nach Deutsch Eylau zu fahren. Der Ort, 1305 gegründet, befindet sich auf einer weit vorspringenden Insel im Geserichsee. Bedeutsam für das Wachstum des Ortes war der Bau des Oberländischen Kanals.

Gemäß dem Versailler Vertrag hatten die Bewohner Pomesaniens nach dem 1. Weltkrieg abzustimmen, ob sie zu Polen gehören oder bei Deutschland bleiben wollten. 92,42 % stimmten für Deutschland. In Deutsch Eylau gaben 4746 ihre Stimmen Deutschland, 235 Polen.

Wir schlendern zum kleinen Geserichsee. Das Ufer, recht einladend, auch wegen der Restaurants und Gartenterrassen. Das Panorama am gegenüberliegenden Ufer erinnert an eine Szene wie aus einem modernen Bilderbuch: Kleine, würfelförmige zweistöckige Häuser von einer grünen Wiese umgeben, daneben ältere Bauten. An ihnen vorbei  saust eine Eisenbahn  mit leuchtend gelben, kleinen Wagen.

Heinz Gollan zeigt uns das Haus, wo seine Familie wohnte, bevor sie in die Stadt zog. Es liegt nahe am Wasser. Sie besaßen ein Boot, und nutzten es auch. Im Winter, wenn der See zugefroren war, lief er auf Schlittschuhen übers Eis zur Schule.

Wir halten an der gotischen Kirche aus dem 14. Jahrhundert. Ihre Türen sind verschlossen. Nicht weit von ihr entfernt liegt das in hellem Weiß erstrahlende Rathaus. Heinz erzählt, dass es mit deutscher Unterstützung renoviert worden sei und dass dabei das kleine, schmucke, Türmchen aufgesetzt wurde. An der Information trennen wir uns.

Während unserer Siesta auf einer Bank, in der Niepodleglosci, nahe dem Stadtpark, bereichern der eben gekaufte Stadtplan und ein Buch unser Wissen.

Wir erfahren, dass die 80%tige Zerstörung der Stadt 1945 erst beim Abzug der Roten Armee nach Westen erfolgte, also nach dem sie schon erobert worden war.

Daheim lese ich das "Ostpreussische Tagebuch " von Hans Graf von Lehndorf, der 1946 in einem Krankenhaus in Rosenberg, ca. 20 km von Dt. Eylau  entfernt, arbeitete. Mutter und einer seiner Brüder wurden auf der Flucht im Januar 1945 in Stuhm erschossen.

Deutsch Eylau ist erwähnt. "Die schöne Stadt ist unbeschreiblich kaputt und eigentlich nur noch an ihrem See zu erkennen." "Kurz vor Weihnachten  (1946) geht es noch einmal mit dem Auto nach Dt. Eylau. Aus Raudnitz sollen zwei Kranke geholt werden. Ich steige in Dt. Eylau aus und besuche Frau F., die frühere Inhaberin des Friseurgeschäfts, die mir eine dicke Jacke machen will. Als Entgelt will ich ihr ein paar Schuhe machen und noch etwas zuzahlen. Sie wohnt in einem der kleinen Holzhäuser am Seeufer, die auf Pfählen über dem Wasser gebaut sind. Dort sitzen die restlichen Deutschen, in einer Art Ghetto, beieinander. Die Innenstadt ist zerstört. Die Polen wohnen in den Außenbezirken." Mehrere Male überquert er im Winter 1946 den zugefrorenen Geserichsee, umgeht bei seinen Fußreisen die von Russen und Polen besetzten Ortschaften, um nicht auffällig und deportiert zu werden.

Für die wenigen Deutschen, die nach 1945 in Ost- und Westpreußen verblieben, war der Krieg, und damit die Bedrohung für Leib und Leben, nicht beendet. Es herrschte Anarchie. "Man weiß hier eigentlich nie, wer gegen wen ist. Die polnische Polizei ist zwar Todfeind der Partisanen, lässt sich aber keine Gelegenheit entgehen, den Russen ein Schnippchen zu schlagen."

Ein Mitreisender unserer Gruppe erzählt von Erlebnissen aus Januar 1945: Mit Mutter und Verwandten fuhren sie mit Pferd und Wagen über die Weichsel. Sein nur ein Monat alter Bruder erfror auf der Flucht. In einem Ort, in dem sie von den Russen eingeholt wurden, finden sie Unterkunft in einem Gebäude. Ein verwundeter deutscher Soldat liegt schreiend vor der Tür. Als sein Vetter geht, um zu helfen, wird er erschossen.

In diesen hellen Sommertagen fällt es schwer, sich so schreckliches zu vergegenwärtigen. Wenn wir doch aus der Geschichte lernen würden und unsere Egoismen und Machtansprüche in Zaum halten könnten.

Samstag 29.07.06: Unser erstes Ziel am heutigen Tag ist Heilsberg (Lidzbark Warminski), eine Gründung des Deutschen Ordens. 1241 eroberten die Ordensritter , die am Zusammenfluss zweier Wasserläufe, Alle (Allenstein) und Simser, gelegene prußische Burg. 1308 wurde Heilsberg das Stadtrecht verliehen und von 1350 bis 1836 war es, das Domkapitel war ja in Frauenburg am Frischen Haff, die Residenz der Bischöfe von Ermland. Die Burg ist  eine wehrhafte Anlage, durch Mauern und Wassergräben geschützt, wie die Marienburg in rotem Backstein erbaut, mit drei zierlichen Ecktürmchen und einem massigen Bergfried an der vierten Burgecke.

Wie viele der Orte in West- und Ostpreußen, teilt sie als Teil Ermlands das Schicksal wechselnder Herrschaft. Der Fürstbischof von Ermland hatte sich 1464 dem preußischen Bund angeschlossen und kam durch den Thorner Frieden 1466 zum Königlichen Preußen des Preußischen Bundes unter die Krone Polens, 1772 kam sie zum Königreich Preußen, Provinz Ostpreußen, und 1945, mit Vertreibung fast der gesamten Einwohner,  zu  Polen.

Wir gehen zunächst leicht bergan, über holprige Pflastersteine. An wenigen Ständen wird Schmuck und auch Schnitzwerk angeboten Durch einen bogenförmigen Einlass im Gebäude gelangen wir in den Hof, der, durch in zwei Etagen übereinander laufende gotische Bogengänge und die roten überkragenden Ziegeldächer, einen aufgelockerten Eindruck macht.

Vielen Zwecken hat die Anlage gedient: Sie war Stützpunkt und Schutzraum für den Deutschen Orden, Umgestaltung in einen fürstlichen Hof, als Sitz der Fürstbischöfe von Ermland, verfiel in den napoleonischen Kriegen, wurde umgebaut als Waisen- und Ordenskrankenhaus, und wieder renoviert und als Museums eingerichtet. Diesem Zweck dient es heute noch.

In den Kreuzganggeschossen sind Repräsentations- und Wohnräume, die Schlosskapelle, der Rempter, und der Kapitelsaal. Es gibt Wandmalereien aus ca. 1380, die Krönung der Mutter Gottes und an den Giebelwänden die heraldische Reihenfolge der Fürstbischöfe von Ermland.

Kopernikus, dessen Onkel, Fürstbischof Lukas Watzenrode, hier von 1489-1512 residierte, weilte von 1503-1510, als Sekretär und Leibarzt, in Heilsberg.

Regierende Häupter lassen sich unter den Besuchern ebenfalls finden. Karl XII. von Schweden hielt sich im Winter 1703/04 hier auf. Beim “Auszug“ verringerte er den Bestand des Schlosses um sieben Wagenladungen Bücher, Handschriften und Gemälde. Auch Napoleon war in Heilsberg, übernachtete aber, aus Angst um sein Leben, nicht im Schloss, sondern in Finckenstein.

In Rössel (Reszel), einer kleinen Stadt mit nicht mehr als 4000 Einwohnern, werfen wir einen Blick auf die, in rotem Backstein erbaute, Burg. Sie wurde von den Bischöfen zu Ermland im 14. Jahrhundert errichtet. Ihr Ursprung geht auf die 1241 vom Deutschen Orden erstellte hölzerne Wehranlage zurück. Der Wehrturm ist mit Zement verputzt. Vor dem Bau steht eine überlebensgroße weiße Skulptur aus Marmor, wahrscheinlich das Denkmal eines Bischofs. Unser Aufenthalt ist kurz, es geht weiter Richtung Rastenburg (Ketrzyn), zu Hitlers Hauptquartier, der Wolfsschanze.

Die Wolfsschanze liegt in einem Waldgebiet, das 8 qkm umfasst. Das Baugebiet erstreckte sich über 2,5 qkm. Auf dieser Fläche wurden ungefähr 100 Objekte errichtet. Unter ihnen befanden sich sieben massive Schutzräume mit doppelten Wänden und Decken. Die Stärke der Mauern soll bis zu acht Meter und die der Decken bis zu zehn Meter dick gewesen sein. Daneben gab es für die technischen Anlagen Bunker mittlerer Größe mit 2-3 m starken Stahlbetonmauern und -decken. Viele Schutzräume hatten Ziegel- oder Betonwände. Wohn- und Lagerbaracken waren aus Holz. Die gesamten Baukosten der Wolfsschanze betrugen ca. 36 Millionen Reichsmark.

Straßen und Verbindungswege innerhalb des Geländes waren ganz mit Tarnnetzen abgedeckt und an den Rändern dicht mit Bäumen bepflanzt.  Das Gebiet des Quartiers war mit Drahtzäunen umgeben, zwischen denen sich Minenfelder von ca. 50 –150 m und Stacheldrahtabsperrungen befanden. Außerdem gab es Beobachtungstürme und Stellungen für Maschinengewehre und Fliegerabwehrkanonen.

Einen Monat nach der Fertigstellung des letzten Bauabschnitts verließ Hitler die Wolfsschanze am 20. November 1944. Am 4. Dezember 1944 hat Keitel den Befehl zur Sprengung der Wolfsschanze erteilt. Dagegen wurden noch im Januar 1945 die Bewohner Ostpreußens unter Androhung von Strafen an der Flucht gehindert. Seit 1959 sind die Bunkerreste der Allgemeinheit zur Besichtigung zugänglich.

Die Mehrzahl der Besucher am heutigen Tage sind, neben Deutschen, junge Polen.

Nach raschem Durchgang verlassen wir die Wolfsschanze und sind gegen 17°° in Nikolaiken.

Es gelingt dem Busfahrer recht zentral zu parken. In ein paar Schritten sind wir am Ufer des Spirding Sees. Aus dem ruhigen Ort vom Mai 1986 ist ein Anziehungspunkt für Touristen geworden. Nicht nur der Neubau eines großen Hotels an der Peripherie fällt ins Auge, auch die zahlreichen Schmuckgeschäfte, die hervorragenden, und geschmackvollen, künstlerischen Bernsteinverarbeitungen in ihren Schaufenstern zeigen. Am Ufer liegen Motorboote und laden zu einer Fahrt auf dem Spirding See ein. Hier reiht sich Restaurant an Restaurant und fast jeder Sitzplatz ist von Touristen besetzt. Für die Betreiber der Gastronomie ist der Rummel durchaus positiv, von uns wird er nicht so geschätzt. Wir besteigen schon bald den Bus zur Heimfahrt gen Karnitten.

Sonntag 30 07 06: Es ist der letzte Ferientag in Karnitten. Noch einmal nehmen wir die Gelegenheit wahr,  zu schwimmen.

Gegen Mittag ist vom Geschäftsführer des Hotels eine kleine Führung angesagt. Wir erfahren, dass sich auf dem Gelände der Plantage der Familienfriedhof befindet. Auf 3 ha wird Damwild gehalten. 80 m vom Schloss entfernt liegt der ehemalige Eiskeller, den man heute als Weinkeller nutzt. Der See ist fischreich. Das Hotel ist an eine Kläranlage angeschlossen. Größere gesellschaftliche Veranstaltungen werden im Schloss und in der Reithalle angeboten. Es ist für den Hotelbetrieb nicht leicht, fähige Angestellte zu finden. Bedienungspersonal, wenn es eingearbeitet ist, verlässt häufig  die Arbeitsstelle, um nach Deutschland oder in andere europäische Länder zu gehen, weil die Verdienste dort höher sind.

Montag,.31.07.06: Die Ferien haben eine Ende, es geht Richtung Heimat. Über Deutsch Eylau, Samplau, Strasburg fahren wir nach Thorn. Am Weichselufer wird geparkt, und in der Nähe des schiefen Turms geht es, leicht bergauf, in die Altstadt. Auf alten Karten der Stadt sieht man die sternförmig ausgebildete Wehranlage und die geometrisch angeordneten Häuserviertel. Es begegnen uns alte Bekannte unserer Reise, altstädtisches und neustädtisches Rathaus, Reste einer Ordensburg. Dem Deutschen Orden verdankt Thorn seine Gründung  und im 14. Jahrhundert, durch die Lage an der Weichsel begünstigt, den raschen Aufstieg zu einem wichtigen Handelszentrum. Nikolaus Kopernikus ist im Stadtbild nicht zu übersehen. Er ist in Thorn geboren. Sein Geburtshaus, heute Museum, ist geschlossen. Wir können nur die harmonische gotische Fassade des Hauses bewundern.

Dagegen ist der Besuch der Johanniskirche, gegen Entrichtung eines Obulus, möglich. Und das ist nicht allzu viel. Die Kirche ist reich mit prachtvollen Altären ausgestattet, die Bilder sind nachgedunkelt. Unter einer barocken Kanzel stehen drei Frauen mit hohen Hauben oder Hüten, und auf dem Gemälde über der Sakristei  steht ein Kreuz, der Lebensbaum Jesse mit dem Gekreuzigten. Im Turm hängt eine große Glocke, die "Tuba Dei" 1500 gegossen, mit einem Durchmesser von 2,17 und einem Gewicht von 7.200 kg. Was war das wohl für Arbeit, sie in den Turm zu bekommen!

Von 1530 -1586 soll die Kirche simultan genutzt worden sein. Danach wurde sie rekatholisiert.

 Was wir nicht wussten: im Spannungsfeld von Protestanten und Katholiken ist der Tag des Thorner Blutgerichts zu wenig ehrenhafter Bedeutung gelangt: Thorn hatte 1558 die Religionsfreiheit erhalten und war im wesentlichen protestantisch. Im Zuge der Gegenreformation kamen Jesuiten in die Stadt und eröffneten eine Schule. Zwischen ihren Schülern und protestantischen Gymnasiasten gab es wiederholt Reibereien. Anlässlich der Fronleichnamsprozession, am 16. Juli 1724, stürmten Protestanten das Jesuitenkloster und verwüsteten es.

Die polnische Regierung des protestantischen Konvertiten August des Starken, ließ daraufhin den Bürgermeister Johann Gottfried Rössner, sowie neun weitere Bürger, nachdem sie sich geweigert hatten zu konvertieren, auch Fluchtmöglichkeiten nicht nutzten, hinrichten, und verfügte, dass die letzte protestantische Kirche, die Marienkirche, den Franziskanern zu überlassen sei. Der beiden anderen Kirchen hatten sich Jesuiten und Benediktinerinnen bemächtigt. Noch am Tag der Hinrichtung wurde in der Marienkirche die nach der Reformation erste katholische Messe gefeiert. Zudem musste der Rat der Stadt künftig mehrheitlich mit Katholiken besetzt werden.

Die Jakobskirche besuchen wir nicht, auch nicht das Rathaus, das seiner Bauzeit nach nicht das Rathaus des Thorner Friedens von 1466 ist, sondern ein Nachfolgebau nach einem Brand während der schwedischen Belagerung der Stadt aus der Zeit 1722-1737. Auch den Artushof übergehen wir und begeben uns auf die Hauptstraße, um Thorner Kathrinchen zu kaufen und die letzten Zloty auszugeben. Wir sind mit Eindrücken gesättigt und denken voll Dankbarkeit daran, dass wir – wenn auch nicht immer Problemlos – über 60 Jahre im Frieden leben dürfen.

Im Landsberg an der Warthe, dem Geburtsort der Schriftstellerin Christa Wolf, verbringen wir die letzte Nacht  auf unserer Reise. Gewiss wären auch hier Spuren von Geschichte, Lebensgeschichte, Zeitgeschichte auszumachen. Nicht alles werden wir im Gedächtnis behalten, geschweige, daraus lernen.

 

                                                   

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